Othello im Berliner Ensemble

Der Mythos der vermeintlichen Alphatiere

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Othello im Berliner Ensemble: Sina Martens und Ingo Hülsmann
Sina Martens, Ingo Hülsmann

Im Berliner Ensemble wird Shakespeares "Othello" gespielt. Unter der Regie von Michael Thalheimer wird lautstark um das Leben und die Liebe gerungen. hpd-Autor Thomas Hocke war bei der Premiere.

Auffällig auf den ersten Eindruck der Aus-Druck: die Bühne fast leer (Bühnenbild Olaf Altmann, Kostüme Nehle Balkhausen), die Lautstärke beachtlich. Aber wenn man die Inszenierung darauf reduziert, entsteht wiederum ein falscher Eindruck, dem einige Rezensenten erlegen sind. Denn es ist nicht eine Brüllorgie, die mit Unterstützung einer an- und abschwellenden Schlagzeugintonation (Musik Bert Wrede, die Musiker sind – im Wechsel Ludwig Wandinger/Johann Gottschlag) Akzente setzt. Sicher, es ist laut, es ist aber erkennbar, warum das so ist.

Für mich war dies die zweite Thalheimer-Inszenierung innerhalb einiger Monate am Berliner Ensemble, wo Thalheimer sozusagen Hausregisseur ist. Wie beim "Kaukasischen Kreisekreis" von Bertolt Brecht übernimmt die Lautstärke eine Funktion, die die Ängste wie auch die Überredungstaktik widerspiegelt.

Bei "Othello" wird das von Thalheimer wiederum gekonnt als Mittel eingesetzt, weil es die Ausweglosigkeit markiert, in der alle Protagonisten stecken, Othello, Jago, Desdemona, Emilia oder Cassio – der wiederum anders als bei Shakespeare sehr reduziert wirkt, nicht nur wegen der Textverkürzung. Die, die sich übermäßig stimmlich mit Männlichkeit oder durch Triebhaftigkeit gebärden, handeln fast hilflos, weil sie ihre eigene Ausweglosigkeit sehen – und können der nur brüllend entgegenschreien.

Der schwarze General Othello wird von den weißen Venezianern bewundert, solange er für sie siegt. Als er die reiche Desdemona heiratet, scheint sein Glück perfekt. Gegen die Wunden des alltäglichen Rassismus kann Desdemonas Liebe jedoch nichts ausrichten. [...] Shakespeares Tragödie über den Fremden, der gebraucht und zugleich verachtet wird, trifft ins Herz aller Debatten über Diskriminierung. (Aus der Ankündigung des Berliner Ensembles)

Othello ist bei Thalheimer nicht der schwarze General, der zwar von der weißen venezianischen Obrigkeit geduldet wird ob der siegreichen Feldzüge, er steht entblößt, aber blutüberströmt an der Rampe (ein beeindruckender Ingo Hülsmann verkörpert ihn) – er hat seine Haut zu Markte getragen, ihm bleibt aber nichts, was noch an seinen Sieg erinnert, denn das Blut wird langsam reingewaschen durch das unschuldige Weiß der Desdemona (Sina Martens sei natürlich gewürdigt), mit der er sich körperlich in Andeutungen vereinigt.

Sie hat er heiraten dürfen, weil er der Sieger ist – aber diese geduldete Gewährung hält nicht lange an, er wird wieder der Außenseiter, der er immer war, dies aber nicht erkennt, sondern zurückgedrängt hat. Und das wird ihm immer bewusster, je mehr die Intrige Jagos Wirkung zeigt, der sich bei der Beförderung übergangen fühlt. Die Rache wird dadurch zum Motiv des Jago, der nicht nur die Eifersucht bei Othello schürt. Der wird verletzlich, er wird eifersüchtig, wird in einem fast epileptischen Anfall noch hilfloser, stammelnder, einsamer. Auch die durch Stroboskop erreichte kurzfristige Aufhebung von Raum und Zeit kann das Ende nicht aufhalten.

Sicher, Thalheimer hat die Rassismus-Kritik von Shakespeare ein wenig reduziert – sie ist ihm aber nicht völlig entglitten, wie andere Kritiker bemängeln, er hat sie subtiler eingesetzt, auch dank der hervorragenden Übersetzung von Werner Buhss, dem man ein eigenes Kapitel anhängen möchte dank der Vielfältigkeit seiner theaterspezifischen Tätigkeiten.

Die Rassismus-Kritik ist nicht nur im beiliegenden Programmheft, etwa von Slavoj Žižek oder Frantz Fanon thematisiert worden, auch im Chor mit den Ku-Klux-Klan Masken, die im ersten Moment fast wie Munchs Schrei (auch das wäre logisch) wirken, wird dies angedeutet. Zwar ist die Funktion des Chores wegen der Schnelligkeit der vorgetragenen Texte oft unverständlich, aber der im Rhythmus mit dem Schlagzeug arrangierten Begleitung unmissverständlich: die, die die Mehrheit hinter sich wähnen, sind lauter – und unterdrücken Minderheiten.

So schließt sich der Kreis der von Thalheimer inspirierten Intention: der Mythos der vermeintlichen Alphatiere schwindet. So bleibt einzig die Konsequenz für Othello nur im Tod, durch Erwürgen Desdemonas oder durch Suizid.

Othello im Berliner Ensemble: Chor und Peter Moltzen, Foto: © Katrin Ribbe / Berliner Ensemble
Othello im Berliner Ensemble: Chor und Peter Moltzen, Foto: © Katrin Ribbe / Berliner Ensemble

Othello, Regie Michael Thalheimer, Premiere April 2019