Es ist mittlerweile Mai 2016, Signer ist todkrank. Zusammen mit ihrem Partner irrt sie durch Kliniken in Deutschland und der Schweiz. Im Juli schlägt Signer zunächst auf eine Kombination aus Hormon- und Immuntherapie an. Doch die Ärzte müssen die Behandlung abbrechen, weil die Patientin an einer Infektion leidet. Die Ärzte vermuten einen Portkatheter als Ursache. Wie aus medizinischen Unterlagen ersichtlich, hat sie durch ihn in dem Heilzentrum etwa Vitamin C verabreicht bekommen.
Erst Miete zahlen
Jetzt versucht sich Maria Signer von ihrer Heilerin zu lösen. Doch sie schafft es nicht. Am 25. August, im Hospiz, will sie ein letztes Mal Sabine Rohwer sehen. Nachdem sich die beiden unterhalten haben, bekommt Reimann eine Rechnung über 4.000 Euro. Am selben Tag bekommt er eine E-mail: Die Heilerin werde, wie mit Signer besprochen, noch "ein paar Dinge für sie organisieren". Vorher müsse jedoch die Juni-Miete in Höhe von 4.000 Euro überwiesen sein.
Am 30. August 2016 stirbt Maria Signer.
Die Bilanz: Reimann hat fast 290.000 Euro an die Animata GmbH und die Animata Charité in 16 Monaten bezahlt. Für das gefährliche Vitamin B17 und zahllose alternative Mittel. Für Unterkunft und Verpflegung seiner Freundin, ihrer Pflegerin und ihm selbst, wenn er mal zu Besuch ist. Für Beratungen und Gespräche. Für die Hundepauschale.
Maria Signer war spätestens seit der Tumor ins Hirn metastasierte wohl nicht mehr heilbar. Eine angemessene Chemotherapie und Bestrahlung aber hätten ihr Leben um Monate oder Jahre verlängert, sagt der Onkologe Gerhard Ehninger. Hätte sie nach der ersten Diagnose 2012 ihre Krankheit konsequent behandelt, hätte es sogar eine Chance auf Heilung gegeben.
Gerechtigkeit
Schwarze Schafe gibt es überall. Aber Sabine Rohwer ist mehr als das. 2015 und 2016, als sich die Tragödie abspielt, ist sie Vorsitzende des "Dachverbands Geistiges Heilen e.V.", der wichtigsten Organisation von Geistheilern Deutschlands, mit nach eigenen Angaben 5000 Mitgliedern. Sie hat viele Heiler selbst ausgebildet, ist eine zentrale Figur der Szene. Sie fordert, Naturheilkunde solle zur dritten Säule des Gesundheitssystems werden – neben Ärzten und Heilpraktikern.
Reimann will Gerechtigkeit. Er sagt, es gehe ihm nicht ums Geld, er wolle, dass Rohwer niemandem mehr schaden kann. Er erstattet Strafanzeige, wegen gewerbsmäßigen Betruges, Wuchers, Misshandlung Schutzbefohlener, unterlassener Hilfeleistung und vorsätzlicher Körperverletzung. Die Staatsanwaltschaft Lübeck ermittelt.
Für die Sektenkennerin Sabine Riede sind Geistheiler eine unterschätzte Gefahr. Die Problemfälle, die an ihr Büro gemeldet werden, häufen sich. 2009 waren es noch 42, 2016 schon 78. Offizielle Statistiken fehlen.
Die Branche ist gesetzlich kaum geregelt, zuständig für sie sind nicht die Gesundheits-, sondern die Gewerbeaufsichtsämter. Die Sektenexpertin kennt keinen Fall, in dem einem Geistheiler aufgrund unseriöser Arbeitsweise die weitere Gewerbeausübung untersagt wurde.
"Ungeklärte Sachlage"
Um sich rechtlich abzusichern, reicht es, wenn die Geistheiler in ihren Räumen ein Schild aufstellen, dass sie nicht vom Arztbesuch abraten und keine Diagnosen durchführen. Was dem Patienten im Gespräch suggeriert wird, weiß niemand. Die Branche will sich selbst regulieren: Der Dachverband der Geistheiler hat sich einen Ethikkodex auferlegt. Dort heißt es etwa: "Klienten dürfen nicht getäuscht, manipuliert oder subtil beeinflusst werden".
Reimann wendet sich mit einem Brief an den Verband. Hat Rohwer nicht klar gegen den Kodex verstoßen? Der Verband antwortet: Man sei nicht zuständig, da Rohwer persönlich beim Verband Mitglied ist, nicht die Animata GmbH. Auf den Vorgang angesprochen, antwortet die heutige Vorsitzende, dass „die Sachlage bis dato nicht geklärt werden konnte“.
Reimann findet keine Ruhe, ist an seine Grenzen gekommen, geistig, körperlich, finanziell. Heute braucht er therapeutische Hilfe. Gegen ihn wird zwischenzeitlich ermittelt, er soll einen Schweinskopf auf das Animata-Anwesen gebracht und die Einrichtung mit Blut besudelt haben.
Sabine Rohwer praktiziert immer noch. Zu der Geschichte Reimanns hat sich die Heilerin nicht geäußert. Sie ist nun Geschäftsführerin eines neuen Zentrums, Holistic Care GmbH in bester Lage Hamburgs. Auf der Webseite präsentiert sie sich als "anerkannte Heilerin nach den Richtlinien des Dachverbands Geistiges Heilen e.V.".
Als Anwendungsbereiche werden alle möglichen Krankheiten genannt: Herzprobleme, Rheuma, Multiple Sklerose, Demenz. Weitere auf Anfrage.
Der Artikel ist eine gemeinsame Recherche von correctiv.org mit RTL. Mehr zum Thema am 27.11. im RTL Magazin Extra um 22.15 Uhr und im RTL Nachtjournal um 00:00 Uhr. Die Recherche ist zudem auf Welt Online (kostenpflichtig) veröffentlicht.
2 Kommentare
Kommentare
Bolli am Permanenter Link
Ein paar Klicks im Netz, ein Anruf bei der Krankenkasse, zwei Termine bei PD-Dozenten und mit dem restlichen Vermögen zwei Weltreisen mit einem Kreuzfahtrschiff wären sinnvoller gewesen.
Ingrid Tronsberg am Permanenter Link
Dieser Heilerin sollte das Handwerk gelegt werden.
Das ist ja unglaublich.