Die WDR-Berichterstattung über den Ketzertag

"Das ist nur Kack!"

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Der WDR in Dortmund
Der WDR in Dortmund

Kritikwürdige Berichte des WDR in Fernsehen und Internet über den diesjährigen Ketzertag in Dortmund (der hpd berichtete) erforderten zur Schadensbegrenzung das besondere Engagement von RiR (Religionsfrei im Revier). Das Drama scheint einvernehmlich beendet.

"Das ist 'ne Sauerei, was Sie hier machen …", tönte es bei jedem aus dem Fernseher, der am 21. Juni 2019 Lokalzeit aus Dortmund im WDR anschaute. Ein Passant echauffiert sich in dieser Sendung über Aktivitäten in der "Ketzergasse", die anlässlich des Evangelischen Kirchentags 2019 in Dortmund von Religionsfrei im Revier (RiR) in Kooperation mit dem Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) und der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) errichtet wurde. Der aufgebrachte Kirchentagsbesucher deutet auf die vier Meter hohe Figur des "nackten Luthers", die zusammen mit der Moses-Figur (11. Gebot: "Du sollst deinen Kirchentag selbst bezahlen!") und dem Geldhamster ("Beendigung der Staatsleistungen an Kirchen jetzt!") Aufsehen erregte. Entschieden setzt er nach: "Das ist nur Kack!"

Einen Tag zuvor freute sich das Team der Aufklärer noch, als sich der WDR für den Dreh an jenem Freitag ankündigte. Es kommt nicht oft vor, dass Medien – gar das Fernsehen – über säkulare Aktivitäten berichten. Auf keinen Fall im gleichen Maß, das Kirchen eingeräumt wird. Oft spekulieren diesseitige Aktivisten, dass der Einfluss kirchlicher Fernsehräte und religiös hörige Redakteure dafür Verantwortung trügen. Dass Politik und große Medien die unaufhaltsame Entwicklung zu einer konfessionsfreieren Gesellschaft verschlafen, ist erkennbar. In Dortmund – so schien es zunächst – sollte es anders sein. Das TV-Team um Catherine Jaspard kam, filmte den Aufbau der Riesenfiguren, stellte Fragen und interviewte Kirchentagsbesucher. Mit Armin Schreiner von RiR sprach Michael Westerhoff, ein WDR-Journalist der schreibenden Zunft. So weit, so gut.

Der Stein des Anstoßes

Doch die Erwartungen der Aktivisten wurden noch am gleichen Tag jäh enttäuscht, als der zweieinhalbminütige Beitrag gesendet und der Text freigeschaltet wurde. Zeternde Kirchentagsbesucher und Kirchentagspräsident Hans Leyendecker kamen zu Wort. "Und mir geht es gar nicht so sehr darum, wie jemand Kirche sieht. Mir geht's darum, wie jemand Glaube sieht", meint Letzterer mildtätig lächelnd. Kein Pressesprecher der beteiligten säkularen Organisationen oder einer ihrer Fachleute war zu hören. Der begleitende Sprechertext bemühte sich um Sachlichkeit, enthielt jedoch inhaltliche Fehler und konnte vor allem nicht das einseitige Bild der teils herben O-Ton-Kommentare korrigieren. Auf jeden Fall wurde dem Anliegen des Ketzertags kein Raum gegeben – so, als säßen bei Anne Will nur Kirchenvertreter und diskutierten über den Ketzertag. Dem unbedarften Zuschauer vermittelte sich unweigerlich der Eindruck, dass da lediglich provokante Figuren auf unangemessene Weise den Frieden der kirchlichen Veranstaltung gefährdeten. "Ich fühle mich gestört …", ließ der Bericht eine Besucherin sagen. Lag hier eine Verletzung "religiöser Gefühle" vor? Gar ein Fall für den § 166 StGB ("Blasphemie-Paragraph")?

Mit keinem Wort erfuhren Leser oder Zuschauer, dass der eigentliche Ketzertag aus einer hochkarätig besetzten Vortragsreihe bestand. Der bekannte Autor Phillip Möller ("Gottlos glücklich"), der Politologe Carsten Frerk (fowid), die wissenschaftliche Koordinatorin des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw), Jacqueline Neumann, die Politikerin Ingrid Matthäus-Maier sowie der bekannte Rosenmontags-Wagenbauer aus Düsseldorf, Jacques Tilly, kommunizierten ihrem Publikum die Notwendigkeit einer umfassenden Säkularisierung Deutschlands. Der Philosoph Michael Schmidt-Salomon (Vorstandsprecher der gbs) diskutierte mit dem katholischen Dogmatiker Klaus von Stosch Bedeutung, Wirkung und Wahrhaftigkeit religiöser Dogmen.

Der Text des WDR-Journalisten Michael Westerhoff, der auf der Homepage des öffentlich-rechtlichen (!) Senders veröffentlicht wurde, stellte die Aktion in einem noch schieferen Licht dar. So behauptete er unter anderem, die "Gegner" des Kirchentags "kritisieren Kirchensteuer". Und dann heißt es: "Armin Schreiner ist wütend. Richtig wütend. Auf Gott, die Welt und den Kirchentag." Um der Sache ein wenig vorzugreifen: Inzwischen fand ein klärendes Gespräch im WDR mit dem Studioleiter des Studios Dortmund, Ralf Becker, und dessen Stellvertreter Christian Beisenherz statt. Armin Schreiner konnte seine Sicht speziell auf die Berichterstattung durch Herrn Westerhoff darlegen. Da ich beim Ketzertag aktiv beteiligt war und außerdem durch meine Arbeiten für ZDF und hessischen Rundfunk das TV-Geschäft gut kenne, begleitete ich ihn nach Dortmund, um den Fall für die Gesprächspartner beim Sender verständlich zu machen. Wir sind also mit konstruktiven Absichten und gedämpften Erwartungen zum Studio Dortmund gefahren.

Wer miteinander spricht, lernt voneinander

Dieses Gespräch fand in sehr freundlicher Atmosphäre statt und war von großem wechselseitigem Verständnis geprägt. Herr Becker begründete die von säkularer Seite wahrgenommene inhaltliche Reduktion der Berichte mit dem Lokalbezug zu Dortmund. Die Abendveranstaltungen seien für den Sender uninteressant gewesen, da dort nur "Talking Heads" zu sehen gewesen wären. Für die weiter oben zitierten Sätze, die Herrn Schreiner als "Wutbürger" darstellen, konnte die Studioleitung indes keine Erklärung präsentieren. Sie sind auch nicht durch das aufgezeichnete Interview zu belegen. Im Vorfeld dieses Termins bemühten sich etliche Personen mit gutem Willen um Klärung der widersprüchlichen Sichtweisen auf die Berichterstattung. Selbst der Intendant des WDR – Tom Buhrow – war involviert. Erreicht wurde die Übermittlung eines Einzelsatzes von Armin Schreiner aus dem fraglichen Interview als O-Ton-Dokument. Dieser solle eine andere Passage des Westerhoffschen Berichts belegen: "Er sagt Sätze wie 'Wir gehen zum Feind, weil der unsere Meinung nicht teilt' und meint damit Kirchentagsbesucher." Über den Ausdruck "Feind" waren einige Leser dieses Artikels irritiert. Einer attestierte Armin Schreiner sogar "Nachschulungsbedarf".

Die von mir erlebte Realität des Ketzertags zeigte ein anderes Bild: Kirchentagsbesucher und Passanten, die durch die "Ketzergasse" schlenderten und mit Aktivisten ins Gespräch kamen, zeigten sich mehrheitlich offen für die Vollendung der Trennung von Staat und Kirche. Auch die historische Einordnung Martin Luthers als Antisemit und Hassprediger verstanden viele, nachdem sie die Widersprüchlichkeit zwischen veröffentlichtem Bild und der Gedankenwelt des Reformators kennenlernen durften. In diesem Punkt erzeugt die WDR-Berichterstattung ein einseitiges Bild der Reaktionen der Kirchentagsbesucher, was nicht mit dem Lokalbezug begründet werden kann.

Der zur Verfügung gestellte O-Ton beweist die (vielleicht unbewusste) suggestive Zuspitzung durch Herrn Westerhoff: "Wir gehen äh … zum Feind, weil da die Leute sind, die möglicherweise unsere Meinung nicht teilen und wir noch Überzeugungsarbeit oder zumindest Denkanstöße geben können, dass sich an der Situation möglicherweise irgendwann mal was ändert …" Das zögerliche "äh" bestätigte Armin Schreiners Erinnerung, dass er die Wortwahl des Journalisten übernahm. Dieser Sachverhalt wurde indirekt unterstützt durch das Gespräch beim WDR: Keiner der Herren widersprach. Entscheidender aber ist, dass der Aufklärer mit diesem angeblichen "Feind" ausdrücklich nicht den Kirchentagsbesucher meinte. Er sagte: "… weil da die Leute sind …", also Kirchentagsbesucher, die er noch überzeugen will. Auf jeden Fall sehe er in niemandem einen Feind, weil das seinen Grundüberzeugungen zuwiderliefe. Dies wurde von Herrn Becker und seinem Stellvertreter verstanden.

Der Leser muss sich hier nicht durch weitere Detailanalysen quälen. Wichtiger war: Armin Schreiner und ich konnten in einer größeren Klammer die besondere Schwierigkeit des Zugangs säkularer Interessenvertreter zu Medien darlegen. Herr Becker wiederum überzeugte uns, dass die aus säkularer Sicht verunglückte Berichterstattung über den Ketzertag nichts mit kirchlicher Einmischung zu tun habe. Er war betroffen, dass die Ruhr Nachrichten am 14. Juni – also im Vorfeld der Veranstaltung – einen deutlich objektiveren Bericht veröffentlichten und dass auf der Homepage des ZDF zum Ende des Ketzertags ebenfalls ein ausgewogener Artikel von Marie Eickhoff erschien.

Nun folgt das erfreuliche Finale des einstündigen "Dortmunder Gesprächs":

Lösung in Sicht

Was war dessen Ergebnis? In Zukunft möchte der Studioleiter in Dortmund persönlich über Aktivitäten von RiR unterrichtet werden. Immerhin – die Fakten sind Herrn Becker und Herrn Beisenherz bewusst – repräsentieren säkulare Organisationen eine stetig wachsende Gruppe, die in wenigen Jahren mehr als die Hälfte der in Deutschland lebenden Menschen bildet. Das Anliegen zur grundgesetzkonformen Entflechtung von Staat und Kirche (seit über hundert Jahren gibt es offiziell keine Staatskirche mehr) ist unter diesem Blickwinkel wichtig und richtig. Armin Schreiner schlussfolgerte, dass dann auch die Anpassung der Gesetze dringend erforderlich sei, nicht nur die Beendigung der Staatsleistungen. Die Medien – so sein Appell an die Studioleitung in Dortmund – könnten helfen, den säkularen Bürgern zu vermitteln, dass sie nicht alleine sind mit ihren Zweifeln an Religion und deren gesellschaftlicher Funktion. Gerade die großen Qualitätsmedien könnten jenen Politikern Feuer unter dem Hintern machen, die noch immer ihre Hand schützend und kritiklos über die Glaubenskonzerne halten, obwohl nach aktuellen Umfragen das Vertrauen weiter Kreise der Bevölkerung längst zerplatzt ist.

Armin Schreiner und seine Mitstreiter im Revier sind gespannt, wie sich die Annäherung zum WDR entwickelt. Vielleicht gibt es in Zukunft objektivere Berichte als die über den Ketzertag. Die Zeichen stehen gut. Bis es soweit ist, haben wir am Mittwoch um 00:00 Uhr auf ein wichtiges Datum angestoßen: Hundert Jahre Verfassungsbruch sind rum. Es gibt viel für uns säkulare Aufklärer zu tun, denn hundert Jahre sind genug.