Kirchenlobbyistin auf wichtigem Richtersessel

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Der seit Monaten andauernde Streit um die Besetzung eines hohen Richteramtes in Nordrhein-Westfalen erreicht nun auch das Bundesverfassungsgericht. Es geht nicht nur um den Streit zwischen mehreren Kandidaten um die Stelle. Es geht auch um das Thema einer weltanschaulich neutralen Justiz. Darauf machen die FDP-Opposition im Düsseldorfer Landtag und ein pensionierter Amtsrichter aufmerksam.

"Die katholisch dominierte Landesregierung gefährdet mit ihrer Ämterpatronage die weltanschaulich neutrale Justiz in Nordrhein-Westfalen." Das sagt Ralf Feldmann. Der Amtsrichter im Ruhestand aus Bochum hat sich intensiv mit einem turbulenten Verfahren um die Besetzung einer hohen Richterstelle befasst. Dieses schlägt seit Monaten hohe Wellen in der nordrhein-westfälischen Politik und Justiz. Es geht auch um die Trennung von Staat und Kirche.

Der Konkurrentenstreit

Seit 2021 ist die Präsidentenstelle am höchsten nordrhein-westfälischen Verwaltungsgericht, dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster, vakant. Um den Posten hatten sich unter anderem ein Bundesverwaltungsrichter und ein hoher Beamter aus dem nordrhein-westfälischen Justizministerium beworben. Und eine Ministerialdirigentin aus dem NRW-Innenministerium: Katharina Jestaedt. Diese war von Landesjustizminister Benjamin Limbach (Grüne) favorisiert worden. In zahlreichen Ausschuss-Sitzungen des NRW-Landtages war es immer wieder um ein von der Opposition behauptetes "Näheverhältnis" des Ministers zu der Bewerberin gegangen. Und dass er sich regelwidrig für sie bei der Besetzung der Stelle eingesetzt habe. Die in diesem Verfahren unterlegenen Mitbewerber um den hohen Richterposten klagten dagegen, dass sie nicht zum Zuge kommen sollten. Doch am 1. März urteilte das OVG Münster: Alles in Ordnung. Die Bewerberin dürfe auf den Präsidentensessel. Der Minister habe sich nicht "manipulativ" in das Ausleseverfahren eingemischt. So hatte es noch eine gerichtliche Vorinstanz ausgedrückt.

Und doch ist das Verfahren noch nicht zu Ende: Die Opposition im Düsseldorfer Landtag denkt über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses nach. Auch zieht einer der unterlegenen Bewerber nun vor das Bundesverfassungsgericht. Bis zu dessen Entscheidung wird Jestaedt auf ihre Ernennungsurkunde warten müssen. In dem Verfahren in Karlsruhe könnten auch die Aspekte um die "katholische Vergangenheit" der Bewerberin eine Rolle spielen, die schon die FDP im NRW-Landtag ins Spiel gebracht hatte.

Die Kirchenlobbyistin

In einer Kleinen Anfrage hatte der FDP-Abgeordnete Werner Pfeil den beruflichen Werdegang der Kandidatin aufgezeigt – und die dadurch bestehende mögliche Voreingenommenheit. Die vom Justizminister favorisierte Bewerberin hatte nämlich in den vergangenen 13 Jahren nicht mehr für die Justiz gearbeitet, sondern war von 2011 an bis zu ihrer Tätigkeit im NRW-Innenministerium neun Jahre lang dem Kommissariat der Katholischen Bischöfe zugewiesen. Und somit in Berlin als Lobbyistin der katholischen Kirche tätig gewesen.

Auf der Plattform domradio.de, dem katholischen Medienportal des Erzbistums Köln, hatte es 2020 beim Wechsel der Juristin ins NRW-Innenministerium anerkennend geheißen: "Die studierte Juristin engagierte sich zudem besonders für den Lebensschutz, die Beibehaltung des Werbeverbots für Abtreibungen und das Gesetz zum Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid…"

Eine Vorfestlegung bei diesen Themen könnte bei künftigen Gerichtsverfahren an einer richterlichen Neutralität zweifeln lassen. FDP-Mann Werner Pfeil argumentiert: "In einem modernen demokratischen Verfassungsstaat sollte das öffentliche Verständnis von Gerechtigkeit möglichst von kontroversen philosophischen und religiösen Lehren unabhängig sein." Und er betont: "Die katholische Kirche negiert in ihrer Binnenstruktur insbesondere die Gleichberechtigung von Männern und Frauen, die Fortpflanzungsfreiheit der Frauen, die Freiheit der sexuellen Selbstbestimmung in den unterschiedlichen realen Varianten oder die freie Selbstbestimmung über das eigene Leben und bemüht sich, dies in staatliches Recht umzusetzen."

Die schwarz-grüne Landesregierung ficht all das freilich nicht an. In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der FDP heißt es: "Religiöses oder weltanschauliches Engagement einer Beamtin oder eines Beamten, einer Richterin oder eines Richters außerhalb des Amtes kann für sich betrachtet nicht als Indiz dafür ins Feld geführt werden, dass die Beamtin, der Beamte, die Richterin oder der Richter in Ausübung des Amtes die staatliche Neutralitätspflicht nicht achten würde. Eine solche Unterstellung würde die Neutralitätspflicht des Staates gerade verletzen."

Und dann redet die Landesregierung den Einfluss der möglichen nächsten Gerichtspräsidentin klein: "Die Präsidentin/der Präsident des Oberverwaltungsgerichts sitzt lediglich einem von derzeit 22 Senaten des Oberverwaltungsgerichts vor. In diesem Senat entscheidet sie/er gleichberechtigt mit den übrigen Senatsmitgliedern nur über die nach der Geschäftsverteilung diesem Senat zugewiesenen Verfahren. Auf die Rechtsprechung der übrigen 21 Senate des Oberverwaltungsgerichts nimmt die Präsidentin/der Präsident des Oberverwaltungsgerichts keinen Einfluss und kann dies auch nicht."

Der pensionierte Amtsrichter Ralf Feldmann, sieht das ganz anders: "Politisch betrachtet bleibt es dabei: der grüne Minister Limbach macht die ehemalige Cheflobbyistin der Katholischen Kirche, die seit 15 Jahren mit der Justiz nichts mehr zu tun hatte, nach 9 Jahren Leiharbeit für die katholischen deutschen Bischöfe – mit diesen konservativ loyal etwa in Fragen der Fortpflanzungsfreiheit von Frauen oder der Freiheit zum Sterben – zur Präsidentin des höchsten Verwaltungsgerichts unseres Landes." Es sei ein Fall katholischer Ämterpatronage "der katholischen Regierungsakteure Justizminister Benjamin Limbach, Staatskanzleichef Nathanael Liminski und Ministerpräsident Hendrik Wüst". Jestaedt werde bald, und das wahrscheinlich sehr lange, am personalpolitischen Schalthebel der Verwaltungsjustiz in NRW sitzen. Aber vorher hat das Bundesverfassungsgericht noch ein Wörtchen mitzureden.

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