Kommentar

Warum die Theologie keine Wissenschaft ist

Solche Einwände werden von der Theologie nicht akzeptiert, weil sie davon ausgeht, dass das gesamte Christentum und insbesondere die Wahrheit der Heiligen Schrift letztlich auf Gottes Offenbarung beruhen. Sie hat den Anspruch, dass erst durch die Offenbarung die Wahrheit über die Wirklichkeit zugänglich wird. Spätestens an dieser Stelle verabschiedet sich die Theologie von dem allgemeinen und grundlegenden Anspruch der Wissenschaften, nämlich der Objektivierbarkeit. Insbesondere aus Sicht des Naturalismus muss aus den genannten Gründen die christliche Heilslehre als kultiviertes Wunschdenken eingestuft werden, das nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat.

Die philosophische Theologie, die sich unabhängig von konfessionellen Eigenarten mit der Frage nach einem Gott beschäftigt, ist etwas anders zu beurteilen. Hier gibt es abseits überlieferter Texte vor allem das Vernunftsargument. Bis vor einigen Jahrzehnten konnten Naturwissenschaftler/innen noch nicht einmal eine halbwegs sinnvolle Hypothese der Entstehung unserer Welt vorweisen. Insofern war für viele eine religiös fundierte Schöpfungsgeschichte alternativlos. Es erschien absolut vernünftig, dass ein, wie auch immer gearteter, Schöpfer der Beginn der Kausalkette unserer Welt war. In seinem Werk "Kritik der reinen Vernunft" hat Immanuel Kant aber  bereits gezeigt, dass man aus Vernunftsgründen nicht zwingend auf einen Gott schließen kann. Seine "vierte Antimonie" lautet in Form von These und Antithese:

These: "Zu der Welt gehört etwas, das, entweder als ihr Teil, oder ihre Ursache, ein schlechthin notwendiges Wesen ist."

Antithese: "Es existiert überall kein schlechthin notwendiges Wesen, weder in der Welt, noch außer der Welt, als ihre Ursache."

Kant kommt zu dem Ergebnis, dass es sowohl für die These als auch für die Antithese gute, vernünftige Argumente gibt und dass somit unsere Vernunft nicht in der Lage ist, zu entscheiden, was der Wahrheit entspricht. Was zur Entscheidungsfindung seiner Ansicht nach hinzukommen muss, sind entweder Erkenntnisse aus der sinnlichen Erfahrung oder aus der Transzendenz. Letztere hat sich aber in der Vergangenheit nie als zuverlässige Erkenntnisquelle hervorgetan, insofern liegt der Hauptaugenmerk auf der sinnlichen Erfahrung und damit letztlich bei den Naturwissenschaften.

Gott als wissenschaftliche Hypothese

Um Hypothesen über einen Gott beurteilen zu können, muss zuerst klargestellt werden, von welcher Definition man ausgeht. Geht es um einen Gott als Schöpfer all dessen, was wir als Wirklichkeit ansehen? Greift er in das weitere Geschehen aktiv ein? Überwacht er das Geschehen? Welche Eigenschaften hat er? Unter einem diffus definierten Gott, der "die alles bestimmende Wirklichkeit" sein soll, kann man eine Menge verschiedener Vorstellungen hineininterpretieren. Die christliche Theologie listet dennoch eine Reihe klarer göttlicher  Eigenschaften auf. Es sind dies unter anderen Allmacht, Gerechtigkeit und Güte. Bekannterweise führen diese Eigenschaften zum Problem der Theodizee. Wenn Gott allmächtig, gerecht und gütig ist, wie ist dann das Elend in unserer Welt zu erklären?  Insofern leidet dieses Gottesbild an Inkonsistenz. Die Mindestanforderung an eine wissenschaftliche Hypothese ist aber gerade die Widerspruchslosigkeit.

"Gottesbeweise", wie sie z.B. von Thomas von Aquin aufgestellt wurden, sind aus dieser Sicht bestenfalls als Plausibilitätsargumente für eine Gotteshypothese einzustufen, d.h. man listet Argumente auf, die scheinbar für die Existenz sprechen, sie aber nicht wirklich beweisen. Man kann mit Hilfe der Metaphysik bzw. der Philosophie nur Hypothesen über die Wirklichkeit aufstellen. Auch den vor wenigen Jahren von dem renommierten Theologen Robert Spaemann aufgestellte "letzte Gottesbeweis" muss man als philosophische Luftnummer einstufen.

Die Entscheidung über den Wahrheitsgehalt von Hypothesen der Wirklichkeit kann nur mit Hilfe der sinnlichen Erfahrung vorgenommen werden. Ein theoretisch konstruiertes Gottesbild muss in irgendeiner Form zumindest ansatzweise über die sinnliche Erfahrung verifiziert werden können. Zuweilen berufen sich Gläubige diesbezüglich auf persönliche Offenbarungen. Da diese aber nicht objektivierbar sind, sind sie für die Allgemeinheit ohne Bedeutung. Merkwürdigerweise scheinen zudem auch diese Offenbarungen abhängig von der Konfession bzw. der Religion zu sein. So haben Christen Offenbarungen in denen ihnen z.B. Jesus oder Maria erscheint. Mohammedanern erscheint Mohammed oder Allah. 

Ein weiteres Problem ist das der Erklärungskraft. Naturwissenschaftliche Erklärungen vereinigen vielfältige Erscheinungen zu einem Grundprinzip. Damit verbunden ist in der Regel eine tiefere Einsicht in die Zusammenhänge dieser Erscheinungen. Die theologische Hypothese versucht jedoch, komplizierte Dinge durch das Wirken eines noch komplizierteren Wesens zu erklären, wobei dann weitere Nachfragen nicht erlaubt sind. Das ist zwar nicht unbedingt ein Beweis gegen die Existenz eines Gottes, aber es zeigt, dass Gotteshypothesen keine große Erklärungskraft haben.

Die Aussagen einer Wissenschaft sind Behauptungen über Sachverhalte, die entweder wahr oder falsch sind. Wie aber sollte man entscheiden, ob die Aussage "es gibt einen Gott" wahr oder falsch ist? Beide möglichen Positionen sind weder beweisbar noch empirisch überprüfbar. Dies verleitet manche Religionsvertreter/innen zu der Behauptung, dass hier eine gewisse Symmetrie bzw. Gleichrangigkeit der Positionen von Atheisten und Gläubigen besteht. Die elementare Aussagenlogik zeigt aber, dass das nicht der Fall ist. Nichtexistenzaussagen, die sich auf die gesamte Welt beziehen sind Allaussagen und diese sind grundsätzlich nicht beweisbar. Existenzaussagen sind dagegen Einzelaussagen und die sind zumindest im Prinzip beweisbar. Behaupten wir z.B., dass es in der ganzen Welt keine Yetis gibt, dann müssten wir zum Beweis die gesamte Welt (und nicht nur die Erde!) nach Yetis systematisch absuchen, was aber völlig unmöglich ist. Die Existenzaussage "es gibt Yetis" lässt sich dagegen ganz einfach beweisen, indem man einen einfängt und der internationalen Presse vorführt. Insofern ist die Forderung von Gläubigen an Atheisten, sie mögen doch die Nichtexistenz Gottes beweisen, völlig unsinnig. Es ist vielmehr so, dass derjenige, der eine Existenzbehauptung aufstellt in der Beweispflicht steht. Kann er den Beweis nicht führen, dann müssen wir seine Behauptung als reine Spekulation einordnen.

Aus wissenschaftstheoretischer Sicht sind theologische Thesen Hypothesen, die den Prüfkriterien (d.h. Falsifizierbarkeit) nach der Wissenschaftstheorie von Karl Popper unterliegen. Viele der theologischen Thesen beruhen auf Transzendenz. Auch einige naturwissenschaftliche Thesen sind so entstanden. Diese haben zunächst ebenfalls den Status von Hypothesen. Stellt sich heraus, dass solche Hypothesen grundsätzlich den Prüfkriterien nicht zugänglich sind, so haben sie zur Erklärung von Naturphänomenen oder Teilen unseres Weltbildes keinerlei Aussagekraft. Nun zeigt sich aber, dass an diesen Prüfkriterien sämtliche theologische Thesen und insbesondere die theologischen Dogmen scheitern.