Tägliche Realität auf Intensivstationen

Leidvolle Übertherapie

Intensivmedizinische Maßnahmen breiten sich rasant aus und werden zunehmend auf Patientiengruppen ausgeweitet, die davon nicht mehr profitieren. Abrechnungsoptimierte Beatmung ist an der Tagesordnung. Mittlerweile sind 75 % der Intensivpatienten im Rentenalter.

In jedem vierten Intensivbett liegt ein unheilbar Krebsbetroffener. Auch die Zahl der in der Häuslichkeit intensivmedizinisch behandelten Patienten steigt dramatisch. Diese lag 2003 bei 500 in ganz Deutschland, heute liegt sie mit wahrscheinlich etwa 40.000 Patienen bald 100 Mal höher. Vorausgegangen war die neue Regelung einer Vergütung mit 20.000 – 27.000 Euro pro Monat.

In den Kliniken gibt es ähnliche Fehlanreize: Die kleine Gruppe der "Langlieger" (8 %, > 20 Tage) generiert dabei einen Großteil der Einnahmen. So fahren die Kliniken die größten Gewinne ein, die viele Komplikationen haben, Patienten mit den schlechtesten Aussichten operieren und vielfacherkrankte greise Patienten umfangreich intensivmedizinisch versorgen. Sprich: Extrem schlechte Medizin, das heißt kaum oder gar nicht mehr indizierte, sinnlose und auch gefährliche Medizin (wohingegen gute Palliativlinderung angesagt wäre) wird aktuell am besten vergütet.

Im Februar 2018 gab es den ersten europäischen Großkongress in Wien zur Problematik, die ExpertInnen schätzen den Anteil der Übertherapie auf 50 %, "Übertherapie und Überdiagnostik seien tägliche Realität auf den meisten Intensivstationen."