Interview mit Mina Ahadi

"Islamisten betrachten Frauen als Ware"

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Mina Ahadi

Warum ist der Weltfrauentag, der jährlich am 8. März begangen wird, heute noch wichtig? Und was bedeutet er insbesondere für Frauen in islamisch geprägten Ländern? Über diese und andere Fragen sprach der hpd mit der Islamkritikerin und Menschenrechtlerin Mina Ahadi.

hpd: Frau Ahadi, Warum ist der Weltfrauentag heute noch wichtig? 

Mina Ahadi: Der Weltfrauentag ist auch heute noch wichtig, weil Frauen nach wie vor in der Welt unterdrückt werden. Frauen werden immer noch nicht für gleiche Arbeit gleich entlohnt und sind betroffen von struktureller Benachteiligung, von häuslicher Gewalt und von sexueller Belästigung. Es ist wichtig auf solche Probleme aufmerksam zu machen und gegen sie vorzugehen. Und es ist ebenfalls wichtig, sich bewusst zu machen, dass wir viele Errungenschaften, die wir heute genießen, den fortschrittlichen Bewegungen der Vergangenheit zu verdanken haben.

Durch meine eigene Lebensgeschichte ist mir zugleich bewusst, dass diese Errungenschaften keine Selbstverständlichkeiten sind und dass sie ebenso schnell verloren gehen können, wie sie erkämpft wurden. Im Iran musste ich erleben, dass es mit dem Erstarken des politischen Islam zu einer fundamentalistischen Konterrevolution kam, die uns Frauen alle Rechte gestohlen hat. Denn die Islamisten betrachten – ganz ähnlich wie Rechtspopulisten und Rechtsextreme – Frauen als Ware, über die Männer je nach Belieben verfügen dürfen. Das hat sich bis heute nicht geändert.

Wie könnte sich die Situation in den islamisch geprägten Ländern für Frauen verbessern? 

Ein Problem ist sicher die Denkhaltung vieler Menschen, dass man den Islam und die islamischen Regierungen reformieren könnte. Das ist aber leider nicht der Fall, da diese Systeme keine Veränderung wollen und fortschrittliche Reform- und Protestbewegungen im Keim ersticken. Das iranische Regime zum Beispiel geht mit Gewalt gegen jedes Emanzipationsstreben vor, das sein ideologisches Fundament ins Schwanken bringen könnte. Daher ist es umso wichtiger, dass auch Menschen in Europa ihre Solidarität mit der iranischen Menschenrechtsbewegung bekunden und Stellung gegen den politischen Islam beziehen. Die Antwort kann dabei keine oberflächliche Reform sein, sondern ist grundsätzlicher Natur. Denn ein barbarisches, faschistoides Regime, in dem Scharia-Gesetze gelten und damit Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung stehen, muss abgeschafft werden. Das habe ich schon 1979 so gesagt und muss es heute leider wiederholen.

Sie zählen zu den schärfsten Kritikerinnen des Kopftuchs. Was ist Ihre Position dazu? 

Das Kopftuch ist nicht nur ein harmloses Stück Stoff oder normales Kleidungsstück, sondern ein Symbol für eine patriarchale Kultur, in der Frauen nicht als gleichwertig angesehen werden. Es ist ein politisches Instrument, um die Religion in das Privatleben der Menschen zu verankern und Macht über sie auszuüben. Und es verschleiert die Individualität und Selbstbestimmung der Frau. 

Während mutige Frauen derzeit im Iran gegen das Kopftuch und den Kopftuchzwang protestieren und deswegen harte Strafen befürchten müssen, relativieren viele vermeintliche Feministinnen und Linke dieses frauenfeindliche Symbol oder deuten es sogar als Ausdruck von Freiheit und Selbstbewusstsein um. Damit verraten Sie aber das feministische Projekt und schlagen sich – ob gewollt oder nicht – auf die Seite der Islamisten. 

Wie wird der Protest gegen den Kopftuchzwang in den islamisch geprägten Ländern wahrgenommen? 

Es wird momentan sehr viel darüber diskutiert und es gibt eine große Bewegung gegen diese Form der Unterdrückung. Bei dem Protest von Vida Movahed, die ihr Kopftuch öffentlich abgelegt hat, ist ein Bild entstanden, das um die Welt ging und das auch in den sogenannten islamischen Ländern große Beachtung fand. Sie ist ein Symbol für mutige Menschen, die seit Jahren gegen den Kopftuchzwang kämpfen. Viele andere Frauen fühlen sich dadurch bestärkt, ihre Stimme gegen den religiösen Gruppenzwang zu erheben.

So wurde erst vor kurzem eine Iranerin zu zwei Jahren Haft im Gefängnis verurteilt, weil sie gegen die Kopftuchpflicht demonstriert hat. Die junge Frau zeigte vor Gericht keine Reue, sondern stand zu ihrer Überzeugung und versuchte den Richter von ihrer Position zu überzeugen. Dieser Mut ist womöglich der Anfang einer Frauenrevolution, die die Welt verändern kann. 

Liebe Frau Ahadi, herzlichen Dank für das Interview!