Dass die DDR in Sachen Religion eine andere Linie verfolgte als die BRD, ist bekannt. Es gab keinen Religionsunterricht an staatlichen Schulen, kein kirchliches Arbeitsrecht, keine vom Staat eingetriebene Kirchensteuer. Aber wie präsent war Religion im DDR-Alltag und welche Bedeutung hatte der Wissenschaftliche Atheismus für die Menschen? Die MIZ widmet diesen Fragen einen Schwerpunkt.
Horst Groschopp beschreibt in seinem Aufsatz die "anderen Deutschen", die nach seinem Eindruck oft als "noch nicht richtig entwickelte westdeutsche" Menschen angesehen werden. Dazu arbeitet er sieben alltagsrelevante Unterschiede zwischen "Ost" und "West" heraus. Einer davon ist die extrem niedrige Kirchenbindung.
Christenverfolgung?
Auf das Verhältnis von Staat und Kirche wirft Karsten Krampitz einen Blick. So angespannt, wie manchmal suggeriert, war das Verhältnis zwischen Staat und Kirche gar nicht – zumindest nicht immer und überall. Von "Christenverfolgung", wie der einstige Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur im Freistaat Thüringen Christian Dietrich behauptete, konnte jedenfalls keine Rede sein (obgleich Christen in ihren Bildungs- und beruflichen Aufstiegschancen teils deutlich benachteiligt wurden). Dementsprechend war auch das Unterrichtsfach "Wissenschaftlicher Atheismus" nicht so ausgestattet, wie es in einem "atheistischen" Staat vielleicht zu erwarten gewesen wäre. Denn seit Ende der 1960er Jahre trat die Beschäftigung mit den "gemeinsamen Wertvorstellungen von Kommunisten und Gläubigen" neben die Entwicklung einer atheistischen Position in Abgrenzung zu religiösen Konzeptionen. Viola Schubert-Lehnhardt stellt diese Geschichte dar.
Kirche und Opposition
In einem Gespräch zwischen MIZ-Redakteurin Nicole Thies und der Kunstwissenschaftlerin Jutta Jahn geht es dann um den Alltag, der in sozialistisch orientierten Familien ohne Religion gestaltet wurde. Eine Nebenwirkung war, dass viele, die in solchen Familien aufwuchsen, "religiöse Codes ... nicht nachvollziehen und begreifen" konnten. Für sie war Kirche Teil der Kulturgeschichte und hatte nichts mit Religion zu tun. Als die evangelische Kirche später nicht systemkonformen Gruppen einen Raum gab, in dem offen gesprochen werden konnte, wurde dieses Angebot angenommen. Es wurde von den Oppositionellen nicht als Versuch, sie christlich zu infiltrieren, gesehen (und war wohl auch nicht dadurch motiviert).
Hexen, Religionskritik und Frauenrechte
Während die Vorstellung der Existenz von "Hexen" in Europa für die Betroffenen nur noch selten Folgen nach sich ziehen, müssen im subsaharischen Afrika immer noch (vor allem) Frauen ihr Dorf verlassen, wenn sie ein solcher Vorwurf trifft. Felix Riedel hat in Nordghana einige Exile besucht, wo die Geflüchteten unterkommen, mit den Frauen gesprochen und berichtet über ihre Lebensverhältnisse. Mit dem "Witch-hunt Victims Empowerment Project" stellt er eine Organisation vor, die in Zusammenarbeit mit europäischen NGOs eine konkrete Verbesserung der Lebensbedingungen anstrebt – ohne gleichzeitige Missionierung.
Angesichts der Verfilmung von Margaret Atwoods "Report der Magd" und der Fortsetzung "Die Zeuginnen" wirft Agnes Imhof einen Blick auf die Rezeption der Religionskritik der Autorin. Sie verweist darauf, dass Atwoods Kritik an religiös motivierter Unterdrückung von Frauen nur eingeschränkt wahrgenommen wird: in Bezug auf das Christentum. Dass Atwood jedoch Strukturen patriarchalischer Verhältnisse aufs Korn nimmt, ihre Kritik also übertragbar ist, werde gerade von jüngeren Feministinnen oft ignoriert.
Am 27. Dezember 2017 protestierte in Teheran eine junge Frau gegen den Verschleierungszwang, indem sie auf einen Stromkasten stieg, ihr "Kopftuch" an einen Stock band und hin- und herschwenkte. MIZ stellt eine Initiative säkularer Migrantinnen vor, die einen "Internationalen Tag gegen Zwangsverschleierung" angekündigt haben, der an die Proteste gegen des islamische Regime erinnern soll.
Daneben gibt es noch die üblichen Rubriken Blätterwald, Zündfunke und Internationale Rundschau, die Glosse Neulich... (diesmal bei genervten Atheisten) und Buchbesprechungen.
Mehr zur aktuellen MIZ findet sich auf der Webseite der Zeitschrift.
5 Kommentare
Kommentare
Bruder Spaghettus am Permanenter Link
"Als die evangelische Kirche später nicht systemkonformen Gruppen einen Raum gab, in dem offen gesprochen werden konnte, wurde dieses Angebot angenommen.
Schade, dass sich auch die MIZ fleißig an dieser Geschichtsfälschung beteiligen. Es gab nie eine Öffnung der Kirche für solche Gruppen, im Gegenteil. Es waren einzelne Pfarrer, die ihre Kirche für solche Gruppen geöffnet haben und dafür von der Kirche gemaßregelt oder sogar abgesetzt wurden.
Googelt einfach mal nach "Wonneberger + Führer". Letzterer hatte den klaren Auftrag der Kirche, die Politisierung der Leipziger Montagsgebete durch Wonneberger zu verhindern.
Oder lest mal das hier: https://fsm-uckermark.blogspot.com/2018/10/das-wort-zum-freitag-kirche-in-der-ddr.html
Dr. Dr. Markius... am Permanenter Link
Liebe Leser, was hier zur Situation von Christen in der DDR vermittelt wird und formuliert wurde, verblüfft mich, als Wissenschaftler und als Zeitzeugen.
Bernd Stoppe am Permanenter Link
Hallo, Dr.Dr. Markius, welche Aussagen kritisieren Sie, mit welchen Argumenten?
Dr. Dr. Markus Vette am Permanenter Link
Guten Tag, ich hätte gern einmal Unterrichtsunterlagen zu dem behaupteten Fach "Wissenschaftlicher Atheismus" gezeigt bekommen. Vielleicht habe ich woanders gelebt.
A.S. am Permanenter Link
Zitat:"Es wurde von den Oppositionellen nicht als Versuch, sie christlich zu infiltrieren, gesehen (und war wohl auch nicht dadurch motiviert)."
Da habe ich meine Zweifel. Die DDR-Pastoren wollten selber das ungeliebte SED-Regime loswerden und haben aus Eigennutz Oppositionelle unterstützt. So, wie Priester überall ihre Gläubigen gegen Regime aufhetzen, die den Priestern nicht unterwürfig oder spendabel genug sind.
Seit dem Mauerfall vor 30 jahren sind die Priester in Ostdeutschland besser bezahlt und der atheistische Unterricht in den Schulen ist abgeschafft. Stattdessen gibt es immer mehr Religionsunterricht in den Schulen.
Die Hoffnungen, die die ev. Kirche in die DDR-Regimekritiker gesetzt hat, sind eingetreten.