Am internationalen Tag der Menschenrechte, dem 10. Dezember, lud das Säkulare Forum Hamburg e.V. unter dem Titel "Tag der Menschenrechte: Tag zum Feiern oder Trauern" erstmals zu einer Diskussionsveranstaltung. Der Rechtsanwalt Dr. Thomas Heinrichs, Gutachter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und Hans-Peter Strenge, Synodenpräsident a.D. der Nordelbischen Kirche beleuchteten die Vor- und Nachteile des deutschen Religions- und Weltanschauungsrechts und stellten sich den Fragen des Publikums.
Im Kirchhoff-Saal der Patriotischen Gesellschaft von 1765 fanden sich am Samstag-Nachmittag rund 50 Personen ein, um mehr über das Spannungsfeld von Menschen- und Religionsrechten in Deutschland zu erfahren. Zur Begrüßung stellte Prof. em. Dr. Helmut Kramer die Referenten vor und entschuldigte Dr. Jacqueline Neumann, die leider kurzfristig absagen musste. In seinen einleitenden Worten strich er die Bedeutung der Menschenrechte als "die größte Errungenschaft einer zivilisierten Community" heraus. Er betonte: "Menschenrechte sind Individualrechte" und warnte davor, Menschen in homogene Gruppen einzuteilen. Die immer noch nicht vorhandene Akzeptanz der Andersartigkeit sei ein Grund zum Trauern. Auch wies er blinde Autoritätshörigkeit zurück, die nur allzu oft Rechtfertigung für vielerlei Gräuel gewesen ist. Das Säkulare Forum Hamburg fühle sich, wie in seiner Grundsatzerklärung dargelegt, den Idealen der Menschenrechte und der Demokratie verpflichtet. Daher sei es eine "zentrale Aufgabe der Säkularen", sich für die Menschenrechte einzusetzen.
In seinem Vortrag "Weltanschauung als Diskriminierungsgrund" legte der Referent Dr. Thomas Heinrichs zur Grundlagenklärung zunächst dar, was eine Weltanschauung eigentlich ist und wie genau Diskriminierung funktioniert. Er erläuterte, dass die Kirchen in der Diskussion im Grunde lediglich ein einziges Argument für ihre Privilegierung vorbrächten: Ohne Religion gäbe es keine Moral, gäbe es keine Werte. Doch gerade die Menschenrechte als bürgerliche Rechte hätten gegen die Kirchen als Vertreter der damaligen Feudalgesellschaft, der ein religiöses Recht zu Grunde liegt, erstritten werden müssen. Die Begründung für die Menschenrechte komme aus der Aufklärung, auch wenn die Kirchen heute behaupteten, die Religion bilde die Basis der Menschenrechte. Die heutige Privilegierung der Kirchen ziehe im wesentlichen in zwei Bereichen die Benachteiligung von Konfessionsfreien nach sich: erstens im kirchlichen Arbeitsrecht und zweitens im Erziehungs- und Bildungssektor. Die heutige Auslegung des kirchlichen Arbeitsrechts gehe im Wesentlichen auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in den 80er Jahren zurück, die das Selbstverwaltungsrecht der Kirchen deutlich ausweiteten. Wer nicht Kirchenmitglied ist, könne in großen Teilen Deutschlands nicht für kirchliche Organisationen arbeiten, egal ob Putzkraft oder Chefarzt. In einigen Gegenden käme dies einem Berufsverbot gleich. Heinrichs betonte, dass es hierfür kein Verständnis mehr in der Gesellschaft gibt. Den Erziehungssektor betreffend schilderte er besonders die Ungleichbehandlung von Ethikunterricht und Lebenskunde mit dem konfessionellen Religionsunterricht. So habe es lange Zeit gar keine eigene Ausbildung für den Ethikunterricht in Berlin gegeben . Er sei weder quantitativ noch qualitativ dem konfessionellen Religionsunterricht gleichwertig.
Den zweiten Vortrag des Tages hielt Hans-Peter Strenge unter dem Titel "Kooperation von Staat und Kirchen – ein Erfolgsmodell?". Strenge konzentrierte sich in auf verschiedene rechtliche Aspekte, die mit dem deutschen Weg einhergehen. Zunächst stimmte er Heinrichs zu, dass die Menschenrechte von Haus aus bürgerliche Rechte sind und mit Religion wenig zu tun haben. Auch sagte er, dass das Bundesverfassungsgericht im Prinzip kirchenfreundlich ist, merkte jedoch an, dass Gott durchaus auch seinen Platz in der Präambel des Grundgesetzes gefunden hat. Heinrichs habe in seinem Gutachten (S. 32) schließlich auch zu Recht festgestellt, dass in Deutschland kein laizistisches, sondern ein kooperatives Modell besteht. Aber es bestehe auch keine Staatskirche. In der Diskussion bewegten wir uns also zwischen diesen beiden Polen. Und so sei es um die Situation der Säkularen in Deutschland gar nicht so schlecht bestellt. Ausgehend von "Rechtslage, Aktenlage und tatsächlicher Lage" betrachtete er sechs Problemfelder näher. Erstens die Zahlung von Staatsleistungen: in Hamburg gäbe es gar keine, in Schleswig-Holstein etwa zehn Millionen und in Mecklenburg-Vorpommern immerhin etwa 16/17 Millionen Euro jährlich, da hier nach der Wende ein für die Kirchen günstiger Staatsvertrag abgeschlossen wurde. Zweitens ging er auf die Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts ein und die damit einhergehende staatliche Einziehung der Kirchensteuer. Drittens den Sonn- und Feiertagsschutz, der im Übrigen nicht allein eine religiöse Begründung habe. Dies zeige sich schon darin, dass auch die Gewerkschaften hieran ein mit den Kirchen gemeinsames Interesse hätten. Viertens das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen nach Paragraph 137,3 der Weimarer Reichsverfassung, dessen interessanteste Beispiele, nämlich die Verweigerung von Tarif- und Streikrecht, Heinrichs ja gar nicht angesprochen hätte. Fünftens würdigte er die Gleichstellung von Weltanschauungsgemeinschaften nach Paragraph 137,7 der Weimarer Reichsverfassung als einen Meilenstein in der rechtlichen Entwicklung. Hier merkte er auch kritisch an, dass erst in den 80er Jahren eine Anerkennung des demokratischen Systems und der Menschenrechte durch die EKD-Synode erfolgte. Seine sechste und letzte Betrachtung galt der Besetzung der Rundfunkräte und den Sendezeiten von Religionsgemeinschaften im öffentlichen Rundfunk. Seinen an vielen Punkten angenehm kritischen, oftmals mit sozialdemokratischen Positionen angereicherten Vortrag beschloss er mit der Feststellung, dass mittlerweile die Religiösen und Säkularen in Bezug auf die Menschenrechte "am gleichen Strang ziehen" und "das ist gut so".
Im zweiten Teil der Veranstaltung stellten sich die beiden Referenten unter der Moderation von Dr. Arnold Alscher, Leiter des Arbeitskreises "Interkulturelles Leben" der Patriotischen Gesellschaft von 1765, den Fragen des Publikums. Gezielte Nachfragen förderten nicht nur nötige Klarstellungen zu Tage, sondern die beiden Referenten legten einige bedenkenswerte Tatsachen dar. So argumentierte Strenge nach einer kurzen Anmerkung des Bürgerschaftsabgeordneten Lein über die vor ihnen liegenden strukturell-organisatorischen Aufgaben der Säkularen, dass die Säkularen schwerlich alle Hamburger Konfessionsfreien, immerhin rund 60% für sich vereinnahmen könnten. Genauso wie die Kirchen schwerlich alle ihre Mitglieder für sich vereinnahmen könnten. Besonders bemerkenswert ist jedoch Heinrichs Schilderung des Umgangs der Antidiskriminierungsstelle (ADS) des Bundes mit seinem Gutachten. Das Gutachten sei vor der Veröffentlichung "entschärft" worden; Passagen seien heraus gekürzt worden. Auch sei das Gutachten nicht durch die ADS bekannt gemacht worden. Es habe keine Pressemeldung über den Presseverteiler gegeben, schon gar keine Pressekonferenz zur Vorstellung der Ergebnisse. Eine geplante Veranstaltung sei mit der Begründung zu geringen Medieninteresses abgesagt worden. Die "kirchennahe Leitung" scheine kein Interesse zu haben, dass mit dem Gutachten noch etwas passiert. Ein aus meiner Sicht eher betrüblicher Umgang mit den Forschungsergebnissen beauftragter Gutachter.
Insgesamt war es eine gelungene, von Wolf Merk hervorragend organisierte, Auftaktveranstaltung des Säkularen Forums Hamburg mit zwei kompetenten Referenten und einem interessierten und überwiegend säkularen Publikum. Helmut Kramer kündigte an, zukünftig an jedem internationalen Tag der Menschenrechte eine vergleichbare Veranstaltung durchführen zu wollen. Hoffentlich wird das Säkulare Forum dann auch außerhalb der säkularen Szene Hamburgs bekannter werden und einen größeren Kreis von Interessenten für sich gewinnen.
Das Gutachten von Dr. Thomas Heinrichs in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Heike Weinbach: "Weltanschauung als Diskriminierungsgrund - Begriffsdimensionen und Diskriminierungsrisiken" ist kostenfrei downloadbar.
3 Kommentare
Kommentare
Klaus Bernd am Permanenter Link
Antworten auf Hans-Peter Strenges "Kooperation von Staat und Kirchen – ein Erfolgsmodell?".
<<Auch sagte er, dass das Bundesverfassungsgericht im Prinzip kirchenfreundlich ist,>>
<<merkte jedoch an, dass Gott durchaus auch seinen Platz in der Präambel des Grundgesetzes gefunden hat.>>
Darauf kann ich nur sarkastisch anmerken, dass Gott durchaus auch seinen Platz in der Eidesformel der SS gefunden hat.
<<Aber es bestehe auch keine Staatskirche.>>
Es besteht aber durchaus eine Parallellgesellschaft der christlichen Amtskirchen, die jenseits demokratischer Regeln ihren Einfluss durchsetzen.
<<Und so sei es um die Situation der Säkularen in Deutschland gar nicht so schlecht bestellt.>>
Das ist ein halbes Zugeständnis, dass es nicht so ist wie es sein sollte, gleichzeitig aber die Aufforderung an „die Säkularen“, sich damit zufrieden zu geben, wie es ist.
(Das passt im übrigen zu der Meldung von gestern, dass der HVD Berlin-Brandenburg 0,045 Mio Euro für den Weltanschauungsunterricht erhält, die beiden christlichen Kirchen aber mehr als 1 Million für den Religionsunterricht. Erscheint die Zuwendung an den HVD da nicht wie ein sehr knapp bemessenes Feigenblatt ?)
<<Erstens die Zahlung von Staatsleistungen:in Hamburg gäbe es gar keine, in Schleswig-Holstein etwa zehn Millionen und in Mecklenburg-Vorpommern immerhin etwa 16/17 Millionen Euro jährlich, da hier nach der Wende ein für die Kirchen günstiger Staatsvertrag abgeschlossen wurde.>>
Ja und ? Ist das etwa nicht skandalös, dass solche Verträge abgeschlossen, bzw. nicht gekündigt werden ?
<<Zweitens ging er auf die Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts ein und die damit einhergehende staatliche Einziehung der Kirchensteuer. >>
Man muss seinem Arbeitgeber angeben, welcher Religionsgemeinschaft man angehört. Ist das nicht Grund genug, das sofort zu beenden ?
<<Drittens den Sonn- und Feiertagsschutz, der im Übrigen nicht allein eine religiöse Begründung habe. Dies zeige sich schon darin, dass auch die Gewerkschaften hieran ein mit den Kirchen gemeinsames Interesse hätten. >>
Mit religiöser Begründung werden aber absurde Verbote durchgesetzt, an denen nur die kirchlich gebundenen Gewerkschaften ein moderates Interesse haben dürften, denn was weltanschaulich neutralen Gewerkschaften an Feiertagen gelegen sein sollte ist einmal der Aspekt der Erholung von der Maloche und zum anderen die aufs Jahr umzurechnende Entlohnung für den Arbeitnehmer.
<<Viertens das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen nach Paragraph 137,3 der Weimarer Reichsverfassung, dessen interessanteste Beispiele, nämlich die Verweigerung von Tarif- und Streikrecht, Heinrichs ja gar nicht angesprochen hätte.>>
Auch ein interessanter Aspekt: Ein Arbeitsloser kann gezwungen werden, einen Job anzunehmen, der einem kirchlichen Arbeitsrecht unterliegt, obwohl er dem Arbeitgeber einen Entlassungsgrund wie z.B. falsche Religion gleich mitliefert.
<<Fünftens würdigte er die Gleichstellung von Weltanschauungsgemeinschaften nach Paragraph 137,7 der Weimarer Reichsverfassung als einen Meilenstein in der rechtlichen Entwicklung. >>
An diesem Meilenstein sollte man sich aber nicht ausruhen. Es besteht immer noch viel Handlungsbedarf bei der Umsetzung.
<<Seine sechste und letzte Betrachtung galt der Besetzung der Rundfunkräte und den Sendezeiten von Religionsgemeinschaften im öffentlichen Rundfunk. …>>
Und was sagte er dazu ? Skandalös nicht wahr ?
<<beschloss er mit der Feststellung, dass mittlerweile die Religiösen und Säkularen in Bezug auf die Menschenrechte "am gleichen Strang ziehen" und "das ist gut so". >>
Am gleichen Strang zieht man schon, aber nicht immer in die gleiche Richtung, denn ibs. mit dem Verständnis von Gleichheit hapert es doch bei vielen Edelklerikern ganz enorm. Ganz besonders, wenn selbst von höchster katholischer Stelle leichtfertig elitär von einem „wahren Menschsein“ schwadroniert wird, das nur „Gläubigen“ zuzusprechen sei. Das ist nicht weit davon entfernt, „Ungäubigen“ die Menschenrechte abzuerkennen.
Fazit: Ein Erfolgsmodell ? Für die beiden christlichen Kirchen schon, für den säkularen Staat aber jede Menge Baustellen, Ungleichbehandlung abzubauen und dem GG gerecht zu werden.
Markus Schiele am Permanenter Link
Vielen Dank, lieber Klaus Bernd, für diese umfassende und notwendige Replik auf die fragwürdigen Aussagen von Hans-Peter Strenge!
Dieter Bach am Permanenter Link
Als größten Skandal empfinde ich in diesem Zusammenhang die kirchliche Sonderstellung im Arbeitsrecht: kein Tarifrecht, kein Streikrecht und vor allem die totale Abhängigkeit vom kirchlichen Arbeitgeber, was vielleich
Ich bin kein Rechtsexperte, aber wenn das BVG solche Zustände gutheißt, empfinde ich das als Rechtsbeugung.