Symposium Kortizes 2019, Teil 2

Von posttraumatischem Wachstum, glücksfördernden Managern und säkularisierten Tantra-Freuden

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In der zweiten Hälfte des Kortizes-Symposiums "Hirn im Glück" ging es in sechs Vorträgen aus Psychologie, Wirtschaftswissenschaften und Philosophie um Fragen wie: Was passiert neuronal, wenn wir singen oder im Takt wippen? Welche Widrigkeiten lauern auf dem Weg zum Lebensglück? Und: Ist Weisheit mit Glück vereinbar?

In diesem Teil 2 des Berichts über das diesjährige Symposium Kortizes geht es um die zweite Hälfte der Vorträge. Zusammenfassungen der ersten sechs Vorträge finden sich in Teil 1 des Berichts: Von Stressbewältigung über Flow-Erleben bis zum artspezifischen Liebesglück.

Die Freuden erfüllender Intimität

Dr. Vera Ludwig, Foto: © Karin Becker
Dr. Vera Ludwig, Foto: © Karin Becker

Was Sexualität zum Glück beitragen kann, legte Dr. Vera Ludwig in ihrem Vortrag am Samstagnachmittag dar. Die Psychologin und Neurowissenschaftlerin kritisierte die weitgehende Ausklammerung des Themas in der Positiven Psychologie. Gerade in Zeiten von #MeeToo sei es wichtig, die Rahmenbedingungen gelingender Sexualität zu erforschen, um sie zu fördern. Zudem mache uns sexueller Genuss nachweislich glücklicher, erklärte sie. Jedoch sei Intimität als Intervention nicht plan- und verschreibbar. Sich als Paar etwa zu zwingen, mehr Sex zu haben, um glücklicher zu werden, habe sich in Studien sogar als kontraproduktiv erwiesen.

Als Merkmale eines positiv empfundenen Sexuallebens dominierten in wissenschaftlichen Befragungen weniger eine besondere Intensität von Erregung und Orgasmus, sondern vielmehr Authentizität und Verletzlichkeit, gute Kommunikation und Flow-Erleben. Um den Weg in eine solche erfüllte Sexualität zu weisen, möchte Ludwig die Positive Psychologie um neue Elemente erweitern. Analog zum Transfer von Achtsamkeitstrainings aus buddhistischer Tradition in klinische Praxis und Coaching, sieht Ludwig bei Intimitätsfragen großes Potenzial in Übungen aus Yoga und Tantra und erkundet die Anwendbarkeit säkularisierter Teile daraus.

Wenn Glück nach der Krise höher wächst als zuvor

Dr. Judith Mangelsdorf, Foto: © Karin Becker
Dr. Judith Mangelsdorf, Foto: © Karin Becker

Was traumatische Ereignisse in Menschen auslösen, ist individuell sehr unterschiedlich. Manche zerbrechen daran, andere erweisen sich als erstaunlich resilient. Im Vortrag der Psychologin Dr. Judith Mangelsdorf ging es um ein drittes Phänomen, das im Umgang mit schwerwiegenden negativen Erfahrungen auftritt: das posttraumatische Wachstum. Wie die Leiterin der Gesellschaft für Positive Psychologie erklärte, durchlebten manche Menschen Krisen intensiv, erwiesen sich also als nicht besonders resilient, gingen aus diesen Tiefs jedoch gestärkter hervor als sie vorher gewesen seien.

In ihrer Forschung untersucht Mangelsdorf, wie ein solches posttraumatisches Wachstum unterstützt werden kann. Als hilfreich habe sich etwa erwiesen, die oft gestellte und nicht zu beantwortende Frage "Warum gerade ich?" umzulenken auf Möglichkeiten von Engagement und neuem Sinn. So erlebten es Gewaltopfer oft als für sich selbst heilsam und sinnstiftend, anderen Opfern helfen zu können. Als Symbol für ein solches neues Glück, das aus Leiden erwachsen kann, stellte Mangelsdorf einen Brauch aus Japan vor, bei dem Menschen eine zerbrochene Vase mit Gold kitten, wenn sie sehr wertvoll für sie war.

Die Zeit für Diskussion, Geselligkeit und Klangkunst

Claus Gebert am Piano, Foto: © Karin Becker
Claus Gebert am Piano, Foto: © Karin Becker

Das Publikum hatte nach den Vorträgen jeweils die Möglichkeit, Anmerkungen und Fragen einzubringen, moderiert von einem Mitglied des Kortizes-Teams, das auch die Vortragenden des Abschnittes vorstellte. Zum regen Austausch in kleinerem Kreise wurden die Kaffee- und Mittagspausen gerne genutzt. Auch der Samstagabend mit seiner Weinprobe im Atrium des Germanischen Nationalmuseums war geprägt durch Grüppchen in lebhaftem Gespräch.

Ein weiterer Teil des Publikums versammelte sich an diesem Abend um den Flügel im Café-Bereich, um einem "Vortrag" anderer Art aus der Nähe zu lauschen. Denn Kortizes-Gründungsmitglied und Pianist Claus Gebert gab dort seine Improvisationen zum Besten, die auch den Humanistischen Salon Nürnberg regelmäßig im Winterhalbjahr bereichern. Wer Youtube-Videos und Podcast-Folgen von Kortizes kennt, hat die von ihm komponierte Erkennungsmelodie des Nürnberger Salons bestimmt schon einmal gehört.

Wie Manager zu Glücksmaximierern werden können

Prof. Dr. Karlheinz Ruckriegel, Foto: © Karin Becker
Prof. Dr. Karlheinz Ruckriegel, Foto: © Karin Becker

Der Sonntagmorgen begann mit einem Vortrag des Volkswirtschaftlers Prof. Dr. Karlheinz Ruckriegel von der Technischen Hochschule Nürnberg, der über die Zusammenhänge zwischen Glücksforschung und Wirtschaft sprach. Über die Schaffung der materiellen Voraussetzungen hinaus sei es Aufgabe der Wirtschaftsordnung, ein gelingendes Leben aller zu fördern, ist er überzeugt. "Wohlstand für alle" sei auch von Ludwig Erhard nur als Mittel zum Zweck gesehen worden. Unter welchen politischen Bedingungen Glücksförderung am besten gelinge, zeigten etwa der World Happiness Report und der OECD Better Life Index, in denen skandinavische Länder stets an vorderster Front dabei seien.

Aber auch Unternehmen könnten viel für die Lebenszufriedenheit der Menschen tun, stellte Ruckriegel klar. So sei das PERMA-Konzept der Glücksforschung – Positive Emotionen, Engagement, Relationships (Beziehungen), Meaning (Sinn), Achievement (Zielerreichung) – in den "Positive-Leadership"-Ansatz der Managementlehre eingeflossen. Führungskräfte, die diesem Ansatz folgten, hielten das Verhältnis zwischen positiven und negativen Kommentaren über 6:1, bauten tragfähige Beziehungen auf, förderten gegenseitige Unterstützung und machten Erfolge und Erreichtes für alle sichtbar. Ruckriegel plädierte darüber hinaus: "Wir sollten zurückkommen zu alten Werten der Nachkriegswelt, wo nicht Gewinn im Vordergrund stand, sondern Produkte, Dienstleistungen und sinnvolle, auskömmliche Arbeitsplätze."

Glücksstiftende Illusionen: Zufrieden oder lieber weise?

Prof. Dr. Judith Glück, Foto: © Karin Becker
Prof. Dr. Judith Glück, Foto: © Karin Becker

Um das Verhältnis zwischen Freude und Weisheit ging es im anschließenden Vortrag der Klagenfurter Entwicklungspsychologin Prof. Dr. Judith Glück. Eine Erkenntnis der noch jungen Weisheitsforschung sei, dass weise Menschen nicht automatisch glücklicher sind und glückliche nicht automatisch weiser, erläuterte sie. Zwar hingen besondere Formen des Glücks durchaus mit Weisheit zusammen. So empfänden weise Menschen mehr Gefühle der Dankbarkeit – etwa für den Partner oder für Lebenserfahrung. Doch sei der Zusammenhang nicht allgemein. Das liege daran, so die Forscherin, dass vieles andere, was charakteristisch für Weisheit sei, das Wohlbefinden einschränken könne.

So zeichnet sich Weisheit etwa durch eine Akzeptanz von Unkontrollierbarkeit aus. Glücklicher lebt es sich aber mit sogenannten Kontrollillusionen, wie dem weit verbreiteten Glauben "Mir passiert schon nichts, wenn ich mich nur richtig verhalte". Ein anderes Beispiel ist die bei weisen Menschen zu beobachtende bewusste, lernende Auseinandersetzung mit negativen und schwierigen Informationen bis ins hohe Alter. Der Zufriedenheit zuträglicher sei auch hier eher der allgemeine Trend zur Bevorzugung positiver Inhalte mit steigendem Alter – der sogenannte Positivitäts-Bias. Um Weisheit zu erlangen, gilt es also auf angenehme Trugbilder zu verzichten. Das Fazit der Forscherin lautete daher: "Der Weg zur Weisheit ist steinig und steil – nicht jeder will oder kann ihn gehen."

Von der sozialen Natur unseres Musik-Vergnügens

Prof. Dr. Stefan Kölsch, Foto: © Karin Becker
Prof. Dr. Stefan Kölsch, Foto: © Karin Becker

Welche Rolle Musik für unser Wohlbefinden spielt, erörterte der Psychologe und Musiker Prof. Dr. Stefan Kölsch. Studien zeigten zunehmend, wie viele Bereiche des Hirns von Musik beeinflusst werden und welche neuronalen Strukturen ihre beruhigenden oder stimulierenden Wirkungen vermittelten. Musik könne ebenso wie Essen, Geld oder Sex das Belohnungszentrum aktivieren, doch gehe ihre Wirkung über den reinen Spaß und die Bedürfnisbefriedigung hinaus, erklärte der an der Universität im norwegischen Bergen tätige Kölsch. Denn hinzu komme ein sozialer Aspekt von Musik, der – von Teilen des Hippocampus' vermittelt – Menschen bewege und berühre.

So wie freundliches Plaudern Bindungen aufbaue und fördere, aktiviere auch gemeinsames Musizieren Wir-Gefühle. Es könne jedoch bei viel mehr Menschen zugleich beglückende Gemeinschaftsgefühle auslösen, in der Gruppe Musik zu machen. Besonders stark sei dieser endorphinvermittelte Effekt, wenn sie dazu auch ihre Bewegungen synchronisierten. Auch die nachweislich schmerzlindernde Wirkung von reinem Musikhören werde durchs Mitmachen verstärkt, so Kölsch, selbst wenn es nur das Wippen des Fußes im Takt ist oder innerliches Mitsingen.

Von Lebensglück, Sehnsucht und Melancholie

Prof. Dr. Franz Josef Wetz, Foto: © Karin Becker
Prof. Dr. Franz Josef Wetz, Foto: © Karin Becker

Einen intensiven Ritt durch die ironischen bis tragischen Aspekte menschlicher Glückssuche bot zum Abschluss am Sonntagmittag der Philosoph und Buchautor Prof. Dr. Franz Josef Wetz. In dem mit Zitaten prominenter Dichter und Denker gespickten Vortrag widmete sich der an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd lehrende Wissenschaftler den Widrigkeiten auf den Wegen zum Glück. Dabei ging es um vergleichsweise kleine Herausforderungen, wie das Ausbalancieren von widersprüchlichen Wünschen, etwa nach Geborgenheit und Abenteuer, aber auch um große Tragik, wie die des verpassten Lebensglücks im Bewusstsein eigener Vergänglichkeit.

Der Humor, mit dem er sich auch existenzieller Schwere näherte, sorgte immer wieder für Heiterkeit im Saal – etwa bei Formulierungen wie: "Wenn man morgens in den Spiegel blickt, dann guckt man ja dem Tod bei der Arbeit zu". Es ging ihm um unerfüllbare Sehnsüchte, bei denen das Glück immer nur aus der Entrückung lockt – aus der Ferne, Vergangenheit oder Zukunft. Aber auch darum, dass Erreichbarkeit und tatsächliches Erreichen von Zielen keineswegs Garanten sind für positive Emotionen. Es sei nicht ungewöhnlich, wenn Menschen bei Abschluss auch persönlich wichtiger Projekte nicht Freude fühlen, sondern Leere und Melancholie. Doch trotz aller Hindernisse gäben Menschen die Suche nach dem Glück nicht auf, "solange noch Sehnsuchtsfenster offen sind."

Eine Nachlese zum Symposium mit Links zu Presse-Artikeln findet sich unter kortizes.de/symposium/symp2019/. Dort sind auch Folien einiger Vorträge verlinkt.

Das nächste Symposium Kortizes findet im Frühjahr 2020 statt. Vom 13. bis zum 15. März wird es im Germanischen Nationalmuseum dann unter dem Titel "Wo sitzt der Geist – Von Leib und Seele zur erweiterten Kognition" um Themen wie "Embodiment" gehen. Bisher zugesagt haben die Hirnforscher Prof. Dr. John-Dylan Haynes und Prof. Dr. Wolf Singer sowie die Philosophen Prof. Dr. Holger Lyre und Prof. Dr. Achim Stephan.

Eine Anmeldung ist ab Herbst 2019 möglich. Programm und Informationen werden laufend unter kortizes.de/symposium/ ergänzt und aktualisiert. Im Herbst 2019 veranstaltet Kortizes zudem als Partner der Heisenberg-Gesellschaft und der AG Phil der DPG erstmals ein populärwissenschaftliches Symposium zum Weltbild der modernen Physik – das Programm stellt Kortizes-Referent Helmut Fink zusammen. Information und Anmeldung unter physik-symposium.de.

Noch vor der Sommerpause geht es bei Kortizes am 25. Juni weiter mit der Vortragsreihe Vom Reiz des Übersinnlichen, die diesmal den Themenschwerpunkt Verschwörungstheorien hat. Prof. Dr. Michael Butter erläutert den Zusammenhang mit Populismus, Dr. Florian Freistetter widmet sich dem Glauben, die Mondlandung habe nie stattgefunden, Prof. Dr. Klaus Überla klärt über das Impfen auf und Bernd Harder stellt Strategien vor im Umgang mit der "Postfaktokalypse". Aktuelle Infos zum Kortizes-Programm unter kortizes.de/terminuebersicht.„"