Mitte Januar wurde breit über das Rekordhoch an Kirchenaustritten aus der katholischen Kirche in Österreich berichtet. Noch höher lag der Anteil an Austritten prozentual jedoch bei den evangelischen Kirchen.
Wenn die katholische Kirche Österreichs (Bevölkerungsanteil: ca. 52 Prozent) ihre jährlichen Statistiken präsentiert, ist das eine Meldung auf den Titelseiten der Tageszeitungen, und auch die Haupt-Nachrichtensendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks befassen sich damit. Die große Schlagzeile war Mitte Januar der Rekord an Austritten: 1,88 Prozent der ehemaligen Mitglieder traten im Laufe des Jahres 2022 aus der katholischen Kirche aus.
Den evangelischen Kirchen (Augsburger und Helvetisches Bekenntnis sowie methodistisch) gehören unter drei Prozent der österreichischen Bevölkerung an. Es überrascht also nicht, wenn die neuen Zahlen, die kurze Zeit später veröffentlicht wurden, kein großes Medienecho hervorrufen.
Schon eher ungewöhnlich könnte man finden, dass nicht einmal der evangelische Pressedienst in Österreich es für wichtig hält, darüber zu berichten. Dort ist noch alles wunderbar, "Junge Menschen sollen die Kirche mitgestalten" und "Die Fähigkeiten der Menschen werden in der Kirche gebraucht" sind typische Nachrichtentitel. Wer nicht aktiv auf die Seite mit den Statistiken schaut, bekommt nicht mit, dass 2,2 Prozent der vormaligen Mitglieder im Jahr 2022 ausgetreten sind – ein deutlich höherer Anteil also als bei der katholischen Kirche.
In Österreich war bis zum Jahr 2019 der Karfreitag für Menschen mit evangelischem Bekenntnis ein Feiertag – aber nur für diese. Es hatte eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs bedurft, um die offensichtliche Diskriminierung, die ein zusätzlicher bezahlter Feiertag für die Angehörigen einer einzigen Religion darstellt, auch der Republik Österreich zur Kenntnis zu bringen. Das Jahr 2019, in dem die Evangelischen in Österreich ihr Privileg verloren, war bisher jenes mit den absolut gesehen meisten Austritten (6.081).
Seither blieben die Austritte auch in weiteren Jahren jeweils über 5.300. Im Vorjahr (2022) kratzten sie schließlich mit 5.988 am Rekord von 2019. Die Rekord-Austrittsrate von 2,2 Prozent ergibt sich durch die gegenüber 2019 deutlich niedrigere Basis (weniger evangelische Personen). Insgesamt gab es Ende 2022 laut Angaben der evangelischen Kirchen noch 265.127 Angehörige der drei evangelischen Bekenntnisse in Österreich, was 2,9 Prozent der Bevölkerung entspricht. Gegenüber dem Vorjahr ist das ein Rückgang von 6.958 Mitgliedern – eine Verlustrate, die mit 2,56 Prozent knapp über dem Wert des Jahres 2019 liegt. Der Unterschied zwischen dem Rückgang der Mitgliederzahlen und den Austritten ergibt sich daraus, dass deutlich weniger neue "Mitglieder" getauft werden als versterben.
Es ist sicherlich keine gute Nachricht für die evangelischen Kirchen in Österreich, dass sie ganz ohne größere Skandale, die für die katholische Kirche so typisch sind, prozentual deutlich mehr Mitglieder verlieren als die römisch-katholische Konkurrenz. Auch sie müssen zugeben, dass der international beobachtbare, sich beschleunigende Trend zur Säkularisierung sie genauso erfasst hat. Vorerst wird wohl noch intern diskutiert, wie diese mittlerweile öffentlich bekannten Zahlen am schonendsten kommuniziert werden können.