Anmerkungen zu Handlungsformen im Spannungsfeld

Klimawandel-Protest und Ziviler Ungehorsam

Darf man geltende Gesetze im Namen eines moralischen Rechts brechen? Diese Frage kommt regelmäßig in Protestbewegungen auf. Dabei spricht man häufig von Zivilem Ungehorsam. Doch in den seltensten Fällen ist dabei klar, was eigentlich inhaltlich mit diesem Terminus gemeint ist.

Gern wird auf Mahatma Gandhi oder Martin Luther King verwiesen. Indessen wirkten die beiden Genannten in anderen Kontexten. Es geht aktuell nicht um Aktionen gegen eine repressive Kolonialmacht, es geht auch nicht um institutionellen Rassismus. Dass in einer Diktatur durchaus Gesetze gebrochen werden können, sofern dies unter Berufung auf die Menschenrechte geschieht, lässt sich mit dem Hinweis auf deren Universalität gut begründen. Doch wie steht es bei Gesetzen, die auf einer demokratischen, menschenrechtlichen und rechtsstaatlichen Grundlage zustande gekommen sind? Auf diese Frage will das inhaltlich entwickelte Konzept Ziviler Ungehorsam antworten.

Dabei gilt es zunächst grundsätzlich zu beachten, dass eine Regierung demokratisch legitimiert ist, eine Protestbewegung indessen nicht. Dies schließt selbstverständlich nicht aus, dass etwa durch Demonstrationen öffentlich Kritik formuliert wird, steht dies doch für praktizierte Menschenrechte und realen Pluralismus. Gleichwohl muss der unterschiedliche Legitimationsgrad für die politische Praxis berücksichtigt werden. Damit stellt sich auch die Frage, inwieweit hier Gesetzesbrüche legitim sein können. Dass sie nicht legal sind, versteht sich von selbst. Es bedarf also durchaus einer Begründung dafür, wenn man Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bejaht, aber eben Gesetzesbrüche als Zivilen Ungehorsam praktizieren will. Anders formuliert: Nötig ist hier eine inhaltliche Positionierung in dem gemeinten Spannungsverhältnis. Denn umgekehrt kann es auch gute Gründe dafür geben, bestehende Gesetze um eines wichtigen Protestmotivs willen zu brechen.

Dabei bedarf es auch besonderer Bedingungen oder Eigenschaften, die für Handlungen des Zivilen Ungehorsams gelten. Eine philosophische Debatte dazu fand in den 1970er und 1980er Jahren statt, wobei den Auffassungen von Jürgen Habermas und John Rawls große Relevanz zukam. Insbesondere der Letztgenannte entwickelte dafür Merkmale: Es geht um einen bewussten Bruch geltender Gesetze, der aus einer Gewissensentscheidung heraus erfolgt, wobei er nicht aus Eigeninteresse motiviert ist. Der Akteur akzeptiert die bestehende Rechtsordnung, meint aber das bestimmte Gegebenheiten seinem individuellen Rechtsempfinden widersprechen. In dieser Hinsicht beruft er sich auf ein besonderes Naturrecht, das über dem positiven Recht steht. Ihm geht es mit seiner symbolischen Handlung darum, die breite Öffentlichkeit auf das gemeinte Problem aufmerksam zu machen. Dabei akzeptiert der Akteur eine Bestrafung und ist von Gewaltfreiheit geprägt.

Was bedeuten nun diese Ausführungen für die Klimaproteste? Bevor auf diese Frage genauer eingegangen werden soll, seien noch einmal deren Spezifika hervorgehoben: Zunächst einmal stehen deren Anliegen im Einklang mit der Wissenschaft. Es geht hier demnach nicht um Akteure, die sich auf eine kontrovers diskutierte Frage beziehen oder einseitige politische Positionen einnehmen. Man hat es auch mit einer sozialen Bewegung zu tun, welche sich gar nicht gegen den postulierten Regierungswillen stellt. Denn nicht nur die Bundesregierung in Deutschland verbalisiert zumindest eine ähnliche Problemwahrnehmung, sieht man doch ebenfalls eine grundlegende Bedrohung durch eine folgenreiche Klimaentwicklung. Die Differenz zwischen Protestbewegung und Regierung besteht primär darin, dass es aus der Blickrichtung der Erstgenannten an den entscheidenden Handlungen der Letztgenannten mangelt. Die Protestbewegung nimmt die Regierung nur beim Wort.

Damit hat man es in der bisherigen Geschichte der deutschen Protestbewegungen eben mit einem ungewöhnlichen Zusammenhang zu tun. Das sollte bei der Diskussion um die Frage des Handlungsstils und damit hier des Zivilen Ungehorsams berücksichtigt werden. Damit fällt der Blick auf Extinction Rebellion, eine Bewegung, die gegenüber Fridays for Future als deren "radikale Schwester" gilt. Dies drückt sich darin aus, dass etwa in Blockaden von Flughäfen und Straßen ein legitimes Wirken gesehen wird. Der Druck auf die Regierungen soll so erhöht werden. Einige Auffassungen kann man einem kleinen Buch entnehmen, das Extinction Rebellion Hannover mit dem Titel Hope Dies – Action Begins. Stimmen einer neuen Bewegung herausgegeben hat. Bereits auf der ersten Seite wird indessen betont, dass es sich um Aussagen von Einzelpersonen handele, diese demnach der Bewegung nicht in Gänze zugeschrieben werden könnten. Alle bekennen sich aber zum Zivilen Ungehorsam.

Der Demokratietheoretiker und Umweltphilosoph Jürgen Mannemann schreibt dort: "Der Klimanotstand ist ein symbolischer Akt, der aber auch eine rechtliche Dimension besitzt: Ein Notstand tritt ein, wenn der Staat in seiner Existenz gefährdet ist … Letzteres zwingt zu zivilem Ungehorsam. Ziviler Ungehorsam ist ein symbolischer Akt, der moralisch legitimiert ist. Er stellt nicht die Rechtsordnung als Ganze in Frage. … Zivilgesellschaftliche Akteur*innen zielen durch Akte zivilen Ungehorsams darauf ab, Bürger*innen und Entscheidungsträger*innen für die Katastrophe zu sensibilisieren und ihre Unterstützung für die Ausrufung des Notstandes zu erhalten, um die Lebensgrundlagen aller Lebewesen zu schützen" (S. 28 f.). Die Ärztin Monika Krimmer betont dazu: "XR (Anmerkung: Dabei handelt es sich um die Abkürzung, die sich die Bewegung selbst für Extinction Rebellion gewählt hat) verpflichtet auf eine Kultur der Gewaltlosigkeit …" (S. 44).

Akzeptiert man diese Grundauffassungen, dann geht es im gemeinten Sinne um Zivilen Ungehorsam. Indessen sollten noch folgende Gesichtspunkte hinzukommen, die mit zu dem definierten Verständnis gehören: Man muss sich der Polizei stellen, wenn man eine Sachbeschädigung begangen hat. Und man muss sich öffentlich zu seinen Handlungen als Individuum bekennen, was die Akzeptanz einer Gefängnisstrafe einschließt. Die Bereitschaft dazu bekundete Roger Hallam, ein britischer Gründer von Extinction Rebellion. Damit wären auch die Grenzen des Zivilen Ungehorsams abgesteckt. Gleichwohl lässt dies nicht alle so gemeinten Handlungen als legitim und sinnvoll erschienen. Denn für das Alltagsleben durchgeführte "kurzfristige und kurzzeitige Blockaden von Kreuzungen" verschrecken wohl eher Menschen, die eben dadurch nicht "Atempausen zum Nachdenken" (S. 24) erhalten. Und Drohneneinsätze an Flughäfen sind eine Gefahr, keine Protestform.

Es ist demnach möglich, dass Handlungen im Sinne des Zivilen Ungehorsams eskalieren können. Um solche Entwicklungen zu vermeiden, muss über das gemeinte Selbstverständnis reflektiert werden. Dies gilt auch und gerade gegenüber nicht unproblematischen Mitakteuren. Nach einer Friday for Future-Demonstration in Hamburg wurde jüngst zur Straßenblockade aufgerufen. Auch einzelne Aktivisten von XR nahmen anfänglich daran teil, entfernten sich aber nach Provokationen gegen die Polizei von Anderen. Dabei blieben Gruppen wie Ende Gelände oder Interventionistische Linke unter sich, was danach in einem Kommentar in der taz heftig verurteilt wurde. Indessen distanzieren sich die beiden Genannten nicht grundsätzlich von Gewalt, was eben eine Abgrenzung gerade um der Glaubwürdigkeit des eigenen Zivilen Ungehorsams nötig macht. Wenn Aktivisten dieser Gruppen dann allein dort saßen, so kann man dies um einer symbolischen Klarstellung willen nur begrüßen.

Denn die Gewaltorientierung hat Protestbewegungen in der Vergangenheit immer wieder diskreditiert. Dies war bereits nach den G-20-Demonstrationen in Hamburg 2017 so: Man sprach danach über die brutalen Ausschreitungen und Gewalttaten, nicht über legitime Globalisierungs- und Neoliberalismuskritik. Die maßgeblich von den Autonomen ausgehende Eskalation hatte damit den legitimen Protesten enormen Schaden zugefügt. So etwas droht womöglich auch der Klimabewegung, was Grenzziehungen und Klarstellungen nötig macht. Daher sollte dort eine Debatte über die Grenzen und Reichweiten des Zivilen Ungehorsams geführt werden. Gleiches gilt gegenüber Bündnispartnern aus problematischen Kontexten. Gut war, dass Friday for Future jüngst nicht mit einer pro-stalinistischen Jungendorganisation demonstrieren wollte. Das Anliegen der Klimabewegung ist viel zu wichtig, um es von zwielichtigen Trittbrettfahrern kaputt machen zu lassen.

Literatur:

  • Braune, Andreas (Hrsg.): Ziviler Ungehorsam. Texte von Thoreau bis Occupy, Stuttgart 2017 (Reclam-Verlag).
  • Cwiertnia, Laura: Er hat einen Plan. Roger Hallam ist Mitbegründer der radikalen britischen Umweltbewegung Extinction Rebellion. Jetzt wird sie auch in Deutschland aktiv, in: Die Zeit, Nr. 37 vom 5. September 2019, S. 3.
  • Extinction Rebellion Hannover (Hrsg.): Hope Dies – Action Begins. Stimmen einer neuen Bewegung, Bielefeld 2019 (Transcript-Verlag).
  • Rawls, John: Eine Theorie der Gerechtigkeit (1971), Frankfurt/Main 1975 (Suhrkamp-Verlag).
  • Schipkowski, Katharina: Extincition Rebellion. Die Aktivis*innen distanzieren sich von linken Bewegungen. Sie gefährden damit nicht nur andere Protestierende, sondern auch ihre eigenen Ziele, in: taz vom 28/29. September 2019, S. 10.