Pandemie und Ethik – ein verfeindetes Paar?

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Symbolbild

Covid-19 hat eine neue Welt geschaffen – in mehr Aspekten, als auf den ersten Blick sichtbar. Noch stehen die gesundheitlichen Risiken und die Auswirkungen auf die Wirtschaft im Vordergrund. Doch die Pandemie zwingt uns zu einem neuen Blick auf das Gesamtsystem, allem voran auf die Zivilisation, wie wir sie kennen.

So ziemlich alles, was wir unter Zivilisation verstehen, basiert auf Ethik, insbesondere aus humanistischer Sicht. Was darf der Mensch? Was nicht? Was sollte er tun? Was sollte er lassen – selbst, wenn er darf?

Und nun die Pandemie. Sie reichert das Portfolio ethischer Grundsatzfragen um einige bisher unbeachtet gebliebene Themenkreise an. Corona versetzt Menschen in Grenzsituationen, die wir bisher ausschließlich aus dem fiktionalen Raum kannten – wenn überhaupt.

Da ist die Frage der persönlichen Verantwortung in einer Ausnahmesituation. Auf der einen Seite das Prinzip der selbstbestimmten Existenz, getreu den Prinzipien des utilitaristischen Humanismus. Auf der anderen Seite die Auswirkungen, die unser Verhalten auf andere hat. Bei der Entscheidung pro oder contra Maske beispielsweise. Zugegeben – die Entscheidung wird uns in den meisten Fällen durch die Pandemiebestimmungen abgenommen. Doch der ethische Konflikt bleibt, ob durch Fremdbestimmung unterdrückt oder nicht.

Wenn der Alltag zum moralischen Hürdenlauf wird

Die nicht so schöne neue Welt ist gespickt mit ethischen Konflikten. Der Depression trotzen und heimlich zu Hause in der Gruppe feiern – mentales Wohlbefinden gegen Gruppeninfektion? Die Großeltern zum Spaziergang abholen – gut gegen deren Vereinsamung, schlecht für die Risikolage? Im eigenen Geschäft inoffizielle Verkaufsveranstaltungen durchführen – wirtschaftliches Überleben contra Superspreader-Event? Und auch das: Ein ganzes Volk durch Verharmlosung der Seuche in die Irre führen, um die eigene Politik zu fördern?

Dann gibt es noch diejenigen, die von sich glauben, querzudenken. Menschen, die der festen Überzeugung sind, Covid-19 sei nichts weiter als eine heftige Erkältung und die sich standhaft gegen Maskenpflicht und soziale Distanz wenden, handeln kurzsichtig. Aber handeln sie auch unethisch? Eine Antwort auf diese Frage bietet der Utilitarismus an, die Hauptströmung der auf Konsequentialismus basierenden Ethik.

Laut Konsequenzprinzip des Utilitarismus ergibt sich die Richtigkeit einer Handlung ausschließlich aus ihren Folgen, nicht aus zugrundeliegenden Prinzipien oder Ideologien. Maskenverweigerer sind potentielle Superspreader, schaden also ihren Mitmenschen – ein eindeutiger ethischer Verstoß. Das Problem dabei: Die Bevölkerungsgruppe, die den Begriff des Querdenkers für ihren Irrglauben gekapert hat, handelt in der vollen Überzeugung, sich ethisch zu verhalten, da die abgelehnten Bestimmungen in ihrer Wahrnehmung nichts anderes darstellen als eine breit angelegte Manipulation zu ihrem Schaden.

Die ethische Basisfrage stellt sich also bei denen, die Menschen auf diesen verhängnisvollen Pfad führen, aus welchen Gründen auch immer. Ob die zugrundeliegenden Motive auf politischem Kalkül, Menschenverachtung oder schlichtweg Dummheit basieren, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Ethik kennt keine Ausschlusskriterien. Auch Dummheit hat als Entschuldigung für unethisches Verhalten keine Berechtigung.

Leben oder Tod – ethische Grenzerfahrungen

Der moralische Abgrund ethischer Konfliktsituationen tut sich in Gebieten mit extrem hohen Infektionszahlen auf, dort, wo die medizinischen Einrichtungen nicht mehr zur Behandlung aller Covid-Fälle ausreichen. Dort, wo Ärzte eine Entscheidung treffen müssen, wie sie aus schlimmsten Albträumen zu stammen scheint: wer behandelt werden soll und wer dem Tod überlassen werden muss.

Kein Mensch sollte gezwungen sein, eine solche Entscheidung zu treffen. Wie außergewöhnlich die aktuelle Situation ist, beweist sich aus der Tatsache, dass in vielen Fällen trotzdem kein Weg daran vorbeiführt, Tag für Tag aufs Neue. Und dass weitere Menschen – Krankenschwestern, Pfleger, Hilfskräfte – gezwungen sind, solche Entscheidungen umzusetzen.

Konflikte dieses Ausmaßes stehen klassischen ethischen Grundsatzfragen in nichts nach, beispielsweise dem Dilemma, ob ein als Waffe genutztes vollbesetztes Verkehrsflugzeug abgeschossen werden darf, um ein ebenfalls vollbesetztes Fußballstadion zu retten.

Aber das ist ein anderes Thema.

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