Tierwohl

Skandalöse Zustände im Zoo Neunkirchen

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Pavian mit Bisswunden im Zoo Neunkirchen
Pavian mit Bisswunden im Zoo Neunkirchen

Der diesjährige Ostermontagsausflug einer saarländischen Tierfreundin in den Neunkircher Zoo – eine angeblich "wissenschaftlich" geführte und damit zu den besseren ihrer Art zählende Einrichtung – geriet für sie zum Desaster. Angesichts des sogenannten "Pavianfelsens", auf dem mehr als 100 Tiere auf engstem Raume zusammengepfercht sind, musste sie, wie sie tags darauf schrieb, weinend den Zoo verlassen.

Der Anblick der Paviane auf dem kahlen Betonboden sei für sie kaum zu ertragen gewesen: viele der Tiere hätten kahle Stellen im Fell gehabt, wie bei einer Erkrankung, auffällig viele auch Bisswunden sowie offene, blutige Stellen am Körper. "Das Gehege war sehr ungepflegt und roch erbärmlich. Die Tiere hatten Durchfall und waren komplett mit Kot verschmiert." Am schlimmsten jedoch sei für sie der Zustand einiger Affenbabys gewesen, die verkrüppelte Beinchen oder Arme hinter sich her ziehen und nicht richtig laufen oder springen können. "Ich musste echt weinen. Solch ein schlimmer Anblick im Zoo. Alle Leute waren schockiert, und jeder hat darüber geredet. Man kann die Tiere doch nicht so da sitzen lassen. Da muss was passieren."

Die Tierfreundin schickte ihre negativen Eindrücke samt Fotos, die sie von den Pavianen gemacht hatte an die Tierbefreiungsoffensive-Saar (Tibos), die das Ganze auf Facebook einstellte. Innerhalb kürzester Zeit wurde der Beitrag mehr als 4.000 Mal geteilt und weit über 300.000 Mal angeklickt, hunderte Kommentare bestätigten die Kritik am Neunkircher Zoo. Und wiederum kurze Zeit später griff das Online-Portal der Saarbrücker Zeitung (SZ), der größten Tageszeitung des Saarlandes, die Sache auf, gefolgt tags darauf von einem längeren Artikel in der Printausgabe.

Eingang des Neunkircher Zoos, Foto: © Archiv GAP
Eingang des Neunkircher Zoos, Foto: © Archiv GAP

Zoodirektor Norbert Fritsch, von der SZ zur Kritik an der Pavianhaltung befragt, sprach von einer "Hetzkampagne der Tierbefreiungsoffensive-Saar", der man ausgesetzt sei. Im Übrigen sei es "völlig normal", dass in einer Gruppe von 100 Pavianen auch mal kranke Tiere dabei seien oder welche, die weniger gut aussähen. Der Neunkircher Bürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzende des Zoos, Jörg Aumann, ergänzte, die Tiere würden regelmäßig von einer Tierärztin und auch vom Veterinäramt kontrolliert: "Bisher gab es keine Beschwerden." Was so ganz nicht stimmte: Der Tierschutzbeauftragte des Saarlandes, der Veterinärmediziner Dr. Hans-Friedrich Willimzik, hatte eigener Aussage zufolge vor vier Jahren schon der Zooleitung gegenüber auf die massive "Überbevölkerung" des Pavianfelsens hingewiesen, die als nicht artgerecht zu werten sei. Reaktion des Zoos: keine, Konsequenz des Tierschutzbeauftragten: auch keine. In einem Beitrag des Saarländischen Rundfunks wiederholte Willimzik nun seine Kritik am Neunkircher Zoo: es würden zu viele Paviane auf zu engem Raum gehalten, was Ursache sei gegenseitiger Verletzungen. "Bei einem arttypischen Verhalten gehen die Streitigkeiten nie soweit", so Willimzik, "dass sich gegenseitig Verletzungen zugefügt werden", denn: "In der Natur bedeutet jede Verletzung ein Handicap, jede Verletzung kann eine Infektion bedeuten und jede Verletzung kann zum Tod führen."

Fachliche Bewertung

Wenige Tage später besuchte ein Expertenteam des Great Ape Project (GAP) den Neunkircher Zoo und begutachtete die Lebensbedingungen der dort vorgehaltenen Paviane. In einer Presseaussendung wurde der Bewertung des Tierschutzbeauftragten vollumfänglich zugestimmt: Es werden "viel zu viele Tiere auf viel zu beengtem Raume gehalten, was sozialen Spannungen Vorschub leistet. Allein die zwangsläufig auftretenden Streitigkeiten, wenn die Tiere etwa bei der Futterausgabe durch eine enge Klappe in den Innenbunker zu gelangen suchen, gehen mit hoher Verletzungsträchtigkeit durch Beißereien einher.

Junger verschmutzter Pavian im Zoo Neunkirchen, Foto: © Archiv GAP
Junger verschmutzter Pavian im Zoo Neunkirchen, Foto: © Archiv GAP

Einige Tiere zeigen teils schwere (und veterinärmedizinisch offenbar unbehandelte) Läsionen am ganzen Körper, das Erscheinungsbild vieler Tiere deutet auf extreme und chronische Stressbelastung hin." Die Anlage selbst sei "für die Haltung von Pavianen oder anderen Primaten völlig ungeeignet." Selbst wenn die Zahl der Tiere mittelfristig reduziert werden sollte, was der Zoo angeblich vorhat, entspräche sie nicht den Maßgaben für eine an den Bedürfnissen der Tiere orientierten Haltung. "Die Unterbringung und Zurschaustellung der Tiere auf einer von meterhohen Betonwänden umgebenen Betonrotunde mit einem in der Mitte aufgetürmten 'Kletterfelsen' übereinandergestapelter Betonblöcke hat mit moderner und tiergerechter Zootierhaltung, wie der Zoo Neunkirchen sie zu praktizieren vorgibt, nichts zu tun. Sie ist ein Relikt aus den 50er Jahren, die die hochintelligenten und -sozialen Tiere körperlich wie psychisch krank macht." Eine realistische Möglichkeit, Paviane aus dem Neunkircher Zoo zeitnah und in nennenswerter Zahl an eine andere und bessere Einrichtung abzugeben, gebe es nicht. Da der Pavianfelsen des Neunkircher Zoos nach Angaben seines Direktors nicht erweitert oder substantiell verändert werden kann, muss die Forderung lauten: sofortiger Bau eines tiergerechten neuen Geheges. Ein bislang ungenutztes Waldstück hinter dem Betriebshof des Zoos würde sich dafür anbieten. Allein der FB-Eintrag des GAP wurde mehr als 100.000 Mal angeklickt.

Abwehr jeder Kritik

Aufgrund der massiven öffentlichen Kritik an der Pavianhaltung im Neunkircher Zoo stattete der lokale Ortschaftsrat (eine Art Untergremium des Gemeinderates) diesem einen Besuch ab Zoopädagoge Christian Andres, der den Ortschaftsrat durch den Zoo führte, wollte, so die SZ, "aus aktuellem Anlass auch den Pavianfelsen nicht umgehen". Anstatt aber zur Kritik an den Haltungsbedingungen der Paviane Stellung zu nehmen, lamentierte Andres vor den Pressevertretern herum, es sei "eine Facebook-Kampagne gegen uns gestartet (worden), die uns keine Möglichkeit gelassen hat, uns zu rechtfertigen". Tatsächlich konnte der Zoo sich in mehreren Presseverlautbarungen und mehr als umfänglich dazu erklären.

"Paviane leben in der Natur nicht anders", suchte etwa der stellvertretende Vorsitzende des Neunkircher Zoofreundevereins die vorgetragene Kritik in einem eigenen SZ-Artikel abzuwehren: sie leben auch da, wie er behauptete, "auf unergiebigen Felsen" und "in Gruppen von mehreren Hunderten auf kleinem Raum". Tatsächlich leben Mantelpaviane (um die es im Zoo Neunkirchen geht) in Halbwüsten, Savannen, Steppen, lockeren Wald- und Grasgebieten und durchaus auch in felsigen Regionen, aber eben nicht auf nackten Felsen (wie auch sollten sie da Nahrung finden). Sie leben in Gruppen von maximal 100 in mehrere Clans aufgeteilten Individuen, die Streifgebiete von bis zu 40 km² durchziehen. Das Wichtigste aber ist: im Freiland haben sie die Möglichkeit, Konflikten aus dem Weg zu gehen, sprich: Jungtiere haben die Möglichkeit, beim Eintritt in die Geschlechtsreife abzuwandern. Im Neunkircher Betonbunker haben sie diese Möglichkeit nicht, was zu den beklagten sozialen Problemen mit Beißereien und Verletzungen führt.

Zwei Wochen nach dem Facebook-Posting der Tierbefreiungsoffensive-Saar befasste sich der Umweltausschuss des Saarländischen Landtages mit der Sache. In seiner Funktion als Landesbeauftragter für Tierschutz bezeichnete Dr. Willimzik die Situation der Paviane im Neunkircher Zoo als "Tierquälerei". In einem nachfolgenden Interview mit der SZ betonte er, eine simple Abgabe einiger Tiere an andere Zoos sei keine Lösung: "Wenn man aus der Gruppe der 100 Paviane Tiere abgeben will, dann muss man eine der dort existierenden Gruppen, etwa fünf bis 15 Tiere, aus dem Verbund herausholen. Es ist fraglich, inwieweit das überhaupt machbar ist. Man kann nicht willkürlich eine Zahl von Pavianen zusammengewürfelt dort herausholen und irgendwo anders reinsetzen. Das funktioniert nicht." Zudem wies er darauf hin, dass erst im Vorjahr das Umweltministerium dem Zoo einen "großen Betrag" zur Verfügung gestellt habe (offenbar außerplanmäßig und über die millionenschweren Subventionen aus Steuermitteln hinaus, die der Zoo ohnehin fortlaufend erhält). Was genau Willimzik dem Umweltausschuss zur Lösung des Problems anriet bzw. was genau er insofern selbst vorhat, blieb unklar. (Eine namhafte Privatspende, die der Zoo 2016 zur Verbesserung der Pavianhaltung erhielt, wurde in erster Linie dazu genutzt, die Innenseite der Betonmauer rund um den Pavianbunker mit bunten Graffiti zu besprühen.)

Pavian mit Schürfwunden an der Wand des Pavianbunkers mit den bunten Graffities, Foto: © Archiv GAP
Pavian mit Schürfwunden an der Wand des Pavianbunkers mit den bunten Graffiti, Foto: © Archiv GAP

Grundflächentrickserei

Zoodirektor Fritsch sieht offenbar überhaupt kein Problem, er hält den Pavianbunker in seinem Zoo für "artgerecht" und ausreichend. Und das, obgleich dessen Grundfläche bzw. Raumvolumen nicht einmal ansatzweise den (in sich völlig unzulänglichen) Vorgaben des bundesministeriellen Säugetiergutachtens von 2014 entspricht, das die Haltung von Säugetieren in Zoos en detail regelt (Paviane S.110 ff.). Diesen Vorgaben zufolge müsste für die 100 Paviane ein Innengehege von mindestens 325 m² zur Verfügung stehen (40 m² pro fünfköpfiger Gruppe + 3 m² für jedes weitere Tier). Tatsächlich weist der öffentlich nicht einsehbare Innenbunker der Neunkircher Paviane allenfalls 50 m² auf, gemäß Säugetiergutachten ausreichend für nicht mehr als acht (!) Tiere. Wie Zoodirektor Fritsch, der die mangelnde Geburtenkontrolle bei den Pavianen zu verantworten hat, auf die vermessene Aussage verfallen kann, er könne "theoretisch" sogar doppelt soviele Paviane – also 200 – auf seiner Betonanlage zusammenpferchen, verstehe wer will. "Theoretisch" geht das nur, wenn die Grundfläche der Außenanlage (600 m²) und die des Innenbunkers (50 m²) zusammengezählt werden. Das aber ist nicht statthaft: Pavianen muss laut Säugetiergutachten sowohl draußen als auch drinnen jeweils besagte Fläche von 40 m² pro fünfköpfiger Gruppe + 3 m² für jedes weitere Tier zur Verfügung gestellt werden. Selbst wenn die Freifläche 1.000 m² groß wäre, das Innengehege aber nur 50 m² aufweist, dürfen nur acht Tiere gehalten werden.

Bei einer Vor-Ort-Besichtigung des Pavianfelsens befand Andreas Schneiderlöchner, gelernter Jurist und seines Zeichens Vorstandsvorsitzender der Tierschutzstiftung Saar (eine Art Beratergremium in Tierschutzfragen), es würden die von der Bundesregierung vorgegebenen "Mindeststandards für artgerechte Haltung" eingehalten. Ein kurzer Blick in das aktuell gültige Säugetiergutachten zeigt, dass diese Behauptung schlichtweg falsch ist, auch wenn Zoodirektor Fritsch dasselbe behauptet. (Interessanterweise sitzt Fritsch im Stiftungsrat der von Schneiderlöchner geleiteten Tierschutzstiftung Saar.) Zudem, so Schneiderlöchner (der in anderer Funktion als Vorsitzender des Fischereiverbandes Saar firmiert), stehe das Paviangehege unter ständiger Kontrolle des Landesamtes für Verbraucherschutz, dem die saarländischen Amtstierärzte zugeordnet seien. Die Paviane seien folglich in einem "gesunden Zustand".

Saar-Umweltminister Reinhold Jost (SPD) teilte gleichwohl mit, einen externen Gutachter zur Beurteilung der Neunkircher Pavianhaltung beauftragen zu wollen. Derzeit aber vertrete er die Auffassung, das Innengehege sei nicht zu klein. Es seien aber "mehr Schlafplätze" zu schaffen, was, wie Schneiderlöchner vorschlug, durch das Einziehen mehrerer Ebenen erreicht werden könne. Wie genau er sich das Einziehen einer zweiten oder gar dritten Schlafplatzetage bei allenfalls 2,5 m Raumhöhe vorstellt, teilte er nicht mit. Ganz abgesehen davon, dass den Erfordernissen des Säugetiergutachtens nicht Genüge getan würde, wenn es in dem Innenbunker zwar ein paar mehr Sitz-/Schlafplätze für die Paviane gäbe, sich aber an der Grundfläche bzw. dem Raumvolumen selbst sich nichts änderte. (Um es zu wiederholen: für 100 Paviane müsste im Innengehege eine Grundfläche von wenigstens 325 m² bzw. ein Raumvolumen von 712,5 Kubikmeter vorgehalten werden, tatsächlich gibt es derzeit nur 50 m² Fläche und allenfalls 125 Kubikmeter Raum.)

Ein Blick in das Säugetiergutachten erspart auch einen externen Gutachter, dessen Beauftragung nur wieder Zeit und Geld kosten würde: Es dürfen im Neunkircher Zoo unter den gegenwärtigen Bedingungen allenfalls acht Paviane gehalten werden. Punktum. Alles andere verstößt gegen die Vorgaben des Säugetiergutachtens und ist letztlich als Verstoß gegen § 2 Tierschutzgesetz, sprich: als strafbewehrte Qualhaltung zu werten. Da bedarf es keines weiteren Gutachtens.

Was tun?

Als einzig realistische Option bleibt dem Neunkircher Zoo nur der Bau einer neuen, tiergerechteren Paviananlage. Sollte solche Neubaumaßnahme nicht umgehend in Angriff genommen werden, wird das Great Ape Project (GAP) rechtliche Schritte gegen die Verantwortlichen des Zoos einleiten.