Auf gottloser Mission von Jena nach Neumark

Matthias Knutzen – der erste Atheist der Neuzeit

1674 tauchte der Eiderstedter Matthias Knutzen mit seinen "Lästerschriften" in Jena auf. Mit der Inquisition im Nacken wanderte er über Coburg nach Altdorf bei Nürnberg, wo er seine Flugblätter weiterverbreitete, bevor er auf dem Weg nach Neumark verschwand. Knutzen gilt als der erste namentlich bekannte Atheist der Neuzeit.

"Christlicher Leser! Man hat zeither nicht ohne sonderbare Gemütsbestürzung vernehmen müssen, dass an nahen und weitgelegenen Orten ein Geschrei erschollen …"1 Mit diesen Worten beginnt der Jenaer evangelische Theologe Johannes Musaeus seine 170-seitige Gegenschrift über das gottlose Auftreten des "Satansapostels" Matthias Knutzen in Jena im Jahr 1674. "Nun ist unschwer zu ermessen, woher dieses in lauter Unwahrheit bestehende Geschrei seinen Ursprung genommen, nämlich hat es sich im verwichenen Septembermonat begeben, dass unterschiedliche atheistische und aufrührerische Schand- und Lästerschriften ausgestreuet worden!"2

Tatsächlich hatte Knutzen am 5. und 6. September 1674 seine Flugschriften in Jenaer Kirchen und Beichtstühlen ausgelegt. Dabei hatte er auch den Hofbibliothekar und Zeitungsdrucker Neuenhahn sowie den Hofprediger Schlemm mit Briefen bedacht, wobei Knutzen im Falle Schlemms mit seinem echten Namen, jedoch beim Drucker mit "Hans Friedrich von Vernunft" unterzeichnet hatte. Kuntzen alias "von Vernunft" behauptete nun in seinem Brief an Neuenhahn, es würde in Jena eine Gruppe sogenannter "Gewissener" geben, die 700 Anhänger umfasse. Diese wären jener Lehre zugetan, die in Knutzens Flugschriften abgefasst sei.

Jena

Jena um 1650. Kupferstich von Matthäus Merian aus der "Topographia Germaniae".
(Lizenz: CC0 1.0)

Bei besagten Flugschriften handelt es sich um zwei dialogisch abgefasste deutschsprachige Texte: "Gespräch zwischen einem Feldprediger namens D. Heinrich Brummer und einem lateinischen Munsterschreiber" und "Ein Gespräch zwischen einem lateinischen Gastgeber und drei ungleichen Religionsgästen, gehalten zu Altona nicht weit von Hamburg". In letztgenanntem Text wird der Wirt von seinen Gästen gefragt: "Vielleicht werdet Ihr ein Atheist und kein Christ sein?" Darauf antwortet der Wirt: "Das ist wahr. Ich glaube an keinen Gott, halte auch nichts von der Bibel, es sei denn, euch zu widerlegen, sage auch, dass man Priester und Obrigkeit aus der Welt jagen soll, weil man ohne dieselbe doch wohl leben kann."

Sollte Neuenhahn die beigefügten Schriften nicht verbreiten, würden ihn die "Gewissener" mithilfe einer Windbüchse (Luftgewehr) für immer schlafen legen. So drohte ihm "von Vernunft" in dem beigefügten Brief, wobei der satirische Charakter durchgeschienen haben mag; denn eine Gruppe von 700 Gottesleugnern im damaligen Jena, von denen noch niemand etwas gehört haben wollte, wäre wohl kaum zu verbergen gewesen.

Dem Hofprediger Schlemm hinterließ Knutzen eine lateinische Schrift "Amicus Amicis Amica!", die von Johann Christoph Adelung 1788 ins Deutsche übersetzt wurde. Knutzen kritisiert die Widersprüchlichkeit der Bibel und deklassiert sie zum Märchenbuch. Er tut dies mit fundiertem Wissen, das er selbst in einem offenbar nie abgeschlossenen Theologiestudium zu Königsberg und Kopenhagen erworben hat. An die Stelle der autoritativen Bibel setzt er das Gewissen. Daher auch die Bezeichnung "Gewissener": "Denn dieses Gewissen, welches die gütige Natur allen Menschen mitgeteilt hat, vertritt bei uns die Stelle der Bibel, der Obrigkeit und aller Priester, denn es lehret uns, niemanden zu beleidigen, rechtschaffen zu leben und einem jedem das Seine zu geben."

Angesichts seines Auftretens war Knutzen die Aufmerksamkeit der Obrigkeit gewiss. In den Herbergen Jenas fahndete man zunächst vergeblich nach einem hageren Mann mit langem braun-schwarzen Haar, der einen braunen Rock zu tragen pflege. Im Gasthaus "Zum Gelben Engel" meinte man zumindest, einen solchen beherbergt zu haben. Da war Knutzen jedoch schon weitergezogen.

Der Jenaer evangelische Theologe Musaeus berichtet, Knutzen sei dann am 14. September in Coburg aufgetaucht, wo er dieselbe lateinische Flugschrift beim Diakon eingeworfen habe. Am 19. September sei er dann auf den Wiesen in der Nähe von Altdorf bei Nürnberg gesichtet worden. Hier sei Knutzen auf den Schulmeister Grosel getroffen, dem er seine Flugschriften zur Universität nach Altdorf mitgegeben habe. Dann habe sich Knutzen sehr "hurtig und geschwind" auf den Weg nach Neumark begeben. Da verliert sich seine Spur.

"Ein Häresiotop für Dissidenten"3 – so bezeichnet der Philosophiehistoriker Winfried Schröder die Landschaft Eiderstedt, in der Matthias Knutzen 1646 geboren wurde. Sein Vater Bernhard Knutzen war Organist und Küster in Oldenswort. Seine Mutter Elisabeth stammte aus Dithmarschen.

Knutzens kurze, aber radikale Texte hatten in zahlreichen Abschriften und Übersetzungen breite Wirkung entfaltet.


1 Johannes Musaeus: "Ableinung der ausgesprengten abscheulichen Verleumbdung", Jena, 1675

2 ibid.

3 Vgl. Winfried Schröder: "Philosophische Clandestina der deutschen Aufklärung", I, 5, Frommann-Holzboog, 2010

Die Rechtschreibung in den Zitaten wurde um der Lesbarkeit willen den heutigen Schreibweisen angepasst.

Weitere Literaturempfehlungen:

Werner Pfoh: "Matthias Knutzen, ein Deutscher Atheist und revolutionärer Demokrat", Akademie-Verlag Berlin, 1965

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