Brauchen wir Sinnerfüllung? Wie finden und halten wir innere Balance? Um die Wissenschaft menschlichen Wohlbefindens ging es Mitte April beim Kortizes-Symposium "Hirn im Glück". Dies ist Teil 1 des Berichts über die Veranstaltung mit einem Überblick über die ersten 6 Vorträge aus Psychologie, Psychiatrie und Biologie.
Knapp 300 Interessierte besuchten vom 12. bis zum 14. April 2019 das vom Institut für populärwissenschaftlichen Diskurs Kortizes organisierte Wochenend-Symposium "Hirn im Glück – Freude, Liebe, Hoffnung im Spiegel der Neurowissenschaft". "Dies entspricht einer Steigerung der Besucherzahl von 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr", freut sich Organisator und Institutsleiter Dr. Rainer Rosenzweig. Kundig eingeführt durch Kortizes-Teammitglieder gaben 12 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Aufseßsaal des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg Einblicke in die Erkenntnisse ihrer Disziplinen.
Bewältigung lernen, Krisen abwenden
Unter dem Titel "Wohlbefinden und Glück – Wie können wir die seelische Gesundheit fördern und psychischen Störungen vorbeugen" sprach die habilitierte Psychologin Dr. Eva Asselmann im Einführungsvortrag am Freitagabend über die Erforschung von Risiken für psychische Krankheit und die Möglichkeiten der Prävention. Die Mitarbeiterin von Prof. Dr. Jule Specht sprang damit für ihre kurzfristig ausgefallene Chefin ein.
Wenn genetische Risikofaktoren, traumatische Lebensereignisse oder chronischer Stress unsere innere Balance schwächen, ist das Ziel von Prävention, möglichst früh stärkend einzugreifen. Die Forschung zeige, so Asselmann, dass Bedrohungen des Wohlbefindens effektiv abgewendet werden können, wenn Betroffenen Bewältigungskompetenzen vermittelt werden, die davor schützen, dass sich erste Symptome zu einem Vollbild entwickeln – etwa einer Depression, Angststörung oder Sucht.
Sie forderte daher mehr epidemiologische Forschung, um frühe Symptome zu identifizieren, und einen Ausbau der Interventionsforschung, die testet, welche Hilfen eine Verschlimmerung hin zu psychischen Krankheiten am effektivsten abwenden können. Denn es sei wesentlich schwieriger, die Menschen aus der Krise zu holen, als die Krise präventiv zu verhindern. Unkontrollierbare äußere Faktoren wie Lebenssituation, Gesundheit oder Partnerschaft spielten zwar auch eine Rolle für das psychische Wohlbefinden, die Stärkung innerer Faktoren wie der Kontrollüberzeugung oder der emotionalen Stabilität könne im Umgang mit negativen Einflüssen trotzdem den Unterschied machen, so Asselmann.
Nicht jeder braucht Sinn, aber ohne Wollen geht es nicht
Auch der erste Vortrag am Samstagmorgen näherte sich dem Verständnis von Glück von der pathologischen Seite. Wie Prof. Dr. Dr. Henrik Walter zeigen konnte, lernen wir durch ein Verständnis für die Unfähigkeit Glück zu empfinden aber automatisch auch etwas über das Glück. So sei von der sogenannten Anhedonie, die bei Depressionen das Hauptsymptom darstellt, aber auch bei anderen psychischen Krankheiten auftritt, lange angenommen worden, dass der damit verbundene Dopaminmangel die Genussfähigkeit einschränke, so der Psychiater und Hirnforscher der Charité in Berlin. Die Forschung hat aber gezeigt, dass nicht der Genuss selbst gestört ist ("Liking"), sondern das Begehren des Genusses ("Wanting"). Das vorherrschende Gefühl bei einer Depression ist: "Es lohnt sich nicht." Es stimme also beim Management der Genuss-Erwartungen etwas nicht, so Walter.
Wichtig war ihm auch, darauf hinzuweisen, dass zwar für viele Menschen Sinnerfüllung die Voraussetzung von Glück ist, aber durchaus nicht für alle. Studien zufolge sei sogar ein Drittel der Deutschen existenziell indifferent, könne also glücklich sein, ohne Sinnerfüllung zu empfinden. Diese Menschen kommen ohne das aus, wonach es anderen verlangt, wie Zugehörigkeitsgefühle, Selbstverwirklichung oder Spiritualität. Wer das bedauere, so Walter, solle sich vor Augen führen, dass "sinnerfüllt" nicht gleichbedeutend sei mit "moralisch". Terroristen etwa empfänden sehr hohe Sinnerfüllung. Von existenziell Indifferenten geht dagegen keine Gefahr aus. "Ihnen ist nichts wichtig genug, dass sie dafür sterben würden."
Heilsame Pflege für den Parasympathikus
Über die Wechselwirkungen zwischen unserem psychischen Wohlbefinden und dem vegetativen Nervensystem sprach Dr. Katharina Hösl, leitende Oberärztin in der Psychiatrie am Klinikum Nürnberg. Wie sie zeigte, lohnt es sich, die Balance zwischen aufputschendem Sympathikus und erholungsförderndem Parasympathikus für die Psyche im Auge zu haben. Ablesen lässt sich diese Balance besonders gut an der Herzratenvariabilität (HRV). Denn je gesünder und ausgeruhter wir seien, desto flexibler reagiere unser Herz auf Veränderungen und desto variabler sei der Abstand zwischen zwei Herzschlägen, erklärte Hösl.
Andersherum ist eine verringerte Variabilität ein Indikator für Stress und die ungesunde Überaktivierung des Sympathikus. Das macht die Messung der HRV interessant für die Diagnostik und Therapie auch bei psychischen Erkrankungen. Eine Förderung der Parasympathikus-Aktivierung durch Sport und Entspannungsverfahren kann neben der Psychotherapie als therapeutischer Baustein sehr nützlich sein, erläuterte Hösl. Der Therapieerfolg sei nicht nur in verbessertem Wohlbefinden erlebbar, sondern auch messbar in einer erhöhten HRV. Zur Demonstration einer einfachen Intervention leitete Hösl das Publikum durch die sogenannte metronomische Atmung. Dabei wird mehrmals bewusst 5 Sekunden lang eingeatmet und 5 Sekunden lang ausgeatmet, was zur Aktivierung des Parasympathikus und zur Erhöhung der HRV führt.
Dem Flow den Boden bereiten
Forschungsergebnisse zum Flow-Erleben präsentierte anschließend Prof. Dr. Corinna Peifer von der Universität Bochum. Als Flow werde ein angenehmes Gefühl der Verschmelzung von Selbst und Tätigkeit bezeichnet, das sich durch verändertes Zeitempfinden und einen glatten, flüssigen Handlungsablauf auszeichnet, erklärte die Psychologin. Wer bei einer Tätigkeit Anfänger sei, erlebe dies selten. Es brauche eine gewisse Expertise und trete dann bei Aufgaben auf, die machbar seien, aber herausfordernd. Mit dem regelmäßigen Erleben von Flow-Zuständen steige sowohl die Lebens- und Arbeitszufriedenheit als auch die Leistungsfähigkeit, führte Peifer aus.
Zu den äußeren Rahmenbedingungen, die das Auftreten von Flow-Erlebnissen wahrscheinlicher machen, gehören laut Forschung: vielfältige Aufgaben und klare Ziele, das Wissen um Relevanz und Bedeutung einer Tätigkeit, Autonomie bei Arbeitsreihenfolge und Pausen sowie das Coaching durch Führungskräfte. Innerliche Voraussetzung sei eine wache, entspannte Aktivierung. Auch hier spielt die richtige Balance zwischen Sympathikus und Parasympathikus eine Rolle. "Aber Achtung!", warnte Peifer, "Versuchen Sie nicht, Flows dauerhaft aufrecht zu erhalten. Auch nach der erhöhten physiologischen Aktivierung bei Flows brauchen wir Entspannung und Erholung!"
Das Lesen emotionaler Mimik lässt Nähe suchen
Über das Glück, andere zu verstehen, sprach am Samstagmittag Prof. Dr. Silke Anders von der Universität zu Lübeck. Die Biologin und Neurowissenschaftlerin interessiert sich für individuelle Unterschiede in der nonverbalen Kommunikation von Gefühlen und welche Rolle sie im sozialen Leben spielen. Sie stellte Ergebnisse vor, die zeigen, dass es für Menschen eine belohnende Erfahrung ist, emotionale Gesichtsausdrücke anderer lesen zu können. "Je sicherer wir uns sind, dass sich in der Mimik der anderen etwa Furcht oder Trauer zeige, desto aktiver ist das Belohnungszentrum", erklärte Anders.
Es konnte darüber hinaus gezeigt werden, dass dieses Verständnis Auswirkungen auf das soziale Verhalten hat. Denn je besser die Probanden die emotionalen Gesichtsausdrücke von jemandem lesen konnten, desto mehr fühlten sie sich zu dieser Person hingezogen. Messbar sei das durch Zeigen eines vergrößerbaren Fotos, bei dem die Probanden die für sie optimale Gesprächsdistanz zum Gegenüber einstellen können, berichtete Anders. Bei Personen, deren Gefühle sie sicher lesen können, entscheiden sich Menschen für eine größere Nähe.
Was menschliche Körper über artspezifische Liebeswünsche verraten
Nach der Mittagspause berichtete Prof. Dr. Thomas Junker, Biologiehistoriker an der Universität Tübingen, über die evolutionäre Seite unseres Liebesglücks. Der Autor zahlreicher Sachbücher zur menschlichen Verhaltensevolution gab zu bedenken, dass unser Begehren und unsere Beziehungen weniger kulturgeprägt und weniger individuell sind als wir oftmals annehmen. Welche Bindungen und welches Sexualverhalten wir mehrheitlich bevorzugen, könnten Forscher aus körperlichen Merkmalen genauso vorhersagen, wie sie von Gebissen auf die Ernährung schließen können.
So ist der Größenunterschied zwischen Männchen und Weibchen stets besonders groß bei Arten, die Harems bilden, wie bei den Gorillas. Und bei Arten wie den Bonobos, bei denen sich Weibchen mit mehreren Männchen paaren, haben die Männchen stets besonders große Hoden. Im Artenvergleich lasse sich aus unseren menschlichen Körpermerkmalen demnach ein leichter Hang zur Polygynie ablesen, so Junker. Unsere stärkere Prädisposition sei jedoch die zur Monogamie. "Die romantische Liebe ist also keine Erfindung der letzten 200 Jahre, sondern es gibt sie seit es Menschen gibt", stellte Junker klar. Dass wir dazu neigten, eine tiefe Paarbindung als Quelle des Glücks zu suchen, sei in unserer Biologie begründet.
Teil 2 des Berichts zum Symposium Kortizes 2019 folgt.