Neues Urteil zu Glockengeläut

Kirche darf die Zeit ansagen

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Süßer die Glocken nie klingen – das singt sich so leicht in der Weihnachtszeit. Doch wenn es aus dem Kirchturm schallt, so regt sich manch einer darüber auf, fühlt sich belästigt. Gegen solcherart Geräuschimmissionen kann man sich vor Gericht zur Wehr setzen, aber die Aussichten stehen nicht gut. Das beweist ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg.

Der Fall: In einer kleinen bayerischen Gemeinde verhält es sich genauso wie an vielen Orten im Land. Die katholische Kirche dort beschränkt sich nicht nur auf das sogenannte liturgische oder sakrale Geläut, mit dem man etwa die Schäfchen zum Gottesdienst ruft. Man betätigt sich auch als Zeitansage-Service: Zwischen sechs Uhr morgens und 22 Uhr bekommen alle, die sich in der Nähe befinden, per "Zeitschlagen" alle 15 Minuten mitgeteilt, dass wieder eine Viertelstunde vergangen ist. Ein Anwohner, der im Besitz einer Armbanduhr und eines Smartphones ist und sich auch so informieren kann, welche Stunde es geschlagen hat, legte darauf keinen Wert. Im Gegenteil: Er fand das Zeitschlagen einfach zu laut und wandte sich ans Landgericht Regensburg.

Juristisch hatte er alles richtig gemacht. Dabei ist die rechtliche Gegenwehr gegen Glockenläuten gar nicht so unkompliziert. Je nach dem, durch welche Art von Gebimmel man sich belästigt fühlt, sind verschiedene Rechtswege einzuhalten. Geht es um sakrales Glockengeläut, so handelt es sich sozusagen um öffentlich-rechtliche Schallwellen, die die Kirche unter Berufung auf den Grundgesetzartikel 4, die Religionsfreiheit, emittiert. Wem das nicht gefällt, der muss sich dagegen vor dem Verwaltungsgericht wehren. Ohne allzu große Aussichten, eben wegen des Artikels 4.

Auf den können sich freilich nicht nur christliche Kirchen berufen. So hat das Oberverwaltungsgericht Münster im Jahr 2020 die Klage eines Ehepaars im Ruhrgebiet abgewiesen, das sich nicht mit dem Ruf des Muezzins anfreunden wollte. Per Lautsprecher kam solcherart Geräusch aus Richtung der 900 Meter entfernten Moschee. Immer freitags zwischen 12 und 14 Uhr, für maximal 15 Minuten. Die für Wohngebiete nach der "Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm" (TA Lärm) maßgeblichen Lärmrichtwerte würden am Wohnhaus der Kläger sicher eingehalten, urteilten die Richter. Der Gebetsruf des Muezzin sei bei genehmigungskonformem Betrieb des Lautsprechers am Haus der Kläger zwar wahrnehmbar. Dies stelle bei objektiver Würdigung aber keine unzumutbare Belästigung dar. Auch nicht unter dem Aspekt, dass es sich um "einen Gesang in arabischer Sprache mit spezieller Melodie und religiösem Inhalt" handele. Dieser sei den Klägern zuzumuten. Die von dem Ehepaar angeführte negative Religionsfreiheit gebe kein Recht darauf, von anderen Glaubensbekundungen verschont zu bleiben, sondern bewahre den Einzelnen davor, gegen seinen Willen an religiösen Übungen teilnehmen zu müssen. Damit sei das bloße Hören einer religiösen Aussage einmal pro Woche in so geringer Lautstärke wie am Haus der Kläger nicht vergleichbar.

Immerhin verkündet der Muezzin nicht, wie spät es ist, wie es christliche Kirchen mit ihrem Zeitschlagen tun. Und damit zurück zum Ausgangsfall: Bei dieser geräuschvollen Zeitansage geht es nicht um den sakralen Charakter, bei dem sich die Kirche auf die Religionsfreiheit berufen kann, sondern hier wird gewissermaßen rein privatrechtlich ein Geräusch gemacht. Und bei einem Rechtsstreit zwischen zwei Privaten sind nun mal die Zivilgerichte zuständig. Im Ausgangsfall das Landgericht Regensburg. Dieses beauftragte einen Sachverständigen mit Geräuschmessungen vor Ort. Nach dessen Gutachten hielt das beanstandete Glockengeläut die maßgeblichen Richtwerte der Verwaltungsvorschrift der "Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm" (TA-Lärm) ein. Auch hielten die Richter dem Kläger entgegen, dass er erst vor wenigen Jahren und in Kenntnis der dort seit 125 Jahren befindlichen Pfarrkirche in das Wohnhaus eingezogen war.

Er müsse die geräuschvolle Zeitansage dulden, das sei ihm zumutbar.

Nein, ist es nicht, zürnte der Anwohner und zog vor die nächste Instanz – das Oberlandesgericht Nürnberg. Doch auch das mochte ihm nicht helfen: Das landgerichtliche Urteil gehe in Ordnung und sei nun rechtskräftig. Der Kläger muss die Gerichtskosten tragen und sich weiterhin viertelstündlich die Zeit ansagen lassen. Heiliger Bimbam!

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