Islamistische Mode-Influencerinnen auf Propagandafeldzug in der Kölner Innenstadt – und der Woke-Feminismus schweigt

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Ein Beispiel für Mode mit Hijab
Mode mit Hijab

Während Frauen in Iran und Afghanistan gegen den Hijabzwang und seine Konsequenzen demonstrieren, macht sich in der muslimischen Influencer-Szene westlicher Migrationsländer ein Trend zur Glorifizierung der Verhüllung breit. Am Beispiel einer Verschleierungs-Anprobe in der Kölner Schildergasse wird erklärt, warum das Kopftuch mehr als nur ein "Stück Stoff" ist und warum Selbstbestimmung ohne Gleichberechtigung freiwillige Unterdrückung bedeutet.

Als "Hijab Try on" werden sie angekündigt, die über 188.000 mal geliketen Kurzvideos auf dem Instagram- und TikTok-Kanal der Bekleidungsmarke ABAYA SULTAN. ABAYA SULTAN stammt aus dem Kölner Vorort Pulheim und "hat es sich als Ziel gesetzt Schwestern bei ihrer Bedeckung zu unterstützen". Im "Try on"-Reel werden junge, eher westlich gekleidete Frauen zuletzt auf der Kölner Shoppingmeile Schildergasse angesprochen und zur Anprobe einer muslimischen Vollverschleierung – der Abaya – motiviert. Eine in der Anfangssequenz schüchtern wirkende und modern gekleidete junge Frau wird auf offener Straße mit einem Gewand aus der ABAYA-Kollektion bekleidet, um danach im Spiegelbild mit der Veränderung konfrontiert zu werden. Begleitet wird der Akt von sogenannten "Nasheeds" – eine spirituelle Musikform islamischer Lobpreisungen und Hymnen. Mit begeisterten Ausdrücken wie "gorgeous" (deutsch: "großartig") wird der neue Look kommentiert. Das Abaya-Testimonial präsentiert schließlich freudestrahlend mit schwingender Pose das reizarme Outfit. Ihr aktuellstes Anprobevideo veröffentlichte ABAYA SULTAN am 3. Juni 2023. Über die Storyfunktion hält ABAYA SULTAN mit Angeboten und neuen Kollektionen täglichen Kontakt zur Follower-Gemeinde.

Die Try-On-Videos sind ein Reichweiten-Schlager auf den Social-Media-Kanälen von ABAYA SULTAN. Auf Instagram und TikTok verbucht das ABAYA SULTAN-Profil über 70.000 Follower und erzielt mit einem Anprobe-Reel hunderttausende Likes. Neben den Anprobe-Reels setzen professionelle Models die Gewänder an verschiedenen Orten Kölns in Szene. Auffallend ist, dass die Schleier hier oft inklusive Gesichtsverschleierung getragen werden, sodass lediglich die Augenpartie sichtbar ist. Dabei handelt es sich um eine außerordentlich konservative Verhüllungsform, die so in den islamistischen Unrechtsstaaten Afghanistan, Saudi-Arabien und dem sogenannten Islamischen Staat (IS) populär ist. Laut Impressum des Online-Shops ist die Firma auf Sultan Ulu in der Kleinstadt Pulheim im Rhein-Erft-Kreis angemeldet.

Ob ABAYA SULTAN den Strukturen des Politischen Islam in Deutschland zugehörig ist, konnte durch Recherchen nicht festgestellt werden. Ins Auge fällt jedoch, dass als Marketing-Kulisse häufig die Ditib-Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld verwendet wurde. Durch die Dreherlaubnis in und auf dem Ditib-Gelände liegt eine beidseitige Sympathie zwischen ABAYA SULTAN und der Ditib-Zentralmoschee nahe. Ditib ist der türkischen Religionsbehörde Diyanet unterstellt. Ditib-Imame sind türkische Staatsbeamte. Somit kann Ditib als verlängerter Arm des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan nach Deutschland bezeichnet werden. Aus Ditib-Moscheen sind Spionagefälle gegen Dissidenten, Wahlwerbung für Erdoğan, Instrumentalisierung von Kindern für völkerrechtswidrige Kriegseinsätze in Syrien und homophobe religiöse Literatur bekannt. Ditib-Vereine gehören zum Organisationsgeflecht des Politischen Islam in Deutschland und sind dem türkischen Islamismus zuzuordnen.

Islamistische Influencerinnen: Die Strategie des Politischen Islam auf Social Media

Öffnet man die Reels von ABAYA SULTAN einmal oder mehrfach auf dem Smartphone, so spült der Instagram-Algorithmus unterschwellig Video- und Profilvorschläge an die Bildschirmoberfläche, die sich in ihrer Normalisierung und Idealisierung des Hijabs einen. Ganz unverhohlen klingt es bei dem amerikanischen Vorbild von ABAYA SULTAN – Urban Modesty (deutsch: "Urbane Bescheidenheit"): "If you got modesty, we got you covered" (frei übersetzt: "Wenn du bescheiden bist, haben wir für dich das Richtige"). Andere Statements der Accounts hijabmodern.fh oder amal_tvv kommen subtiler daher: Hier werden positive Kommentare von Passantinnen zum Kopftuch werblich verbreitet oder eine junge Muslimin gezeigt, wie sie einem muslimischen Waisenkind im Grundschulalter ein rosa Kinderkopftuch umbindet – "als Trostspender".

Die Videos sprechen eine gemeinsame Sprache: Zu Feiern seien junge, selbstbewusste muslimische Frauen, die sich freiwillig für die Verhüllung entschieden haben. Die sogenannten "Hijabis" möchten die Kopfbedeckung in ein positives Licht rücken und mit dem Bild der "unterdrückten muslimischen Frau" aufräumen. Der Schleier symbolisiere Empowerment, (Selbst-)fürsorge, Bescheidenheit sowie Diversität. Ein Mechanismus, der sich auch in der Doppelstrategie von namenhaften Vertretern des Politischen Islam wiederfindet.

Wie zum Beispiel bei der Muslimbruderschaft, der Dachorganisation islamistischer Gruppierungen. Unter ihrer Obhut versammeln sich terroristische Gruppen, wie Al Qaida oder Hamas, aber auch legalistische Vereine und Verbände, wie die in Deutschland wirkende, arabisch beeinflusste Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. (DMG) oder die türkisch geprägte Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG). Für westliche Migrationsländer sieht die Muslimbruderschaft eine legalistische "Missionierung" vor: Nach außen (d.h. gegenüber der Mehrheitsgesellschaft) zeigt man sich demokratisch, moderat, vielfältig und tolerant, während nach innen (d.h. innerhalb der religiösen Gemeinde) eine repressive, islamistische Doktrin verbreitet wird. Diese bewusste Täuschung kann als Teil der "Dawa" (religiöse Propaganda) gelten, um langfristig durch die Instrumentalisierung der Demokratie eine islamische Ordnung (ein Kalifat) zu etablieren1. Der Muslimbruderschaft-Schüler und türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat dieses Kalkül mit folgender Rezitation pointiert: "Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten."

Durch die empirische Realität zum Beispiel im Iran ab 1979, im syrisch-kurdischen Afrin unter der türkischen Besatzung seit 2018 und anhand der Entwicklung muslimischer Gegengesellschaften im Westen konnte beobachtet werden, dass islamistische Machtübernahmen immer mit einer flächendeckenden Verschleierung von Frauen einhergehen. Hinzuzufügen wäre dem Zitat Erdoğans also, dass das Kopftuch die Flagge des Politischen Islam ist und die Uniformierung muslimischer Frauen bedeutet.

Die Sprache des globalen Islamismus lässt also ein absurdes Ost-West-Gefälle erkennen: Wenngleich im Nahen und Mittleren Osten sowie in mehrheitlich muslimischen Ländern des sogenannten Globalen Südens die Scharia inklusive sämtlicher "Verhüllungsvorschriften" mit Gewalt umgesetzt werden, stellt sich in westlichen Demokratien eine strategische Unterwanderung mit demokratischen Mitteln als äußerst effektiv heraus. Es lässt sich die These aufstellen, dass zum Beispiel im Iran die Sittenpolizei und moderne Kameras chinesischer Technik benötigt werden, um die Einhaltung der Kleiderordnung im öffentlichen Raum zu kontrollieren. Das demokratische Äquivalent der Sittenpolizei im Kleinen findet sich auf den Straßen Kölns durch die islamistischen Influencerinnen von ABAYA SULTAN wieder. Statt unmittelbarer Gewalt ist ihr Ziel, mit hippen Anprobevideos und jeder Menge Social Media-Aufmerksamkeit jungen Frauen die Verhüllung schmackhaft zu machen.

In Afghanistan und Iran stehen Frauen mit wehenden Haaren der scharfen Munition von Islamisten gegenüber. Im Westen scheint ausgerechnet ein Großteil der Feministinnen auf den Trick der Islamisten hereingefallen zu sein. Kritik an der islamischen Verhüllung wird von einigen woken Feministinnen im Westen als rassistisch, kolonialistisch oder islamophob diffamiert. Der Hijab wird teilweise gar als feministisches Symbol umgedeutet. Auf eine kritische Durchleuchtung der Verschleierungsdoktrin wartet man vergeblich. Dabei gäbe es Grund genug, dass Kopftuch als ausgesprochen sexistisches Symbol und frauenfeindliche Praxis zu bewerten.

Das Patriarchat hinter dem Kopftuch: Ein Sargnagel für den Feminismus?

Verhüllungsformen von Hijab über Abaya bis Burka sind Produkt einer spezifisch muslimischen Auffassung des Sexualtriebes. Westlich-demokratische Gesellschaften bereiten ihre Mitglieder über die Verinnerlichung von Verboten (z.B. Inzesttabu oder Strafbarkeit von sexualisierter Gewalt) auf die Zivilisierung sexueller Urenergien vor. Gemeinschaften "in denen der Schleier getragen wird (...) greifen auf die Geschlechtertrennung für noch unverheiratete Frauen zurück, schreiben eine Kopfbedeckung oder ähnliche Maßnahmen vor, beispielsweise den Schleier, halten die Frauen im Harem oder erfinden andere Formen der permanenten Überwachung." (Murdock, George Peter 1949).

Entlang dieser unterschiedlichen Sexualitätsregulation stellte die marokkanische Feministin und Soziologin Fatima Mernissi in ihrem Werk "Beyond the Veil: Male-Female Dynamics in Modern Muslim Society" 1975 die These auf, dass westlichen Gesellschaften ein passives Frauenbild zu Grunde liege und islamische Gesellschaften von einem aktiven Frauenbild geprägt seien. Jene Auffassung der Frau als aktivem Reiz für den männlichen Triebhaushalt sei Ausgangspunkt dafür, dass weibliche Präsenz Männer vom Gottesdienst ablenken und fitna (arabisch, zu deutsch: "Unruhe", "Häresie") verursachen würden. Zu groß sei die Versuchung, es könne zina (arabisch, zu deutsch: "außerehelicher Sex") passieren. Islamisch geprägte Ordnungen können derart stark von dieser Auffassung beeinflusst sein, dass die Koexistenz von einem Mann und einer Frau in einem Raum unmittelbar überwachende Augen der Community auf sich zieht und nicht selten mit der Überlieferung Mohammeds – "Ein Mann ist mit keiner Frau allein, ohne dass der Teufel nicht der Dritte wäre" – kommentiert wird.

Dieses Narrativ gepaart mit einem ehrkulturellen Dogma der vorehelichen Jungfräulichkeit ist das Fundament eines ganzen Registers an Präventions- und Sanktionsmaßnahmen zur Aufrechterhaltung der weiblichen Reinheit. Neben der familiären Einmischung in alle Lebensbereiche, die Kontrolle sozialer Kontakte, die genitale Verstümmelung von Frauen (FGM), Verheiratung von Kindern, die arrangierte Ehe oder Zwangsheirat ist das Kopftuch ein maßgebliches Instrument zur Tabuisierung der weiblichen Sexualität. Schon im vorpubertären Alter lernen Mädchen von muslimischen Eltern, dass ihr Geschlechtsteil "unrein" und ein Ort der Sünde sei. Mädchen wird die Entdeckung des eigenen Körpers untersagt, sportliche Bewegung ab einem bestimmten Alter reduziert und gemischtgeschlechtliche Interaktion streng reglementiert. Wenngleich merken muslimische Mädchen, dass ihre Brüder keine Grenzen gesetzt bekommen und ganz im Gegenteil die männliche Beschneidung als Ritus zur Erlangung von Männlichkeit zelebriert wird. Mit der Pubertät findet eine Zäsur in der Entwicklung von jungen Frauen statt. Aufgrund der Geschlechtsreife werden sie zur Gefahr für die Familie und so müssen neue Maßnahmen zum "Schutz" der "Unbeflecktheit" her. Ab der Adoleszenz setzt man muslimische Frauen unter Druck, mit einem Kopftuch "Reinheit" zu symbolisieren.

Spätestens mit dem Anlegen des Hijabs muss auch eine Veränderung im Habitus muslimischer Frauen einhergehen. Die von ABAYA SULTAN romantisierte "#Hijabtransformation" hat in der Realität von vielen Musliminnen abrupte Folgen für ihre Lebensführung. Verschleierte Frauen gelten als sittsam, bescheiden und schamhaft. Von ihnen wird eine Zurückhaltung im öffentlichen Leben und das Meiden annähernd sexueller Anregungen verlangt. Diese Rollenerwartungen sind weit gefasst. Dazu gehört das Scheuen von Blickkontakt zum anderen Geschlecht, das Senken der Stimme, der Verzicht auf Sport oder Radfahren vor "männlichen Blicken" und das Verbot von Aufmerksamkeit erregenden klackernden Absätzen.

In Ländern mit Hijabgebot verlieren muslimische Frauen viel mehr als ihre Bekleidungsfreiheit. Frauen werden de facto und de jure als ein "halber Mensch" behandelt. Ihre Stimme gilt bei der politischen Wahl sowie in Zeugenaussagen vor der Justiz nur zur Hälfte. Und im Erbfall werden Frauen um den halben Anteil gegenüber einem Mann benachteiligt. Auch im alltäglichen Sprachgebrauch muslimischer Gesellschaften ist von der mit nur einem "halben Kopf" ausgestatteten Frau die Rede. Ziel dieser Bevormundung ist es Frauen rechtlich, finanziell und sozial von Männern abhängig zu machen. Weil Frauen in der Regel keine andere Wahl als dieses patriarchale Familiensicherungsnetz haben, stehen sie oft in der Sackgasse diese Entrechtung vom Hijab bis zur häuslichen Gewalt zu ertragen.

Die Option des "Try on", die von ABAYA SULTAN demonstriert wird, steht somit innerhalb der traditionellen muslimischen Community überhaupt nicht zur Debatte. Einmal angelegte Kopftücher können nicht einfach wieder abgelegt werden. Die mit dem Kopftuch markierte Segregation vom männlichen Gesellschaftsteil ist nicht folgenlos aufhebbar. Als "ehrbar" angesehene Frauen werden zur Schande der Familie, wenn sie ihr Kopftuch ablegen. Die Sanktionen der Community reichen vom Ausschluss bis in den schlimmsten Fällen zum Ehrenmord. Die Reaktionen der islamischen Sittenpolizei im Iran auf "nicht anständig" sitzende Kopftücher, wie im letzten Jahr die Ermordung der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini, deuten auf den perversen Dualismus aus "Überwachen" und "Strafen" hin, der sich hinter dem Hijab verbirgt. Manchmal reicht nur die kleinste Strähne aus, um innerhalb der Gemeinschaft in Verruf zu geraten.

Obskur ist nebenbei auch, welches Männerbild hinter der Verhüllung von Frauen steckt, wonach die Wahrnehmung von Haaren bereits sexuelle Übergriffe "provozieren" könnte. Pointiert wird die patriarchale Ideologie des Kopftuches im islamistischen Propagandamaterial der Bonbon-Metapher, wie zum Beispiel auf einer Werbetafel in Teheran (Iran), wo es heißt: "Eingepackte Süßigkeiten halten Fliegen fern, während geöffnete Bonbons Ungeziefer anziehen." Untertitelt wird das Ganze mit "Schleier ist Sicherheit". Nicht Männer müssen demnach über Selbstkontrolle verfügen, sondern Frauen, indem sie sich verhüllen. Eine Errungenschaft des Feminismus war es einst, die Verharmlosung von Vergewaltigungen in Form des sogenannten "Victim-Blaimings", ergo dem Opfer die Verantwortung für Übergriffe zu geben, zurückzuweisen. Im Hijab-Narrativ findet allerdings nichts anderes statt: Frauen wird die Schuld für sexuelle Grenzüberschreitungen gegeben. Die Mullahs im Iran argumentieren, dass die Zwangsverschleierung vor sexueller Gewalt "schützen" soll. Ganz im Gegenteil – denn diese Rechnung geht nicht auf: Sexuelle Übergriffe im Öffentlichen und Privaten sind brutale Realität für Frauen unter islamischer Herrschaft.

Soziale Erwartung, statt "freier Wille": Die attraktive Falle des Islamismus für junge Frauen

Unter diesen Umständen des Zwangs kann selbstverständlich von keiner freien Entscheidung für das Kopftuch gesprochen werden. Denn auch in westlichen Migrationsländern herrscht ein gewisser sozialer Druck, der Mädchen und junge Frauen zum Anlegen des Kopftuches nötigt. Die Kommentare "gorgeous" (deutsch: "großartig"), "from neglected diamond to protected diamond" (deutsch: "vom vernachlässigten Diamanten zum geschützten Diamanten" oder "mashallah" (deutsch: "wie Allah wollte") sowie die Bezeichnung unverhüllter Frauen als "halbnackte Huren" in und unter den Videos von ABAYA SULTAN sollen eine Privilegierung verschleierter vor unverschleierten Frauen erzeugen.

Neben der frühen gesellschaftlichen Erwartung, sich ab der Geschlechtsreife zu verhüllen, erleben junge Frauen, dass mit dem Hijab eine Steigerung des Ansehens in der Community einhergeht. Insbesondere in der muslimischen Diaspora-Gemeinschaft stehen Familien unter besonderem Druck, ihre Töchter zur Sittsamkeit zur erziehen und aus Kulturverlustängsten repressive Sexualnormen aufrecht zu erhalten. Weil im Migrationsland die Kontrollinstanzen der traditionellen Herkunftsgemeinschaft fehlen, werden Überwachungspraxen wie das Kopftuch teilweise noch stärker verfolgt, um die Jungfräulichkeit weiblicher Familienmitglieder bis zur Ehe zu garantieren. Darüber hinaus können fehlenden Integrationserwartungen sowie unklare Bleibeperspektiven eine Unsicherheit bestärken, wo der Islam mit seinen strengen Reglementierungen als Bewältigungsmechanismus leichtes Spiel hat. So sind Fälle bekannt, in denen geflüchtete Frauen aufgrund des Gefühls der Isolation den Hijab erst in Deutschland anlegten und somit vulnerable Zielscheiben für den muslimischen Gruppenzwang wurden. Unter diesem peer pressure kann von Freiwilligkeit keine Rede sein, denn die freie Wahl hätte eine unabhängige Ausgangslage und keinerlei Nachteile bei Ablehnung des Hijabs zur Voraussetzung.

Auffällig ist an der Marketing-Strategie von ABAYA SULTAN auch, dass ihre Zielgruppe maßgeblich aus jungen Frauen mit und ohne Migrationshintergrund besteht. In der Adoleszenz befinden sich Mädchen auf der Suche nach Anerkennung und Zugehörigkeit. Gerade im Zeitalter der Individualisierung und des Selbstverwirklichungsdrucks leiden junge Frauen oft unter Selbstwertproblemen oder Ängsten, Schönheitsidealen nicht gerecht zu werden. Migrantisch-muslimische Mädchen sind konfrontiert mit Identitätskonflikten zwischen den Werten der Herkunfts- und der Aufnahmekultur. Nicht selten kommt es auch zu innerweiblicher Konkurrenz, um patriarchale Rollenanforderungen internalisiert durch Neid und Missgunst zu kompensieren.

Die digitale Komplimentedusche für das Hijab-"Try on" von ABAYA SULTAN verleiht den jungen Frauen das Gefühl etwas Besonderes zu sein. Der Exklusivitätscharackter der Ganzkörperverschleierung verschafft Selbstbewusstsein und symbolisiert, Teil einer bestimmten sozialen Gruppe zu sein. Zusätzlich verschaffe die Vollverschleierung eine Befreiung vom Stress des Körperkultes. Die Rolle der sittsamen Muslimin könne in einer immer komplizierteren Welt mit unsicheren Zukunftsperspektiven sogar Orientierung spenden. Für Eltern konvertierter Töchter ist die Vollverschleierung ein Schock, womit junge Frauen in rebellischer Pose ihren Abnabelungsprozess bewerkstelligen können. Muslimische Mädchen demonstrieren mit der Abaya "ihre Kultur nicht vergessen zu haben" und können sogar erhöhte Wertschätzung genießen, weil sie die sittlichen Werte der Community noch strenger einhalten als die Elterngeneration.

Das orthodoxe Befolgen moralischer Vorgaben des Islam und die Durchsetzung repressiver Rollenbilder ist eine der wenigen Möglichkeiten für muslimische Frauen, in dem patriarchalen System Macht zu erlangen. Demnach ist die Wirkmächtigkeit muslimischer Mütter in der Erziehung und die Rolle islamistischer Frauen in der Propagandaarbeit nicht zu unterschützen. Psychologisch kann somit von einem "sadomasochistischen Charakter" (Fromm, Erich 1977/1992) gesprochen werden. "Sich selbst zu unterwerfen, um andere zu unterwerfen" scheint hier die Methode, um in der Hierarchie des Patriarchats eine Stufe hinaufzuklettern. Es kann als "Lust an der Unlust" bezeichnet werden, andere Frauen im nicht standesgemäßen Tragen des Hijabs zurechtzuweisen (wie weibliche Beamtinnen der Sittenpolizei im Iran) oder sich gegenüber unverschleierten Frauen emporzuheben sowie diese als "Huren" zu diskreditieren. Im Hijab materialisiert sich nicht nur die Grenze der Geschlechter, sondern auch die Überlegenheit von "anständigen" gegenüber "unanständigen" Frauen. So lautet es bei ABAYA SULTAN in der Instagram-Bio: "Sei die beste Version von dir selbst – Modest." (deutsch: "bescheiden").

Für Emanzipation statt "falsche Freiheit" ohne Gleichberechtigung

An dieser Stelle kommt der Woke-Feminismus ins Spiel. Die oben beschriebene weibliche Selbstermächtigung in Form der Komplizenschaft mit dem patriarchalen System wird häufig als "Empowerment" stilisiert. Die Exklusivität von "Hijabis" zelebriert man als besonders divers und die Abkehr von Schönheitsidealen wird als Akt der feministischen Subversion gelabelt. Tatsächlich ereignet sich hier allerdings eine Pervertierung ursprünglich feministischer Ideale: Statt sexueller Befreiung vollzieht sich eine Befreiung von der Sexualität. Um den Anforderungen des Sexus im Selbstverwirklichungswettkampf auszuweichen, begnügen sich sogenannte islamische Feministinnen mit der "Freiheit unter dem Schleier" (frei nach Hübsch, Khola Maryam 2014; Autorin der islamischen Ahmadiyya-Sekte). Während die zweite Frauenbewegung für Emanzipation und Gleichberechtigung kämpfte, wird nun dem Patriarchat ein Bärendienst erwiesen und die Tabuisierung weiblicher Sexualität im Namen des Islam als postkolonialer Feminismus verkauft.

Die iranischen Feministinnen damals 1979 und in der Jin, Jiyan, Azadi-Revolution heute erfüllen eine Vorbildfunktion. Sie reißen die Kopftücher ab, skandieren "Keiner ist frei, sofern nicht alle frei sind" und demonstrieren mit ihren männlichen Genossen Hand in Hand für das Ende der Geschlechterapartheid. Es geht dieser Bewegung mitnichten um die – wie im Westen oft als Projektion insistierte – selbstbestimmte Wahl für oder gegen das Kopftuch. Sie wissen ganz genau, dass sich im Kopftuch ein System aus Ehre, Scham und Schande manifestiert, das die Basis für die strukturelle Gewalt an Frauen ist. Wenn das Kopftuch fällt, fällt das islamische Patriarchat. Westliche Demokratien und Frauenrechtsbewegungen können neues Vertrauen erlangen, wenn sie islamistischen Organisationen innenpolitisch das Handwerk legen und außenpolitisch zum Beispiel den iranischen Freiheitskampf unterstützen. Dies würde Mädchen und Frauen weltweit zu mehr Gleichberechtigung, sexueller Selbstentfaltung und individuellem Selbstwert ermutigen.


1Grundmann, J. (2005): Islamische Internationalisten. Strukturen und Aktivität der Muslimbruderschaft und der Islamischen Weltliga. Reichert. Wiesbaden

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