Interview mit Heinz-Werner Kubitza

Mehr Mut zu religionskritischen Titeln!

kubitza_lesung.jpg

Heinz-Werner Kubitza bei einer Lesung
Heinz-Werner Kubitza

Der ehemalige Tectum-Verlagsinhaber Dr. Heinz-Werner Kubitza hat ein Buch geschrieben, das es in sich hat. Denn in "Jesus ohne Kitsch" zeigt er dem Leser schonungslos einen Jesus auf, der von den Kirchen meist verschwiegen wird. Der Autor appelliert: Der Buchhandel sollte mehr Mut haben, auch kritische Bücher zu Religion anzubieten.

BuchMarkt: Herr Kubitza, Sie sind Theologe und Kirchenkritiker zugleich, sind Autor und waren viele Jahre Verleger. Ihr neues Buch ist bei Ihrem früheren Verlag, dem Tectum Verlag, herausgekommen. Wie kam es dazu?

Dr. Heinz-Werner Kubitza: Nach Studium und Promotion 1991 habe ich den Tectum Wissenschaftsverlag gegründet. Mit mehr als zehn Mitarbeitern haben wir über 4.000 wissenschaftliche Bücher veröffentlicht. Dazu kam in den letzten Jahren auch eine sehr erfolgreiche Sachbuchsparte. Hier erschien mein erstes Buch "Der Jesuswahn". 25 Jahre lang war ich Chef und Verlagsleiter bei Tectum. Zum Jahresbeginn 2017 habe ich Tectum dann an Nomos verkauft. Mir lag jedoch immer daran, dass meine anderen Bücher auch in meinem "alten" Verlag erscheinen können.

Ihr neues Werk heißt "Jesus ohne Kitsch". Warum dieses Buch? Was ist die Intention?

Die Person Jesus wird bereits im Neuen Testament verkitscht und verzerrt dargestellt. Die Kirchen haben ein Übriges getan, sie haben den Endzeitpropheten Jesus, der vergeblich auf das Reich Gottes gewartet hat, allmählich zu einem Gott hochgeglaubt und mit reichlich dogmatischem Kitsch beschrieben. Gläubige sind offenbar umso begeisterter, je kitschiger ihr Glaubensheld dargestellt wird.

Aber selbst Kirchenferne und Atheisten sehen in Jesus einen herausragenden Menschen mit edler Gesinnung und vorbildlicher Ethik, sehen ihn als jemanden, der auch uns heute Lebenden noch etwas zu sagen hat. Doch diese Sicht ist weitgehend falsch. Nach über 200 Jahren wissenschaftlicher Forschung haben die Neutestamentler längst die Unzulänglichkeiten, die Irrtümer und das fragwürdige ethische Niveau seiner (vermeintlichen) Äußerungen erkannt.

Die Lehre Jesu passt ins erste Jahrhundert, aber aus heutiger Sicht ist sie völlig überholt, irrig und mit ihrer religiösen Fundierung unpassend für eine globale Welt. Die Forderung der "Nächstenliebe" zum Beispiel, sofern diese ihm nicht erst von seinen Gläubigen angedichtet worden ist, wirkt pubertär und unausgegoren. Es kommt nicht darauf an, den Nächsten zu "lieben", sondern ihn zu "achten".

Mein Buch will helfen, das völlig verkitschte Jesusbild aufzubrechen und klarzumachen: Dieser religiöse Endzeitphantast, der die Hölle verkündete und der sichtlich kein Interesse an Andersgläubigen hatte, und den sein Extremismus schließlich ans Kreuz gebracht hat, kann kein Vorbild für eine moderne Gesellschaft sein. Jesus ist die am meisten überschätzte Person der Weltgeschichte.

Wie unterscheidet sich Ihr Buch von den gängigen "Jesus-Büchern"?

Jesus-Bücher sind immer irgendwie bewundernd, idealisieren Jesus und finden an allem, was er gesagt und getan hat, etwas Positives. Sie spiegeln dabei gerne das wider, was Gläubige oder Nichtgläubige in ihm finden möchten (den wahren Menschen, den echten Mann, den Kämpfer gegen Ungerechtigkeit und Unfreiheit). Daraus kann nur ein verkitschtes Jesusbild entstehen. Wir müssen uns frei machen von liebevoll gepflegten Vorurteilen und religiöser Wellness, wollen wir nüchtern betrachten, was Jesus vermutlich gesagt und getan hat. Nicht zuletzt muss man versuchen, den Weg der neutestamentlichen Forschung zu gehen, die zu unterscheiden strebt, welche Worte Jesu vermutlich echt sind und welche ihm seine Gläubigen angedichtet haben.

Trotz vieler Forschungen von Neutestamentlern auf diesem Gebiet nimmt die Mainstream-Kitschliteratur und nehmen die Kirchenvertreter diese Unterscheidung nicht vor. Mein Buch will den Finger gerade auf die oft vernachlässigten oder gerne überlesenen Stellen der Bibel legen. Es will wissenschaftliche Erkenntnisse über Jesus vermitteln, aber dies in einer auch für Laien verständlichen und unterhaltsamen Weise.

Sie wollen also aufrütteln und den wahren Jesus enthüllen?

Cover

Den "wahren" Jesus werden wir nicht mehr finden können. Dazu ist die Überlieferung über ihn in den Evangelien einfach bereits zu sehr von seinen ersten Gläubigen überformt worden. Paulus zum Beispiel scheint noch keine Wunder Jesu zu kennen, doch schon 30 Jahre nach Jesu Tod ist Jesus zum Wundertäter mutiert.

Es geht vor allem auch darum, aufzuzeigen, wo das Bild der Kirchen von Jesus sicherlich nicht der historischen Wirklichkeit entsprechen dürfte, wo also nicht Jesus spricht, sondern eher die sich zu Unrecht auf ihn berufende Kirche. Und dazu gibt es aus wissenschaftlicher Sicht schon einiges zu sagen.

Welche Zielgruppe möchten Sie mit Ihrem Buch ansprechen?

Die Person Jesus fasziniert selbst im 21. Jahrhundert noch Gläubige wie Ungläubige, und Jesus-Bücher sind deshalb immer wieder erstaunlich oft gefragt. Die Zielgruppe ist deshalb potenziell sehr groß. Natürlich würde ich mir wünschen, dass besonders Gläubige meine Bücher lesen, eben weil sie bewusst jenseits der religiösen Kitschliteratur positioniert sind. Gerade Gläubige könnten mit allerhand Aha-Erlebnissen rechnen. Religionskritiker sind an den Themen ohnehin interessiert.

Denken Sie, dass es auch Leserinnen und Leser geben wird, denen diese Art der Darstellung nicht gefällt?

Selbstverständlich. Nicht jeder Gläubige möchte unbequeme Fakten hören über seinen Glaubenshelden. Gläubige wollen nichts wissen von Jesus Irrtum vom Kommen des Reiches Gottes, seiner latenten Ausländerfeindlichkeit, seinem Höllenwahn. Sie wollen ihn als Befreier und Erlöser verstehen, der für alle Menschen eine Botschaft hat. Dabei war Jesus bis zu seinem Tod gläubiger Jude, er hatte mit dem entstehenden Christentum praktisch nichts zu tun. Und wenn man ihn ernst nimmt, dann hätte er damit auch nichts zu tun haben wollen. Denn die Christen haben mit Jesus einen Menschen zum Gott gemacht und das ist das schlimmste Verbrechen, das für einen gläubigen Juden denkbar ist.

Sie sind als "religionskritischer Theologe" bereits bekannt. Welche Absicht verfolgen Sie mit der sehr erfolgreichen Trilogie "Jesuswahn", "Dogmenwahn", "Glaubenswahn"?

Mein Buch "Der Jesuswahn" zeichnet nach, wie sich die Christen im Laufe der Zeit ihren Gott und sein angebliches Heilswerk erschaffen haben. Ich referiere die Ergebnisse der historisch-kritischen Forschung, die von kirchennahen Professoren zwar erarbeitet wurden, aber in den Kirchen meist nicht bekannt sind. Dort wird (obwohl die Pfarrer ja selbst auch studiert haben) noch ein Jesus gepredigt, als habe es die ernüchternden Forschungsergebnisse der letzten 200 Jahre gar nicht gegeben.

Das Buch "Dogmenwahn" zeigt an zeitgenössischen Dogmatiken, wie absurd wirklichkeitsfremd die sogenannte dogmatische oder systematische Theologie auch heute noch arbeitet und dabei ebenfalls auf die Ergebnisse der historisch-kritischen Forschung nahezu verzichtet.

Und schließlich zeigt mein Buch "Der Glaubenswahn" die negativen Seiten des alttestamentlichen Gottes auf, die in der Kirche praktisch nie thematisiert werden und über die Gläubige gerne hinweglesen, zeigt den alttestamentlichen Gott Jahwe als üblen Gewalttäter, mitleidlosen Choleriker und extremen Ausländerfeind.

Wenn Sie einen Wunsch beim Buchhändel frei hätten, welcher wäre das?

Der Buchhandel setzt meist auch eher auf religiösen Kitsch als auf Kritik, weil sich solche Bücher offenbar immer noch verkaufen lassen. Dabei gibt es viele Leser, die auf kritische Literatur in diesem Bereich geradezu warten. So hat sich mein erstes Buch "Der Jesuswahn" sehr gut verkauft. Der Buchhandel sollte meiner Meinung nach mehr Mut haben, auch kritische Bücher zur Religion anzubieten. Der Anteil der religionslosen Menschen in unserem Land ist ja inzwischen größer als der der Katholiken oder Protestanten.

Das Interview führte Franziska Altepost für den BuchMarkt Februar 2020, Seite 64–66. Nachveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Dr. Heinz-Werner Kubitza, Jesus ohne Kitsch – Irrtümer und Widersprüche eines Gottessohns, Tectum 2019, ISBN 978-3-8288-4339-4, 19,90 Euro

Dr. Heinz-Werner Kubitza, Jesuswahn – Dogmenwahn – Glaubenswahn, Eine Kritik des Christentums in drei Bänden, Tectum 2019, ISBN 978-3-8288-4321-9, 38,00 Euro

Unterstützen Sie uns bei Steady!