Rezension

"Taliban" – Neuauflage des Standardwerks

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Während der mediale Blick auf den Ukraine-Krieg dominiert, werden andere Konfliktherde wie etwa der um die Taliban ignoriert. Das von dem Fachjournalisten Ahmed Rashid geschriebene Buch "Taliban. Die Macht der afghanischen Gotteskrieger" liegt in einer Neuausgabe vor. Auch wenn analytische Einschätzungen weniger vorkommen, handelt es sich doch um das bedeutende Standardwerk zum Thema.

Afghanistan ist aus dem Blickfeld der Medien geraten, was mit der Aufmerksamkeit für andere Krisenherde zusammenhängt. Damit findet kaum noch Aufmerksamkeit, dass ebendort die Taliban wieder herrschen. Auch vor 2001 fanden sie selten Interesse, gab es dazu doch noch nicht einmal ein Buch in englischer Sprache. Der Fachjournalist Ahmad Rashid hatte einen entsprechenden Text geschrieben, fand für sein Manuskript aber keinen Verlag. Erst nach den Anschlägen vom 11. September änderte sich die Situation, waren die Gemeinten doch eine Schutzmacht für islamistische Terroristen geworden. Daher erschien die Darstellung von Rashid fortan in verschiedenen Sprachen. Und mit der erneuten Machterlangung kam es zu einer erweiterten Neuauflage. Diese kritische Anmerkung richtet sich aber nicht gegen den Autor, sondern gegen die Einseitigkeit des Interesses. Denn die in dem Buch anempfohlenen Lehren über "Die Macht der afghanischen Gotteskrieger" haben eben auch die Öffentlichkeit und nicht nur die Politik gezogen.

Cover

Das Buch ist schlicht "Taliban" mit dem erwähnten Untertitel überschrieben. Der Autor ist, wie erwähnt, ein Journalist und kennt die geschilderten Orte durch Reisen persönlich. Dies macht ihn zu einem intimen Kenner der dortigen Konflikte und Umbrüche. Und diese besonderen Erfahrungen prägen auch die Inhalte der vorliegenden Monographie. Sie besteht aus vier Teilen: Zunächst geht es um die Entstehung und Entwicklung der Taliban, wobei der Autor strikt historisch-chronologisch von 1994 bis 1999 vorgeht. Er macht auch mit einer einfachen Aussage auf das aufmerksam, was im Westen verdrängt wurde: "Seit der Einnahme Kabuls waren noch keine 24 Stunden vergangen und schon hatten die Taliban das strengste System der Welt verhängt" (S. 90). Danach behandelt Rashid verschiedene Zusammenhänge, wie etwa den neuartigen Fundamentalismus, die Organisationsstruktur der Taliban, die Diskriminierung von Frauen unter ihrer Herrschaft, die Bedeutung des Drogenanbaus für die Wirtschaft und die Kooperation mit Osama Bin Laden.

Kritisch kommentiert der Autor hier wie an anderen Stellen die ignorante US-Politik: "Damit bezahlten die USA den Preis dafür, dass sie Afghanistan zwischen 1992 und 1996 einfach ignoriert hatten, während die Taliban den feindseligsten und militantesten islamischen Fundamentalisten der Welt nach dem Kalten Krieg die Tür geöffnet hatten" (S. 224). Anschließend geht es um weitere Aspekte der internationalen Politik, die bezogen auf Afghanistan von Relevanz waren. Dies gilt insbesondere für das Agieren der USA, die Rolle von Pakistan oder das Verhältnis zu Saudi Arabien. Und schließlich wird die Entwicklung nach den Anschlägen vom 11. September nachgezeichnet, verbunden mit der militärischen Niederlage, aber auch dem darauf folgenden Wiederaufstieg. Letzteres mündete darin, was den ersten Satz ausmacht: "Normalerweise haben Guerillatruppen keine zweite Chance, ihre Gegner zu besiegen, das Land zu erobern, die Hauptstadt einzunehmen und die Macht zu ergreifen" (S. 9). Dies gelang eben den Taliban 2021.

Die Neuauflage ist mit einem Vorwort versehen, worin die jüngeren Ereignisse geschildert und kommentiert werden. Immer wieder hebt der Autor dabei kritisch das Desinteresse des Westens hervor, welches die dortigen Krisen und Missstände noch verstärkt habe. Bilanzierend liegt damit nicht nur ein informatives, sondern auch kritisches Buch zum Thema vor. Indessen ist es aus einer journalistischen Blickrichtung geschrieben, was für einen stark beschreibenden Charakter mit gelegentlichen politischen Kommentaren steht. Daher fehlen einschlägige Einschätzungen und Erörterungen, etwa über die Frage, von welchem politischen Phänomen dabei genau die Rede ist. Der Autor spricht von einer "Bauernarmee" (S. 367) und einer "Guerillatruppe" (S. 9), doch handelt es sich hier um die richtigen Kategorien zum Verständnis? Er kritisiert auch immer gut die Politik des Westens, erörtert aber dabei nicht die Alternativen für einen anderen Weg. Gleichwohl blickt das Buch so auf einen bestehenden Konfliktherd, der nicht schon wieder von der westlichen Politik ignoriert werden sollte.

Ahmed Rashid, Taliban. Die Macht der afghanischen Gotteskrieger, aktualisierte Neuausgabe, München 2022 (C. H. Beck-Verlag), 491 S., 16,95 Euro

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