Politischer Islam durch die Hintertür: Erste Absolventen des "Islamkollegs Deutschland" zertifiziert

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Symbolbild
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Ein "Meilenstein" für das muslimische Leben der Bundesrepublik sei das Islamkolleg Deutschland mit Sitz in Osnabrück. Zweck des Islamkollegs ist die theologisch-praktische Ausbildung von deutschsprachigen Imamen und religiösem Betreuungspersonal für die ansässige Moscheenlandschaft. Ende September fand die feierliche Zertifizierung des ersten Absolventenjahrganges von 26 zukünftigen Predigern, Seelsorgern und Gemeindemitarbeitern statt.

Die Deutsche Islamkonferenz (DIK) und das Bundesinnenministerium versprechen sich vom Islamkolleg, mit unabhängigem religiösen Personal radikalen Einflüssen und Auslandsbindungen der Verbandsimame entgegenzuwirken. Der Staat setzt hier nicht nur erneut auf die falschen Partner, sondern auch auf die falsche Strategie. Statt Radikalisierung zu bekämpfen, macht der Staat Akteure des Politischen Islam durch die Hintertür salonfähig. Ein Unterfangen, das in Zeiten des grassierenden Islamismus auf deutschen Straßen besonders alarmierend ist.

1. "Imame made in Germany"

Die Funktion eines in Deutschland praktizierenden "Imams" ist keine geschützte Berufsbezeichnung. Die Tätigkeit des Predigers kann im Grunde von jedem ausgeführt werden, der theologische Expertise und Vertrauen in der Gemeinde besitzt. Eine formale Qualifizierung ist nicht notwendig. Kompetentes Anleiten von Ritualen und Gebeten genügen.1

In den meisten deutschen Moscheen werden Prediger durch Verbindungen zu muslimischen Herkunftsländern bereitgesellt. Imame der DITIB – Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion, der ATIB – Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa und der IGMG – Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş sind türkische Beamte, angestellt bei der staatlichen Religionsbehörde der Türkei DIYANET. Mittlerweile führt die DITIB auch "Imam-Akademien" in Deutschland durch. Ähnlich dazu werden auch die Prediger des türkischen VIKZ – Verband der islamischen Kulturzentren und diejenigen der Ahmadiyya Muslim Jamaat in vereinseigenen Ausbildungslehrgängen in Deutschland qualifiziert. Sunnitische Gemeinden rekrutieren ihre Imame aus Ägypten, Syrien, Katar, Bosnien, Albanien oder nordafrikanischen Ländern. Schiitische Imame haben ihre Herkunft oft im Iran oder in anderen schiitischen Regionen. Sie sind meist Mitglieder im Netzwerk der Islamischen Gemeinschaft der Schiiten in Deutschland (IGS), das unter Federführung der Islamischen Republik Iran steht. Mächtigen Einfluss in der IGS hat das Islamische Zentrum Hamburg (IZH). Hierzu schrieb der Verfassungsschutz bereits 2016: "Der Leiter des IZH gilt als Vertreter des 'Revolutionsführers' der Islamischen Republik Iran in Deutschland. Die Aktivitäten des IZH sind darauf ausgerichtet, die islamische Lehre schiitisch-iranischer Prägung in Deutschland und Europa zu verbreiten". Nicht unbegründet kann die Mehrheit der deutschen Moscheen als "verlängerter Arm" autoritärer muslimischer Herkunftsländer nach Deutschland bezeichnet werden.

Die Auslandsfinanzierung- und -bindung der Imame lässt Zweifel an deren Loyalität zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufkommen. Vielmehr beherrschen jene Imame meist nicht die deutsche Sprache oder handeln gar explizit im Auftrag despotischer Herkunftsländer, wie zum Beispiel für die Islamische Republik Iran zum Export der "islamischen Revolution" oder wie die türkischen Staatsbeamten zur aktiven Separation der türkischen Diaspora-Muslime von Werten der deutschen Aufnahmegesellschaft. Die Gefahr dieser Imame als Integrationshindernis und Risikofaktor einer Radikalisierung erkannte immerhin die Deutsche Islamkonferenz (DIK) und forderte daher "Imame made in Germany". Auch die Politik wollte von der Befangenheit muslimischer Prediger gegenüber demokratiefeindlichen Islamverständnissen des Auslandes wegkommen. Also beschloss die DIK unter Leitung des damaligen Innenministers Horst Seehofer 2020 einen Richtungswechsel in der Ausbildung des Moscheepersonals: Imame, Seelsorger und Sozialarbeiter in muslimischen Glaubenshäusern sollten eine Qualifizierung in deutscher Sprache absolvieren, Unabhängigkeit vom Ausland garantieren sowie sich der Lebensrealität von Muslimen in Deutschland anpassen. Als zuständige Ausbildungsstätte wurde dafür das Islamkolleg Deutschland mit Sitz in Osnabrück ausgewählt. 2021 begann das Islamkolleg mit 55 Kollegiaten den Ausbildungsbetrieb, wovon jüngst 26 Absolventen ihre Zertifizierung erhalten haben. Das Bundesinnenministerium und das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur versicherte eine jährliche Summe von einer Million Euro Mittelzuwendung.

Die Hoffnungsbekundung an die deutsche Imam-Ausbildung verlief großspurig: "Ein Islam in, aus und für Deutschland", verlautbarte Markus Kerber, 2022 Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Der Direktor des Islamkollegs Prof. Dr. Bülent Uçar war sich sicher: "Wir werden in einigen Jahren von deutschen Muslimen sprechen."

Ob die Reformierung der Imamausbildung ihre Versprechen einhalten kann, zweifelt die folgende Abhandlung maßgeblich an. Sowohl strukturell als auch konzeptionell lassen sich einige Defizite sowie alte Muster erkennen.

2. "Unabhängig"? Weder vom Politischen Islam noch vom Staat

In seiner Zielformulierung proklamiert das Islamkolleg Deutschland "Unabhängigkeit (und) Transparenz". Das Verhältnis des Islamkollegs zu den großen deutschen Islamverbänden DITIB und IGMG, die Loslösung von Auslandseinflüssen und die staatliche Kontrolle stieß von Beginn an auf den Unmut der organisierten Moscheegemeinden. Laut Webseite beteiligten sich "muslimische Gemeindeverbände, TheologInnen, WissenschaftlerInnen und Personen des öffentlichen Lebens" an der Gründung des Islamkollegs. Ein zweiter Blick verrät, welche Islamverbände weiterhin mit im Boot sitzen: Das Bündnis Malikitischer Gemeinden, die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland (IGBD), die Muslime in Niedersachsen, der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) und der Zentralrat der Marokkaner in Deutschland (ZRMD)

Zur Bewertung des Netzwerkes des Islamkollegs Deutschland lohnt eine genauere Analyse der assoziierten Verbände IGBD und ZMD.

Kooperationspartner mit Verbindungen zur Muslimbruderschaft

Nach einer Recherche aus dem Jahr 2020 durch die renommierte Islamismus-Bloggerin Sigrid Herrmann ist vor allem Esnaf Begic unmittelbarer Ansprechpartner für das Islamkolleg Deutschland e.V. Gemäß Herrmanns Ausführungen war Begic jahrelang ein hoher Funktionär des IGBD, die als Verbindungsverband des Islamkollegs gelistet ist. Nach Herrmanns Untersuchungen finden sich einige Moscheen im Organisationsgeflecht der IGBD wieder, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden und namhafte Funktionäre der Muslimbruderschaft hofieren. Ebenfalls beteiligte sich ein IGBD-Imam an der Gründung des Europäischen Institutes für Humanwissenschaften (EIHW), der Muslimbruderschaft-Kaderschmiede mit Niederlassung in Frankfurt am Main.

Problemkind: "Zentralrat der Muslime"

Auffallend und kritikwürdig zugleich ist der Schulterschluss des Islamkollegs mit dem Zentralrat der Muslime. Als gern gesehener Gast der Politik sowie vielfach missverstanden als Repräsentation einer Mehrheit der Muslime in Deutschland, ist die problematische Essenz des ZMD mit Aiman Mazyek als Vorsitzendem weithin unbekannt. Eine Recherche von Frederik Schindler in der Welt legt die Beobachtung von zahlreichen Mitgliedervereinen des Zentralrates der Muslime durch den Inlandsgeheimdienst offen. Nachdem sich der Zentralrat, vermutlich aufgrund des öffentlichen Drucks, von seinem Gründungsmitglied und größten deutschen Muslimbruderschaft-Tarnorganisation Deutsche Muslimische Gemeinschaft (DMG) 2022 trennte, besteht die Mitgliedschaft von weiteren Muslimbruderschafts-nahen, Mullah-treuen und türkisch-ultranationalistischen Moscheevereinen unberührt fort.

Als mitgliederstärkste Kraft des Zentralrats ist die oben bereits erwähnte ATIB gelistet. Der Verfassungsschutz identifiziert ATIB als Träger von Moscheen der türkisch-rechtsextremen Grauen Wölfe. Ebenso das eingangs angeführte Islamische Zentrum Hamburg, die Auslandsdependance des klerikalfaschistischen Islamischen Regimes Iran, findet sich auf der Mitgliederliste des Zentralrates der Muslime wieder. Erst jüngst, am 16. November, führten die Hamburger Ermittlungsbehörden eine Großrazzia gegen das Islamische Zentrum Hamburg durch. Auslöser dafür ist der begründete Verdacht von antisemitischer und demokratiefeindlicher Propaganda durch die Moschee im Auftrag des Islamischen Regimes Iran. Als Reaktion auf die Hausdurchsuchungen setzte der Zentralrat "satzungsgemäß" die Mitgliedschaft des IZH kurzerhand aus. Gespräche mit dem IZH verfolgen jedoch das Ziel, die "lange Tradition des schiitischen Lebens in Deutschland zu bewahren". Von Einsicht kann hier keine Rede sein. Neben der Involvierung jener schiitischen Islamisten stellen sich die Bezüge des Zentralrates der Muslime zur Muslimbruderschaft – auch nach Lossagung von der DMG – über die fortbestehenden Mitgliedschaften des Islamischen Zentrums München und des Rates der Imame und Gelehrten her. Laut Historiker Heiko Heinisch handelt es sich beim Islamischen Zentrum München um die erste Moschee der Muslimbrüder mit Eröffnung 1973 in Deutschland. Sie gehört weiterhin zu den wichtigsten Standorten der ägyptischen Muslimbruderschaft in Europa.

Die geistige Nähe des ZMD zu Antisemitismus und Islamismus zeigt auch deren Stellungnahme zum Massaker der Hamas am 7. Oktober auf israelische Zivilisten. Statt die alleinige Verantwortung der Hamas anzuerkennen, versucht der Zentralrat der Muslime die beispiellose Terrorattacke mit folgendem Einschub zu legitimieren: "Zutiefst verstörend ist, dass Siedler flankiert durch die israelische Armee seit zwei Jahren palästinensische Dörfer und die Al-Aqsa Moschee angreifen, ohne dass die internationale Gemeinschaft eingreift." Einen Tag nach dem Blutbad greift der Zentralrat zu einer Täter-Opfer-Umkehr und reproduziert die antijüdische Legende vom Angriff auf den Tempelberg.2 Man kann also sagen: Wo Zentralrat der Muslime draufsteht, riecht es nach Muslimbruderschaft samt antisemitischem Gepäck.

Wer ist nochmal die Muslimbruderschaft (MB) und warum ist sie so gefährlich?

Die MB ist die bedeutendste Dachorganisation sunnitisch-islamistischer Gruppierungen. Ihre Gründung erfolgte 1928 in Ägypten durch Hassan Al Banna. Die Agenda der MB lautet: "Allah ist unser Ziel. Der Prophet ist unser Führer. Der Koran ist unser Gesetz. Jihad ist unser Weg. Auf dem Weg Allahs zu sterben ist unsere größte Hoffnung." Unter ihrer Obhut versammeln sich terroristische Gruppen, wie Al Qaida oder Hamas, aber ebenfalls die oben genannten, zum Beispiel im Zentralrat der Muslime organisierten legalistischen Vereine und Verbände. Für westliche Migrationsländer sieht die Muslimbruderschaft eine Doppelstrategie vor: Nach außen (d.h. gegenüber der Mehrheitsgesellschaft) äußern sie sich demokratisch, dialogbereit, unabhängig und moderat. Nach innen (d.h. innerhalb der religiösen Gemeinde) verbreitet sie eine repressive, islamistische Doktrin und schwört ihre Mitglieder auf eine demokratiegefährdende Ideologie ein. Dieses Ablenkungsmanöver kann als Teil der "Dawa" (religiöse Propaganda) verstanden werden, um langfristig durch den Missbrauch der Demokratie ein Kalifat auf Grundlage der Scharia zu errichten. Der ehemalige Chefideologe der Muslimbruderschaft Yusuf Al-Quaradawi verkündete handlungsleitend für die legalistische Strategie des Politischen Islam: "Wir werden Europa dereinst erobern, aber ohne zum Schwert greifen zu müssen."

Folgt man der Auffassung des Islamkollegs, so müssten muslimische Zuwanderer bestenfalls von einer muslimischen Gemeinschaft mit islamischen Angeboten aufgefangen und betreut werden. Flüchtlinge und Migranten werden hiernach nicht als Individuen, sondern Gruppenwesen betrachtet. Als Ergebnis erzielen wir keine Integration von muslimischen Einwanderern in die liberale Gesellschaft, sondern eine in die Strukturen des konservativen Islam. Integration über spaltende statt vereinende Identitätsmerkmale zu regeln, fördert Separation statt Inklusion.

Imam-Ausbildung in der Sackgasse

Zurück aber zum Islamkolleg Osnabrück: Die Analyse der Partnerverbände des Islamkollegs Deutschland zeigt eine eindeutige Duldung von Vorfeldorganisationen der MB im mitwirkenden Nahbereich der Akademie. Insbesondere die Zusammenarbeit mit dem Zentralrat der Muslime lässt erkennen, dass keine Berührungsängste seitens des Islamkollegs mit Akteuren des sunnitischen Islamismus (MB), ultrarechtem türkischem Nationalismus (ATIB) und Politischem Shia-Islam (IZH) bestehen. Auch die Sprache des Islamkollegs Deutschland ähnelt der Doppelzüngigkeit des legalistischen islamischen Extremismus. Der Öffentlichkeit wird eine deutsche Imamausbildung unter "gesamtgesellschaftlicher Anerkennung und wechselseitige(m) Respekt" verkauft, während hinterrücks extremistische Funktionäre und Verbände weiterhin Einfluss ausüben.

Nicht nur anhand der Partizipation jener fragwürdigen Kräfte, von denen die Imamausbildung ursprünglich Abstand nehmen wollte, stellt sich die verkündete Eigenständigkeit des Kollegs als Farce heraus. Auch die staatliche Involvierung in dieses Projekt bringt das Islamkolleg von zwei Seiten in Erklärungsnot. Die großen türkeistämmigen Verbände DITIB und IGMG lehnen eine Kooperation mit dem Islamkolleg aus Angst vor eigenem Einflussverlust und Sorge vor staatlicher Einmischung in die Lehrinhalte ausdrücklich ab. Säkulare hingegen kritisieren berechtigterweise die staatliche Übernahme von religionsgemeinschaftlichen Aufgaben und beklagen die mangelnde Neutralität des Staates. Auf die Frage "'Unabhängig', von wem?", muss ehrlich geantwortet werden: Weder von den konservativ-fundamentalistischen Islamverbänden noch vom Staat. Absolventen des Islamkollegs befinden sich in einer Sackgasse: Viele Moscheen verweigern die Beschäftigung von Islamkolleg-Absolventen wegen unzulänglicher Linientreue zum Herkunftsland und fehlender Finanzierungsoptionen für die aufwendig ausgebildeten Imame. Prof. Dr. Bülent Uçar wird daher im Zuge der Absolventenfeier nicht müde zu betonen: "Ich glaube, dass eine Zusammenarbeit mit der DITIB beiden Seiten genützt hätte. Und ich bin weiterhin optimistisch und zuversichtlich, dass eine solche Zusammenarbeit auch zustande kommen kann." Israelfeindliche Hetze am Freitag nach dem 7. Oktober in allen deutschen DITIB-Moscheen und der Vortrag eines hochrangigen Taliban-Funktionärs in der DITIB-Moschee Köln-Chorweiler am 17. Oktober setzen dieser Anbiederung noch die Krone auf. Eine Entwicklung, die für einen Islamwissenschaftler mit offenem Auge vorhersehbar war und überhaupt jede Kooperation verbietet.

3. Identitätspolitische Irrtümer der Islampolitik

Auch wenn die obige Strukturanalyse eine Anschlussfähigkeit des Islamkollegs Deutschlands an fundamentalistisch-islamisches Gedankengut nahelegt, muss die Bewertung eines Projektes zusätzlich an seinen Inhalten erfolgen. Alt-Bundespräsident Christian Wulff lobte das Islamkolleg als "große(n) Beitrag zur Integration". Ausgerechnet der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime Aiman Mazyek spricht dem Islamkolleg eine Präventionsfunktion gegenüber extremistischem Gedankengut zu. An diesen beiden Aussagen zeigen sich paradigmatisch zwei zentrale Denkfehler der deutschen Integrations- und Islampolitik.

Religiöse Integration

Beginnen wir mit der religiösen Konnotation der Integrationsarbeit: Vorausgestellt sei die Frage, in welche Gesellschaft sich zu uns kommende Menschen integrieren sollen? Ist die Aufnahmegesellschaft eine religiöse und gar islamische oder einigt sie sich auf freiheitlich-säkulare Werte? Folgt man der Auffassung des Islamkollegs, so müssten muslimische Zuwanderer bestenfalls von einer muslimischen Gemeinschaft mit islamischen Angeboten aufgefangen und betreut werden. Flüchtlinge und Migranten werden hiernach nicht als Individuen, sondern Gruppenwesen betrachtet. Als Ergebnis erzielen wir keine Integration von muslimischen Einwanderern in die liberale Gesellschaft, sondern eine in die Strukturen des konservativen Islam. Integration über spaltende statt vereinende Identitätsmerkmale zu regeln, fördert Separation statt Inklusion. Dass diese Abgrenzung im Sinne des Islamkollegs sein kann, zeigt auch das Spektrum ihres religiösen Ausbildungsangebotes: Von Predigtlehre über Seelsorge bis hin zur politischen Bildung, Gemeindepädagogik, Frauen- sowie Jugendsozialarbeit scheint alles im Rundum-sorglos-Paket der muslimischen Betreuung enthalten zu sein. Von Muslimen wird im Integrationsprozess somit keine Anpassungsleistung an die moderne Lebensrealität mehr erwartet, sondern unumwunden eine islamkonforme Parallelwelt als Auffangbecken bereitgestellt.

Mit legalistischem Islam gegen extremistischen Islamismus?

Ein ähnlicher Trugschluss liegt auch der Annahme zu Grunde, religiöse Angebote würden Menschen vor einer Radikalisierung bewahren, oder anders formuliert: Muslime wären präventiv in erster Linie über den Islam erreichbar. Der Zusammenhang von Islam und Islamismus sowie universell psychologische Resilienzfaktoren gegen radikale Versuchungen widersprechen der obigen These.

Kürzlich konstatierte der Extremismusforscher Armin Pfahl-Traughber im Interview mit dem hpd: "Je höher die Identifizierung mit dem Islam, desto höher sind auch die antisemitischen Einstellungen verbreitet." Dem wäre hinzufügen: Je stärker die islamische Religiosität, desto wahrscheinlicher die Mündung im extremistischen Islamismus. Denn: "Islam" steckt in "Islamismus", und die Persistenz religiöser Denkstrukturen begleitet eine Empfänglichkeit für radikale Weltbilder.

Solange der Islam als eine allumfassende Ideologie mit totalitären Reglementierungen für den gesamten Alltag auftritt, hat er Gemeinsamkeiten mit dem Islamismus. Was meint: Wird der Religionsstifter Mohammed eins zu eins als Lehrmeister für das 21. Jahrhundert angesehen, herrscht eine Schnittmenge mit dem Djihadismus. Existiert die muslimische Religion nicht bloß als Privatsache, sondern wird sie als politisches Herrschaftsinstrument, zum Beispiel zur Regelung des Geschlechterverhältnisses in der Öffentlichkeit aufgefasst, besteht eine zentrale Übereinstimmung mit dem Politischen Islam. Sind sakrosankter Buchstabenglaube, dichotome Weltbilder, Exklusivitätsansprüche der muslimischen Gemeinschaft, Missionierungsabsichten, Homophobie und Israelhass im Islamverständnis enthalten, so hat dieses eine Seelenverwandtschaft mit dem Islamofaschismus.

Selbstverständlich ist nicht jeder Muslim ein Islamist. Allerdings muss die Erkenntnis, dass jeder Islamist ein Anhänger des muslimischen Glaubens ist, die islamische Theologie zu einer innermuslimischen Debatte zwingen. Dies bedeutet vor allem eine kritische Koranexegese darüber zu führen, welche Passagen Gewalt begünstigen und Radikalisierung fördern. Zu nennen sind hier: Der Vergleich von Juden mit Affen und Schweinen (Sure 2 Vers 65-66), die Legitimation zum Töten von Ungläubigen (Sure 9 Vers 5) und die Abwertung von Frauen (Sure 4 Vers 34). Aufgabe der Theologie wäre es, diesen Versen die Gültigkeit in der Jetzt-Zeit zu entziehen und ihnen jede Vorbildfunktion zu untersagen. Angesichts der Ausgrenzung von kritischen Stimmen auf der Deutschen Islamkonferenz und der Kooperation des Islamkollegs Deutschland mit Muslimbruderschafts-nahen Verbänden ist diese Auseinandersetzung von der Osnabrücker Akademie allerdings nicht zu erwarten.

Natürlich kann religiöse Spiritualität in persönlichen Sinnkrisen oder bei kritischen Lebensereignissen, wie zum Beispiel einem Gefängnisaufenthalt, Seelenfrieden spenden. Fraglich ist bloß, ob diese religiöse Hilfe einen auf die Lebenswirklichkeit in modernen Gesellschaften vorbereitet oder eben von dieser distanziert. Nachweislich effektive Maßnahmen im Umgang mit gesellschaftlicher Mehrdeutigkeit und gegen Radikalisierungsanfälligkeit sind die Förderung von Empathie, kritischem Denken, Ambiguitätstoleranz und Stärkung einer individuellen Identität. Religion spielt hier eine untergeordnete Rolle.

4. Nutzen und Notwendigkeit?

Die Kardinalsfehler des deutschen Umgangs mit den Themen Islam, Integration und Radikalisierung lassen sich anhand des Islamkollegs Deutschland wie unter einem Brennglas beobachten. Hineingefallen auf die Terminologien von "Unabhängigkeit" und "deutschem Islam" betreibt der Staat wiederholt Appeasement mit Akteuren des legalistischen Islamismus. Als würde dies nicht genügen, untermauern politische Vertreter das Vorhaben des Islamkollegs noch mit Hoffnungen auf Integration und Extremismusabwehr. Doch drängt sich ganz im Gegenteil der Verdacht auf, dass hier an einer weiteren Entfremdung muslimischer Bürger von der Mehrheitsgesellschaft gearbeitet wird.

Die Ergebnisse jahrelanger staatlicher Begünstigung von falschen Partnern und falschen Konzepten brechen sich gerade mit voller Wucht auf deutschen Straßen bahn. Die Rede ist von antisemitischen Machtdemonstrationen von Islamisten in Hamburg, Berlin und Essen sowie ideologischer Terrorunterstützung durch staatlich privilegierte Moscheevereine. Daneben muss die von der Frauenrechtlerin Seyran Ateş gegründete, einzige liberale Moschee in Deutschland wegen massiver Anschlagsdrohungen durch den Islamischen Staat und aufgrund von fehlender politischer Rückendeckung schließen. Der Dialog mit dem organisierten Islam führte zur Unterwanderung demokratischer sowie bildungspolitischer Einrichtungen durch die Muslimbruderschaft3. Das Islamkolleg Deutschland ist als Teil dieser Struktur zu bewerten. Eine vernünftige Religionspolitik ist in Deutschland nur durch die Entmachtung des Politischen Islam und durch die Unterstützung einer innerislamischen Aufklärung im Stile von Mouhanad Khorchide zu machen. Die Realität lässt am Nutzen dieses Islamkollegs zweifeln und drängt einen notwendigen Bedarf an professioneller Terrorismusbekämpfung, wirklicher Radikalisierungsprävention und universalistischer Wertevermittlung in der Integrationsarbeit auf.

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1 Inspiriert von der hpd-Autorin und Islamismus-Expertin Sigrid Herrmann, die 2020 einen ersten nennenswerten kritischen Beitrag zum Islamkolleg Deutschland auf ihrem Blog "Islamismus und Gesellschaft" veröffentlichte.

2 Joseph Croitoru, Al-Aqsa oder Tempelberg. Der ewige Kampf um Jerusalems heilige Stätten. München 2021, S. 145.

3 Weiterführend hierzu Ahmad Mansour, Operation Allah: Wie der politische Islam unsere Demokratie unterwandern will. S. FISCHER, Frankfurt am Main 2022