Verschwörungen, Verschwörungsmythen und Verschwörungstheorien

Wenn die Auffassungen von Konspirationsanhängern inhaltlich widerlegt werden, wie etwa jüngst auf dem hpd zu den Mondlandungsverschwörungen, dann wird gern darauf hingewiesen: "Aber das bedeutet ja nicht, dass es andere Verschwörungen nicht gegeben hat!" Richtig, nur dies hat die kritische Beschäftigung mit Konspirationsvorstellungen nie behauptet und schon vor Jahrzehnten eine trennscharfe Typologie entwickelt. Hier kommt eine Kurzfassung:

Teil 1:

Ganz allgemein kann Verschwörung definiert werden als eine bewusst geheime, also nicht-öffentliche Vereinbarung zwischen zwei oder mehr Personen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Diese Begriffsbestimmung soll hier in mehrfacher Hinsicht konkretisiert werden:

Zunächst handelt es sich um ein reales Ereignis. Dies ist bei den inhaltlichen Aussagen von "Verschwörungsideologien" oder "Verschwörungsmythen" nicht der Fall, wird in diesem Kontext doch jeweils nur ein solches Ereignis als angebliche Ursache fälschlicherweise unterstellt.

Mit dieser allgemeinen Definition hat man es mit einem Synonym für "Intrige", "Kabale", "Komplott" oder "Konspiration" zu tun, ist damit doch jeweils ebenfalls eine geheime Planung zur Umsetzung bestimmter Ziele gemeint.

Diese Begriffe sind ähnlich wie "Verschwörung" negativ konnotiert. Es gibt nur wenige historisch Beispiele, wo dies anders ist. Dazu gehört die Formulierung "Verschwörung der Gleichen" als Selbstbezeichnung für einen frühsozialistischen Bund um Gracchus Babeuf 1795 oder die Rede von den "Verschwörern vom 20. Juli" hinsichtlich der Hitler-Attentäter von 1944. Die allgemeine Negativ-Wertung soll hier fortan übernommen werden.

Demnach erscheint es angemessen, von einer Verschwörung durchgängig in einem kritischen Sinne zu sprechen. Eine Erklärung dafür ergibt sich aus dem Transparenzgebot, das bezogen auf öffentliche Ereignisse über Hintergründe und Motive ein Wissen impliziert.

Die ausformulierte Definition ist aber sehr weit gefasst, denn sie schließt auch Handlungen im privaten Kontext ein. Eine Geburtstagsüberraschung würde etwa dazugehören, womit aber der Nutzwert und die Trennschärfe für "Verschwörung" verloren gingen.

Daher soll hier für eine Eingrenzung auf den ökonomischen, politischen und sozialen Kontext plädiert werden. Es ginge demnach um geheim geplante Eingriffe in Entwicklungen, die von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung und öffentlicher Relevanz sind.

Als ein typisches Beispiel für solche realen Verschwörungen können Attentate auf Politiker gelten. Sowohl die Ermordung von Julius Cäsar 44 v. u. Z. wie der Anschlag auf Hitler 1944 gingen auf eine geheime Planung zur Umsetzung eben dieses Ziels zurück.

Gleiches gilt für Putsch- und Staatsstreichversuche. Die Absetzung des Präsidenten Mohammed Mossadegh im Iran 1953 oder der Sturz des Präsidenten Salvador Allende in Chile 1973 folgten auf derartige Übereinkünfte.

Auch geheime und illegale Preisabsprachen zwischen den Spitzen von Unternehmen können als Verschwörung gelten. Denn bei derartigen Handlungen sind die genannten Kriterien durchaus erfüllt, auch wenn die Rede von einer Verschwörung hier sehr scharf wirkt.

Wenn indessen nicht in einem polemischen und unsachlichen Sinne von einer Verschwörung gesprochen werden soll, dann sollten auch eindeutige Aussagen zu bestimmten strukturellen Besonderheiten des Gemeinten formuliert werden.

Denn es muss erstens Akteure geben, also Personen, welche die Verschwörung konkret ausführen. Dazu gehören gegebenenfalls auch "Drahtzieher" oder "Hintermänner", welche für diese Akteure den Anstoß zu den gemeinten Handlungen geben.

Es muss zweitens ein Bedarf für eine Verschwörung existieren. Gemeint ist damit ein bestimmter Anlass oder eine gesonderte Motivation. Erst sie führt aus einer angeblichen oder tatsächlichen Interessenlage heraus dann zu einer Verschwörung.

Es muss drittens die konkrete Planung oder Übereinkunft geben. Demnach beschließen die erwähnten Akteure aufgrund des bei ihnen bestehenden Bedarfs, Handlungen mit den Mitteln im Sinne einer Verschwörung auch umzusetzen.

Es muss dann viertens für derartiges Agieren konkrete Betroffene oder Opfer geben. Dazu könnten Bestandteile der Gesellschaft oder auch nur einzelne Personen zählen, welchen eben durch die geheime Planung direkter oder indirekter Schaden zugefügt wird.

Und fünftens muss eben auch ein konkretes Ziel vorhanden sein. Demnach beabsichtigen die Akteure eine gewisse Konsequenz mit ihrer Verschwörung, welche im ökonomischen, politischen oder sozialen Sinne konkrete Veränderungen nach sich ziehen soll.

Wenn demnach von einer Verschwörung im Sinne eines realen Ereignisses gesprochen wird, dann müssen auch Ausführungen mit klaren Belegen zu den erwähnten fünf Gesichtspunkten vorhanden sein.

Bedeutsam für das Begriffsverständnis ist darüber hinaus noch, dass es sich bei realen Verschwörungen meist um kurzfristig geplante Ereignisse handelt. Demnach beschließen Akteure eine Handlung binnen weniger Jahre oder meist nur weniger Monate.

Daher gibt es kaum Belege dafür, dass Verschwörungen über einen längeren Zeitraum wirkten. Auch hierin kann ein wichtiger Unterschied zu Verschwörungsideologien gesehen werden, gehen diese doch mitunter von jahrhundertelangen Verschwörungen aus.

Den vorstehenden Ausführungen zur Begriffsbestimmung einer realen Verschwörung kommt auch bei der Definition einer Verschwörungshypothese ein herausragender Stellenwert zu, geht es dann doch nur um die Ergänzung mit dem Geschichtspunkt der Hypothese.

Damit ist nach allgemeiner Auffassung eine vorläufige Annahme gemeint, welche durch einzelne Eindrücke aufkommt, aber nicht als gesichertes Wissen gilt. Die Hypothese kann nach einer empirischen oder rationalen Prüfung auch als widerlegt gelten.

Kombiniert man diese Aussagen miteinander, dann ist mit einer Verschwörungshypothese folgendes gemeint: Es geht bei der Deutung eines Ereignisses um die Annahme einer Verschwörung, die sich einer Kritik und Widerlegung nicht entzieht.

Demnach führen Auffälligkeiten oder Ungereimtheiten, die mit der Erklärung eines bestimmten Phänomens verbunden sind, zur These von einer möglichen Verschwörung. Diese bleibt so lange als Hypothese bestehen, solange sie nicht widerlegt wird.

Dafür mag folgendes Beispiel dienen: Mit auf den ersten Blick beeindruckend wirkenden Argumenten stellten Autoren die Behauptung auf, wonach aufgrund von materiellen Interessen 1912 ein Schwesterschiff und nicht die "Titanic" gesunken sei.

Nachdem später ein kleines U-Boot zu dem Wrack tauchen konnte, zeigte sich aber, dass die Nummern der Schiffsteile sehr wohl zur "Titanic" gehörten. Demnach musste die ursprüngliche Verschwörungshypothese aufgegeben werden.

Teil 2:

Während es sich bei einer Verschwörung um ein reales Ereignis handelt, bezieht sich eine Verschwörungsideologie auf eine fiktive Geschichte. Demnach unterstellt man die Existenz einer Verschwörung, wofür es aber keine empirischen Belege gibt. Dabei können durchaus einzelne Aussagen inhaltliche Richtigkeit beanspruchen, für deren Kombination als Konspirationsvorstellung von einem Ereignis dienen sie aber nicht als Bestätigung. Es könnte mangels Belegen und Evidenz dann noch nicht einmal von einer Verschwörungshypothese gesprochen werden.

Das Begriffsverständnis von "Verschwörungsideologie" geht demnach auch von einem besonderen Ideologiebegriff aus, gibt es dazu doch ein neutrales und wertendes Verständnis. Im erstgenannten Sinn gilt Ideologie als ein Synonym für eine Theorie oder Weltanschauung, ohne damit Aussagen über deren Belegbarkeit oder Richtigkeit zu verbinden. Die wertende Begriffsbestimmung meint demgegenüber, dass es sich um ein ideelles Konstrukt auf einer falschen und bzw. oder interessengeleiteten Grundlage handelt.

Die Besonderheit einer Verschwörungsideologie besteht demnach darin, dass sie eine Deutung eines Ereignisses als Folge einer Konspiration postuliert. Die Darstellung ist dabei aber so gehalten, dass eine Prüfung an der Realität nicht möglich ist. Es gibt demnach Argumentationsmuster zur Immunisierung vor Kritik, welche gegenteilige Beweise nicht zulassen.

Bei der Verschwörungsideologie handelt es sich somit um eine festgefügte, monokausale und stereotype Einstellung. Sie geht von der Existenz einer angeblichen konspirativen Subversion aus und sieht in deren Wirken die alleinige Ursache für das Zustandekommen einer ethisch, politisch oder sozial relevanten Entscheidung.

Dabei wird auf das reale Bestehen bestimmter angeblich verschwörerisch wirkender Gruppen hingewiesen, ihre tatsächliche Bedeutung für das Zustandekommen eines politischen Ereignisses hinsichtlich deren behaupteten Handelns unter Ignorierung anderer Faktoren aber maßlos überschätzt.

Als Beispiel kann die Auffassung von der Freimaurer-Verschwörung zur Französischen Revolution gelten: Es gab Freimaurerlogen als reale Organisationen, einige Akteure der Französischen Revolution gehörten ihnen auch an. Gleichwohl agierten sie nicht im Auftrag der Logen, sondern aufgrund von persönlichen politischen Motiven.

Gerade die einseitige Fixierung auf die unterstellten konspirativen Aktivitäten und die Verweigerung gegenüber einer möglichen Korrektur einschlägiger Annahmen macht das Besondere der Verschwörungsideologie aus. Sie stellt für den Anhänger ein eigenes Erkenntnisinstrument dar, womit er die wichtigsten Ereignisse in einem bestimmten Kontext für sich erklären kann. Dabei wird auch nicht über die Angemessenheit der Grundannahmen reflektiert, setzt man sie doch vielmehr als unveränderliches Dogma voraus.

Als eine Sonderform oder Übersteigerung der Verschwörungsideologie soll hier der Verschwörungsmythos verstanden werden, wobei die Unterscheidung beider für den konkreten Fall mitunter schwierig ist. Gleichwohl ist die Differenzierung bedeutsam:

Verschwörungsideologien beziehen sich auf vorhandene reale Gruppen, denen ein mögliches konspiratives Handeln unterstellt werden kann. Bei Verschwörungsmythen ist dies nicht der Fall, sie erfinden mitunter angeblich bestehende konspirative Gruppen, die dann nur in der Gedankenwelt der Verschwörungsgläubigen ein Eigenleben führen.

Dies kann folgendes Beispiel näher veranschaulichen: Während es bei der Auffassung von einer "freimaurerischen Verschwörung" einen tatsächlich existenten Akteur in Gestalt von realen Logen gibt, ist bei der Behauptung von einer "jüdischen Verschwörung" die Vorstellung von einer Gruppe der "Weisen von Zion" reine Fiktion. Im ersten Fall würde man von einer Verschwörungsideologie, im zweiten Fall von einem Verschwörungsmythos sprechen.

Gegenteilige Argumente und Belege werden in beiden Fällen abgeblockt oder als Beweise gerade für die Existenz der Konspiration willkürlich uminterpretiert. Im Vordergrund des jeweiligen Erkenntnisprozesses steht die angebliche innere Wahrheit der Aussagen über behauptete Verschwörungen.

Gerade der Aspekt des Glaubens an eine Konspiration unterscheidet aber den Verschwörungsmythos von der Verschwörungsideologie, wobei beides häufig ineinander übergeht und die Unterscheidung somit als idealtypisch anzusehen ist. Eben die Glaubenskomponente erklärt mit, warum zum Beispiel die "Protokolle der Weisen von Zion" auch nach dem Nachweis der Fälschung weiterhin so große Verbreitung fanden.

Und schließlich soll es noch um den Begriff Verschwörungstheorie gehen. Bei dem zweiten Bestandteil stellt sich folgendes Problem: Den Terminus Theorie nutzt die wissenschaftliche Literatur in der Regel nur für breit entwickelte, rational begründete Aussagen über einen bestimmten politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Sachverhalt. Gerade diese Eigenschaften sind dem hier zu thematisierenden Verschwörungsdenken aber nicht eigen.

Daher würde die Bezeichnung "Verschwörungstheorie" eben diesem Denken zu viel der "akademischen Ehre" antun und es in der Wortwahl gleichstellen mit entwickelten Wissenschaftstheorien, was von der Sache her selbst gegenüber im wissenschaftlichen Diskurs umstrittenen Theorieansätzen nicht angemessen wäre.

Gleichwohl verwendet auch die historische, politologische und sozialwissenschaftliche Fachliteratur häufig genug den Terminus Theorie inflationär und undifferenziert. Hinzu kommt, dass sich die Bezeichnung Verschwörungstheorie schon in vielen Veröffentlichungen eingebürgert hat und auch sonst in wissenschaftlichen Publikationen vom eigentlichen Bedeutungskontext und Wortstamm her unangemessene Begriffe Verwendung finden. Mit Verschwörungstheorie meint man meist das, was hier als Verschwörungsideologie und Verschwörungsmythos definiert wurde.

Ausführlicher wird diese Differenzierung und Typologisierung begründet in: Armin Pfahl-Traughber: Bausteine zu einer Theorie über "Verschwörungstheorien": Definition, Erscheinungsformen, Funktionen und Ursachen, in: Helmut Reinalter (Hrsg.), Verschwörungstheorien. Theorie, Geschichte, Wirkung, Innsbruck 2002, S. 30–44.

31.07.2019: Nach Hinweisen von unseren Lesern wurde der Fehler im Anriss korrigiert.