Die Deutsche Homöopathie-Union (DHU) führt seit langem ein "Homöopathieset für Kinder". Dass es sich dabei um exakt dieselben Zuckerkügelchen handelt wie für Erwachsene – ohne medizinisch relevanten Wirkstoff, ohne jede Evidenz – wird dabei zur Nebensache. Entscheidend ist die Verpackung: bunt, verspielt, kindgerecht. Eine Aufmachung, die ganz bewusst Vertrauen schaffen soll – bei den Kleinsten ebenso wie bei ihren Eltern.
Was hier geschieht, ist keine medizinische Fürsorge. Es ist strategische Irreführung mit pädagogischer Masche. Ein medizinisch wirkungsloses Produkt wird als sanfte Hilfe für Kinder angepriesen – ohne dass die Zielgruppe begreifen könnte, dass sie einem Placebo aufsitzt. Erwachsene sollen durch das kindliche Design emotional angesprochen und in Sicherheit gewiegt werden. Das Kind soll Vertrauen aufbauen. Und die Kasse klingelt. Marketing pur – mit ethischem Fragezeichen.
Genau gegen diese Art der Irreführung richtet sich die Kampagne "Susannchen braucht keine Globuli". Sie will Eltern und Bezugspersonen dafür sensibilisieren, wie gefährlich das Spiel mit Placebos in medizinisch relevanten Situationen sein kann. Trost ist wichtig, ohne Frage – aber Trost ersetzt keine notwendige Therapie. Und Trost sollte nicht in Form leerer Versprechungen aus der Apotheke kommen, die nur so tun, als wären sie Arzneimittel.
Denn das sind Globuli nicht. Weder in der Erwachsenen- noch in der Kinder-Version.
Dass die Homöopathiehersteller dennoch damit werben dürfen, liegt nicht an mangelnder Kritik, sondern an einem juristischen Problem: Der sogenannte Binnenkonsens im deutschen Arzneimittelgesetz (AMG) räumt Homöopathika einen besonderen Schutzstatus ein – den Status als Arzneimittel –, der die Standards evidenzbasierter Medizin bewusst aushebelt. Es genügt die Übereinkunft unter Homöopathen, dass es sich um "wirksame" Mittel handele – selbst dann, wenn kein Wirkstoff enthalten ist. Die Registrierung oder Zulassung erfordert keinen Wirksamkeitsnachweis, die öffentliche Präsentation darf dennoch im Duktus echter Arzneimittel erfolgen. Die Folge: Eine gesetzlich geschützte Sphäre vermeintlicher Glaubwürdigkeit, in der selbst gezielte Irreführung von Eltern kaum angreifbar ist.
Und das ist der eigentliche Skandal!
Er betrifft nicht nur das "Homöopathieset für Kinder" der DHU, sondern das gesamte System, das Homöopathie als Heilsversprechen ohne Substanz verkauft – und sich dabei auf staatlich garantierte Sonderrechte berufen kann. Während echte Arzneimittel unter strengen Zulassungsbedingungen stehen, genügt bei Homöopathika der Hinweis auf "Erfahrung", "Tradition" oder "homöopathische Erkenntnismaterialien". Es ist, als würde man ein Stofftier als Arzneimittel für Kinder zulassen, weil es in vielen Fällen beruhigend wirkt.
Doch es kommt noch etwas hinzu. Der frühzeitige und unreflektierte Griff zu Globuli bei Kindern birgt nicht nur die Gefahr medizinischer Fehleinschätzung – er kann auch eine Art "Pillensozialisation" fördern. Kinder, die bei jedem Unwohlsein automatisch ein Mittelchen erhalten, gewöhnen sich womöglich daran, dass für jedes noch so kleine Leiden eine Tablette, ein Kügelchen, eine Lösung bereitsteht. Wie sich dabei ein Körpergefühl und ein natürliches Empfinden für die eigene Gesundheit entwickeln soll, ist die Frage. Zwar fehlen hierzu (noch) belastbare Langzeitstudien, doch wie Jürgen Windeler, der langjährige Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), treffend sagte: "Es ist nicht gut, Kinder mit Hilfe von Globuli an Pillen zu gewöhnen." (Interview mit Correctiv, 2017)
Diese Aussage mag erst einmal nur plausibel und intuitiv erscheinen – doch sie trifft einen wunden Punkt im medizinischen Alltag: Wenn schon der menschliche Faktor Trost eine pharmazeutische Form erhält, bleibt für spätere Differenzierung wenig Raum. Kinder sind sehr schnell und nachhaltig zu konditionieren. Und genau deshalb ist das "Kinderset" der DHU keine Bagatelle, sondern ein Symptom.
Ein Symptom dafür, wie durch geschicktes Marketing, emotionale Codierung und gesetzlich geschützte Narrenfreiheit eine medizinisch leere Hülse zum kindlichen Arzneimittelersatz wird – lange bevor das Kind verstehen kann, was hier eigentlich geschieht.
Und so steht am Ende nicht nur ein Zuckerprodukt mit hübscher Verpackung, sondern eine ethisch zu definierende Grundsatzfrage im Raum: Was richten wir an, wenn wir Kindern beibringen, dass Hilfe in allen Lebenslagen aus dem Globulifläschchen kommt?
"Susannchen braucht keine Globuli" ist ein Projekt des Informationsnetzwerks Homöopathie, das darüber aufklären und dafür werben will, dass es für ein natürliches, gesundes Aufwachsen unserer Kinder keine Pseudomedizin braucht.
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