Jedes Jahr Mitte Jänner gibt die katholische Kirche Österreichs die Zahlen des Vorjahres und des Vor-Vorjahres bekannt. Dabei gibt es eine verwirrende Kombination von aktuellen und veralteten Daten, die auch die Medien, die darüber berichten, durcheinanderbringt. Der Versuch, die Zahlen grafisch darzustellen, gerät regelmäßig zum Desaster. Die mangelnde Sorgfalt und Korrektheit dabei werfen ein schlechtes Licht auf eine bundesweit tätige Organisation mit dreistelligem Millionenbudget.
Vor kurzem hat die katholische Kirche Österreichs die neuen Zahlen auf ihrer Website bekanntgegeben. Was "neu" ist, hängt von der Art der Zahl ab. Ganz wenige Zahlen (Anzahl der Katholiken, Kirchenaustritte, Wieder- oder Neueintritte, Widerrufe des Austritts) beziehen sich aufs Vorjahr (aktuell also 2020), alle anderen aufs Vor-Vorjahr, also derzeit 2019.
Datenerhebung und Kommunikation
Es ist relativ normal, dass für komplexe Sachverhalte in größeren Organisationen nicht alle Zahlen Mitte Jänner zur Verfügung stehen. Die normale Reaktion darauf ist, die Bekanntgabe der Zahlen zum Beispiel bis Februar zu verzögern, wenn alles gesammelt und überprüft wurde. Die Kirche wählt hier einen anderen Weg, der mehrere Nachteile hat: Erstens wird die Mehrzahl der Statistiken mit einem Jahr Verspätung herausgegeben (statt zum Beispiel zwei Monaten), und zweitens werden diese dann auch noch nachträglich korrigiert.
Zum Beispiel enthielt die Statistikseite vor der Aktualisierung von Jänner 2021 die Information, dass es 2019 67.583 Austritte gegeben hätte, wie man bei archive.org nachlesen kann. Das im Jänner 2021 veröffentlichte Dokument für 2019 enthält aber schon 67.794 Austritte, also um 211 mehr.
Es ist verständlich, dass manche Zahlen sich bis zum 31. Dezember noch ändern können oder in Schwebe sind (Austritte und ihr Widerruf). Interessant ist, dass die Gesamtzahl der Katholiken zum Ende des Vorjahres trotzdem exakt kommuniziert werden kann. Aber dass es nicht möglich ist, die Anzahl der GottesdienstteilnehmerInnen an beiden Zählsonntagen des Jahres bis ins folgende Jahr bekanntzugeben, ist schon schwerer nachvollziehbar. Die Zahlen wurden ja an diesen Tagen fertig erfasst, nachträgliche Änderungen sind nicht möglich. Wie soll man sich den Prozess für die Meldung und Zusammenführung dieser Daten vorstellen? Briefe aus den Pfarren und händisches Eintippen in eine Tabelle? Nur das würde erklären, warum diese Zahlen ein Jahr lang nicht veröffentlicht werden. Allerdings ist so ein Vorgehen im 21. Jahrhundert sehr weit vom Stand der Technik entfernt und zeigt die fehlende Wichtigkeit einer guten und aktuellen Entscheidungsgrundlage für die Kirche.
Diese problematische Form der Zahlenerhebung führt dann zu einer holprigen Kommunikation beim Bekanntgeben der Ergebnisse, sodass man beim Lesen sehr aufpassen muss, welche Zahlen eine Entwicklung zwischen 2019 und 2020, und welche sie ein Jahr vorher beschreiben.
Public-Relations-Arbeit ist, unter schlechten Nachrichten die eine gute auszusuchen. Die Zahl der Kirchenaustritte 2020 war hierfür geeignet, weil sie 2020 niedriger war als im Jahr davor. Die Zahl der Austritte schwankt stärker als andere, weil sie nicht nur die gesellschaftliche Entwicklung, sondern auch Ereignisse wie bekanntgewordene Kindesmissbrauchsfälle abbildet. Nach der mit Abstand höchsten Zahl von Austritten zwischen 2011 und 2020 im Jahr 2019 war also der (eigentlich sogar leicht überdurchschnittliche) Wert aus 2020 noch eine Verringerung.
Kathpress nennt dementsprechend in Titel, Untertitel und Einleitung gleich dreimal diesen Sachverhalt, um ihn gut im Gedächtnis zu verankern. Dass die Anzahl der Katholiken insgesamt um über 75.000 zurückgegangen ist, kommt erst nach der "frohen" Botschaft.
Diese Kommunikation ist geeignet, die Medien, die sie zitieren, etwas zu verwirren. Zum Beispiel übernimmt auch der Kurier diese Aussage als erste in Titel und Text, und erwähnt dann erst später, aber ohne Zahlen (weil diese ja für 2020 noch nicht bekannt sind) und somit ohne Beleg den Rückgang bei Taufen, Firmungen und Trauungen. Die im Besitz der katholischen Kirche befindliche Presse schafft es sogar, von "mehr Austritten" zu schreiben.
Auch der Österreichische Rundfunk kopiert auf religion.orf.at die Erzählstruktur der Kirche und weist somit prominent auf den Rückgang der Austritte hin. Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk etwas problematisch ist die direkte Übernahme von kirchlichen Formulierungen wie "461 Personen machten 2020 von ihrem Recht auf Widerruf Gebrauch". Das "Recht auf Widerruf" beschreibt den Vorgang, dass die Kirche Leute, die ihren Austritt gesetzeskonform in einer neutralen Stelle (Magistrat, Bezirkshauptmannschaft) erklären, danach anruft oder anschreibt, um sie zum Rücktritt vom Austritt zu überreden. Das hat mit einem "Recht" sehr wenig zu tun, sondern eher damit, die Entscheidung mündiger Ex-Mitglieder nicht zu akzeptieren. Diese ca. 0,8 Prozent der Austritte werden dann wie eine aufrechte Mitgliedschaft kommuniziert, obwohl es eigentlich ein formloser Wiedereintritt ist.
Grafische Darstellung
Die grafische Darstellung von Zahlen in Diagrammen soll dazu dienen, diese verständlicher zu machen und Entwicklungen oder Verhältnisse zu verdeutlichen. Daran versucht sich auch die Kirche, mit bescheidenem Erfolg. Aus urheberrechtlichen Gründen wurden die Diagramme nachgebaut, sie sind jedoch aktuell genau so auf der Statistik-Seite der Kirche zu sehen.
Das erste Diagramm ist ein "Treemap", das in einer zweidimensionalen Ansicht die Verteilung der Gesamtzahl auf die Teile (in diesem Fall auf die Diözesen) zeigen soll:
Diese Darstellung ist falsch, so funktionieren Treemaps nicht. Hier wurde die Gesamtzahl nochmal als eigene Kategorie hinzugefügt, wodurch die Fläche der einzelnen Diözesen im Vergleich dazu halbiert wurde und die Kategorie "Gesamt" die Hälfte der Gesamtheit ausmacht. Ein richtiger Treemap beim Anbieter der kirchlichen Infografiken enthält diesen Fehler nicht, hier liegt also eine fehlerhafte Eingabe und ein grundlegendes Unverständnis, wie das Diagramm richtig wäre, vor.
Für die Kirchenaustritte (in der Einleitung mit Nachdruck kommuniziert) wird lieber ein kaum lesbarer reiner Text-Absatz mit den jährlichen Zahlen gewählt, statt sie grafisch darzustellen: viel zu einfach würde man aus einem Diagramm herauslesen können, dass der langjährige Trend auch noch nach oben geht und der Rückgang von 2019 auf 2020 gar nicht so eine große Rolle spielt. Für diesen Artikel holen wir die grafische Darstellung der Austrittszahlen von 2011 bis 2020 nach und fügen auch eine Mittelwert-Linie ein. Man sieht leicht, dass die Austrittszahlen in den letzten drei Jahren jeweils über dem Durchschnitt lagen.
Die Anzahl der Trauungen ist dann in einem nach rechts gedrehten Balkendiagramm dargestellt:
Das ist etwas ungewöhnlich, wenn man eine jährliche Entwicklung darstellen will, und man muss die Achsen genau lesen, um die relevante Information abzuleiten (ist das jetzt ein Rückgang oder eine Steigerung?). Auch hier wurde ein gravierender Fehler bei der Dateneingabe gemacht: Der größte Balken ist mit "Gesamt" beschriftet und enthält auch die Gesamtzahl. Zusätzlich werden aber Teilbereiche ("Mischehen" und "Formdispens"), die in der Gesamtzahl schon enthalten sind, als Verlängerungen der Balken dazugezeichnet. Eine "Gesamtzahl" von 12.000 reicht so als Balken bis über 14.000. Im Unterricht würde das als Fehler, in einer wissenschaftlichen Arbeit als Manipulation gewertet werden.
Für die Erstkommunionen und Firmungen wird dann wieder eine andere Darstellungsweise gewählt, ein eigentlich hierfür sinnvolles Balkendiagramm. Wer immer dieses Diagramm erstellt hat, mochte wohl die Zahlengrundlage überhaupt nicht, die nun mal von 2007 bis 2019 einen Rückgang der Firmungen um ca. ein Drittel enthält. Also hat er oder sie zum genialen Trick gegriffen, die X-Achse umzudrehen und die Balken somit von 2019 links zu 2007 rechts laufen zu lassen.
Damit wird optisch eine schöne Steigerung vermittelt. Dies kann man wirklich nur mehr als bewusste Manipulation bezeichnen; das ist so unüblich und falsch, dass es kein Flüchtigkeitsfehler sein kann. (Dass die richtige Vorgehensweise eigentlich bekannt ist, äußert sich schon im nächsten Diagramm, bei den Erlösen und Aufwänden: in diesem Diagramm sind die Jahre korrekt von links nach rechts aufsteigend dargestellt.)
Die GottesdienstbesucherInnen sind dann nicht mehr grafisch dargestellt, hier ist die Entwicklung noch dramatischer. Wir liefern das gerne nach:
Insgesamt kann man also zusammenfassen, dass die Hälfte der grafischen Darstellungen auf der amtlichen Statistikseite der katholischen Kirche fehlerhaft und/oder manipulativ ist. Das erweckt nicht gerade Vertrauen in die restlichen Statistiken und Daten, die dort kommuniziert werden.
Bestätigung der Analysen
Die Atheisten Österreich haben 2020 verschiedene Artikel veröffentlicht, die sich mit den Zahlen der katholischen Kirche beschäftigt haben.
"Katholiken sind nicht mehr die Mehrheit in Österreich" beschrieb, dass seit 2018 die Anzahl der religionsmündigen, freiwilligen Katholiken weniger als die Hälfte der BewohnerInnen Österreichs beträgt. Hierfür mussten sie die damals noch nicht bekannten Zahlen von 2019 hochrechnen, diese wurden in den neuen Statistiken bestätigt (eigentlich gingen die Taufen noch stärker zurück als erwartet). Der Rückgang der Katholiken um ca. 1,5 Prozent bei gleichzeitig weiter steigender Bevölkerung bedeutet, dass dieser Anteil weiter gefallen ist und schon deutlich unter 50 Prozent liegt. In den nächsten Jahren geht es wirklich schon darum, wann auch die von der Kirche kommunizierte, um die Zwangstaufen erhöhte Gesamtzahl unter 50 Prozent der Bevölkerung fällt.
In "Kann man mit dem Kirchenbeitrag Gutes unterstützen?" wurde die Mittelverwendung der Kirche aufgeschlüsselt, und zwar mit dem Ergebnis, dass öffentliche Aufgaben wie Kindergärten, Krankenhäuser und so weiter besser durch Steuergelder als durch den steuerlich absetzbaren Kirchenbeitrag finanziert werden. Diese Anteile haben sich von 2018 auf 2019 erwartungsgemäß nicht wesentlich geändert, die Aussage gilt weiterhin. Erst 2022 werden wir erfahren, wie die Kirche ihre Aufgaben im Corona-Jahr 2020 wahrnehmen konnte, und ob die Ausgaben zu einem noch höheren Prozentsatz den internen Zwecken der Organisation dienten. (Die Einnahmen aus dem Kirchenbeitrag gingen wegen Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit sicherlich zurück, auf der anderen Seite gab es jedoch hohe staatliche Mehrzahlungen.)
5 Kommentare
Kommentare
Thomas Höllriegl am Permanenter Link
Manipulation ist doch das Kerngeschäft von Religionen.
Ernst-Günther Krause am Permanenter Link
Nicht nur die Kirchen selbst, sondern auch ihre „wissenschaftlichen Vertreter“ an Universitäten arbeiten nach dem Motto, dass alle unpassenden Daten entweder manipuliert dargestellt oder ganz weggelassen werden sollte
Dass die Kirchen bei der Befragung der Jugendlichen schlechter abschnitten als die Banken, wurde nirgends grafisch dargestellt oder im Text erwähnt. In einer Grafik wurden die Ergebnisbalken unter Auslassung der Banken so angeordnet, dass die schlechten Werte der Kirchen weniger gut ins Auge fielen. Details sind nachzulesen unter https://hpd.de/artikel/schueler-vertrauen-banken-mehr-christlichen-kirchen-15540.
Carsten Ramsel am Permanenter Link
Vielen Dank für diesen interessanten Artikel. Dazu passt, dass die Häufigkeit des Kirchgangs in Österreich in den letzten 20 Jahren ebenfalls rapide abgenommen hat.
Blasius am Permanenter Link
Danke für die Info. Die BesucherInnenzahlen der beliebtesten Gottesdienste (Ostern und Weihnachten) sind im Artikel auch ausgewiesen. Die aktuellen Zahlen sind irgendwo bei 5-6 % der Bevölkerung (grob gerechnet).
Blasius am Permanenter Link
Die katholische Kirche hat bereits reagiert und zumindest das Diagramm mit den Erstkommunionen und Firmungen korrigiert. Jetzt ist der Rückgang tatsächlich so erkennbar.