Superfood, Kräutertees und Kurkuma Latte erfreuen sich großer Beliebtheit, denn sie vermitteln neben dem Genuss auch das wohlige Gefühl, der Gesundheit etwas Gutes zu tun. Schließlich hält Mutter Natur noch immer die besten Gaben für uns zivilisationsmüde Menschen bereit – oder? Solchen romantischen Vorstellungen erteilt Biochemikerin Dr. Petra Schling in der neuen Ausgabe des Skeptiker eine Absage – und betont, wie wichtig dennoch Genuss für unser Wohlbefinden ist. In einem weiteren ausführlichen Beitrag diskutieren Adriano Mannino und Marina Moreno Ansätze zu einer produktiven Streitkultur.
"Natur bedeutet: sich Tag für Tag gegen Fressfeinde und Nahrungskonkurrenten durchzusetzen", so fasst es die Heidelberger Biochemikerin Dr. Petra Schling zusammen. Aus dieser Perspektive sei es absurd, dass ein Gewächs ausgerechnet für den Pflanzenfresser Mensch als Heilpflanze fungiere. Im Gegenteil: Im Lauf der Evolution hat es sich für Pflanzen als vorteilhaft erwiesen, Fressfeinde abzuschrecken. Dies gelingt etwa durch sekundäre Pflanzenstoffe, von denen viele für Menschen unbekömmlich oder sogar giftig sind.
Was ist also dran am Heilpflanzen-Hype? Schling, die bereits auf der GWUP-Jahreskonferenz "SkepKon 2021" einen vielbeachteten Vortrag zum Thema hielt, kommt zu einem differenzierten Fazit. Heilpflanzen sind meist wirkungslos gegen schwere Erkrankungen – ein Grund, weshalb sie in der Regel nicht als Arzneimittel bezeichnet werden dürfen. Deshalb vermarkten die Unternehmen ihre Produkte lieber als "Superfood", die Extrakte als Nahrungsergänzungsmittel. Das klingt beeindruckend, bedeutet aber lediglich, dass das Produkt in der empfohlenen Verzehrmenge wirkungslos ist. Gängige Curcumin-Präparate fallen beispielsweise in diese Kategorie.
Also weg mit dem Zeug? Wenn wir Pflanzenextrakte oder sekundäre Pflanzenstoffe vermeiden würden, wären wir schlecht beraten, schreibt Schling. Denn sie sind es, die Gewürzen, Tees und Säften ihren Geschmack verleihen. So gesehen, darf's manchmal gern ein Kurkuma Latte sein.
Ein zweiter ausführlicher Beitrag im Heft wirft einen kritischen Blick auf den Zustand der gegenwärtigen Diskurskultur. Die Defizite sind offensichtlich: Während anhaltende und neue Krisen dringender denn je nach kohärenten Lösungsstrategien verlangen, stehen sich in Politik, Zivilgesellschaft, ja selbst im Freundeskreis konträre Meinungen gegenüber. "Produktives Streiten" heißt der jüngste Band der gbs-Schriftenreihe, mit dem die Autoren Tobias Wolfram, Felix Urban, Michael Tezak und Johannes Kurzbuch angetreten sind, um "Auswege aus einer defizitären Debattenkultur" (so der Untertitel) aufzuzeigen. Diesem Aufruf zum Diskurs sind Adriano Mannino und Marina Moreno mit einem Artikel gefolgt, der die Thesen des Bandes nachzeichnet und diskutiert.
Hinsichtlich der Möglichkeit, eine produktive öffentliche politische Streitkultur zu etablieren, zeigen sich Mannino und Moreno jedoch weniger optimistisch als die Buchautoren. Während diese etwa empfehlen, den öffentlichen und privaten Diskurs durch ein neues Verständnis von Gruppenzugehörigkeiten und Toleranz neu zu gestalten, bezweifeln Mannino und Moreno, dass dies gelingen kann. Es sei fraglich, ob die Vorschläge die tieferen Ursachen der Problemdynamiken verändern könnten – und ob dies überhaupt wünschenswert wäre.
Als Beispiel verweisen sie darauf, dass nach ihrer Einschätzung religiöse Themen vor allem im politischen Diskurs kaum eine positive Erfolgsbilanz aufwiesen. Es könne also sehr vernünftig sein, sie aus dem Diskurs herauszuhalten. Auf der anderen Seite gebe es Fälle, in denen sich die Ausblendung irrationaler Einstellungen mit starken sozialen Negativanreizen aus dem Diskurs – manche mögen es als "Canceln" bezeichnen – positiv ausgewirkt habe. Dass man sich zumindest in Deutschland in der politischen Öffentlichkeit eher ins Abseits manövriere, wenn man versuche, mit religiös-fundamentalistischen Ansichten Politik zu betreiben, werten die beiden als Fortschritt. In diesem Punkt ist ihnen tendenziell ebenso zuzustimmen wie zu ihrem Wunsch, dass sich eine Parteinahme für Homöopathie, Impfablehnung oder andere pseudowissenschaftliche Überzeugungen im öffentlichen Diskurs ebenso isolierend auswirkt.
Auch in ethischen Fragen werden heute so manche Ansichten zu Recht geächtet, die vor gar nicht so langer Zeit noch als völlig legitim galten, man denke hier an die Rechtfertigung von häuslicher Gewalt. Es wäre ein "statistisches Wunder", wenn ausgerechnet wir als erste Generation in dieser Hinsicht ein "Ende der Meinungsgeschichte" erreicht hätten. Ob eine bestimmte Cancel-Forderung gerechtfertigt ist, lässt sich jedoch nicht auf der Meta-Ebene klären, auf der die Buchautoren argumentierten. Dazu müsse man auf der Sachebene argumentieren, dass die fraglichen Sprechakte keine Grundrechte bedrohen.
Karl Popper empfahl, falsche Ideen sterben zu lassen, ehe Menschen wegen falscher Ideen sterben. Bestimmte Ideen als falsch zu erkennen, dazu "leistet das Buch von Wolfram, Urban, Tezak und Kurzbuch einen sehr wertvollen Beitrag", resümieren Mannino und Moreno. Gleichwohl bekunden sie ihre Zweifel an der epistemischen Optimierbarkeit insbesondere des politischen Diskurses. Eine Debatte, der eine fruchtbare Fortsetzung zu wünschen ist.