Buckelwale helfen einem Grauwalkalb gegen einen Angriff von Orcas, das sind zu den Delphinen zählende kleine Schwertwale. Orcas rufen sich beim Namen, jeder hat seinen eigenen Pfiff. Tun die Männchen sich zu Lebenspartnerschaften zusammen, die nur kurz, wenn sie Nachwuchs zeugen, unterbrochen werden, entwickeln sie einen gemeinsamen Pfiff. Dies und vieles mehr verrät Karsten Brensing in "Das Mysterium der Tiere. Was sie denken, was sie fühlen".
Am Verhalten der Orcas lässt sich einiges ablesen über das Entstehen von Kulturen. Sie leben von Fischen oder von Meeressäugern, hauptsächlich Robben. Immer teilen ganze Schulen entsprechende Vorlieben. Die einen leben näher an der Küste als die anderen und haben, um sich untereinander zu verständigen, ganz unterschiedliche Dialekte ausgebildet. Abgesehen davon, dass sie an die Grenze des Verhungerns kommen müssen, um ihre Essgewohnheiten zu verändern, leben sie auch sonst streng getrennt. Nur bei der Paarung ändert sich das. Fleischesser paaren sich nur mit Fischessern. Eine Art von Tabu, um Inzest zu vermeiden? Selbst die Robben erkennen mittlerweile die Andersartigkeit der Dialekte und wissen genau, vor welchen Orcas sie sich in Acht nehmen müssen und vor welchen nicht.
Karsten Brensing hat über das Verhalten von Delphinen promoviert, für deren Schutz er auch jetzt noch arbeitet. Im Meer kennt er sich aus. Deshalb führt er in seinem jüngsten Buch "Das Mysterium der Tiere" vor allem erstaunliche Forschungsergebnisse aus der Meeresbiologie an, um letztlich von der Notwendigkeit von Tierrechten zu überzeugen. Dass es sich um Tiere handelt, die uns so gänzlich unähnlich sind, macht um so plausibler, dass er nun für den Rechtsstatus der Tiere als einen eigenen neben dem des Menschen wirbt. Womit die Diskussion um den Personenstatus obsolet wird, sie aber auch nicht mehr als Dinge behandelt würden. Dabei sollte es auf eine Ähnlichkeit mit uns als Begründung nicht ankommen und den Tieren die Bedingungen zugesprochen werden, die es braucht, um ihrer Eigenart gerecht zu werden.
Schlau sein geht auf vielerlei Weise. Oft hängt es damit zusammen, sich in den anderen hineinzuversetzen, um ihm einen Schritt voraus zu sein. Und zu sehen, ob der ahnt, was man im Schilde führt und wo der andere irrt. Aber dafür braucht es auch Erfahrung, wie Experimente an Raben, Elstern und Hähern bewiesen. Aus Schaden werden auch Raben klug.
Selbst bei Fischen lassen sich sehr rudimentäre Formen von Kultur feststellen. Jüngere lernen, indem sie ihnen folgen, von Älteren, wo es Weidegründe gibt, die ihre Mägen füllen können. Und eine Lippfischart benutzt sogar Werkzeuge. Beobachtet wurde, wie Fische dieser Spezies mit Steinchen nach ihrer Beute werfen.
Wen wird es da noch wundern, dass Delphine nicht nur lernen, Papier gegen Fische einzutauschen, sondern sie es auch vorsorglich einsammeln und aufbewahren, für spätere Gelegenheiten, die noch nicht absehbar sind. Aber verblüfft waren die Forscher dann doch über eine Delphinin, die auf die Idee kam, das Papier zu zerreißen, um dann einen Schnipsel nach dem anderen gegen um so mehr Fische einzutauschen. Das war freilich noch nicht alles. Ein anderer Delphin, der darauf trainiert war, für von ihm gefangene Möwen Fische zu bekommen, setze einen solchen Fisch zunächst ein, um weitere Möwen anzulocken und zu fangen, um dafür um so mehr Fische zu erhalten. Diese Delphine hatten zumindest das Prinzip des Zählens, wenn nicht gar des Kapitalismus verstanden.
Karsten Brensing macht sein Leser mit den brandneuen Forschungsergebnissen vertraut, mit Hinweisen auf sensationelle Videos bei YouTube, die an Anschaulichkeit nichts zu wünschen übrig lassen.
Bienen benutzen von Forschern aufgestellte Spiegel, um sich zu orientieren. Bezeugt ist mittlerweile, dass Ameisen sich selbst im Spiegel erkennen. Bislang galt dies als ein Beweis für ein Bewusstsein seiner selbst im Sinne eines Sich-selbst-gewahr-Werdens. Im Spiegel erkennen sich Primaten, Elefanten und Rabenvögel. Und nun? Wir müssen wohl unsere Definition herunterschrauben. Ja, Ameisen erkennen ihre Gestalt als die ihre, das macht auch Sinn. Denn Ameisenvölker reagieren untereinander sehr aggressiv auf Feinde. Wird ein Individuum von seinem Volk nicht mehr erkannt, wird es sofort getötet. Deshalb befreien sie sich von allem, was sie unkenntlich macht. Aber denken Ameisen deshalb sich selbst, gar über sich selbst? Wohl nicht. Selbst unter Menschen kommt das Gewahrwerden der eigenen Person freilich auch nicht unablässig vor und könnte oft eher hinderlich sein – vor allem beim Gücklich-Sein.
Die Lektüre der "Mysterien der Tiere" hilft vor allem, Vorstellungen mit festen Begriffen zu sprengen. Allen voran den des Instinkts. Brensing hält ihn für nicht mehr als einen Sammelbegriff für alles, was man anders nicht erklären konnte. Heute wissen wir mehr über genetische Vorprogrammierungen und Hormone, die auch bei unserem Handeln wirksam sind. Und verstehen andererseits Prägungen eher als in einem sehr schmalen Zeitfenster ablaufende, sehr effiziente Lernvorgänge.
Gleichzeitig stoßen wir bei den Tieren auf Beispiele von Kultur, bei denen gar kein evolutionärer Vorteil erkennbar ist. So wenn Delphine vor der Küste Australiens sich je nach Herde für Schwämme oder aber Schnecken als Mundschutz entscheiden, um mit ihm als Schnauzenaufsatz den Sand des Meeresbodens nach Beute zu durchpflügen.
Eine Delphinin, die aus einem Delphinarium ausgebürgert wurde, hatte seinerzeit unter menschlicher Anleitung gelernt, vertikal aus dem Wasser ragend, nur den Schwanz als "Propeller" nutzend, über die Wasseroberfläche zu tanzen. Nachdem sie sich einer Gruppe von wilden Delphinen angeschlossen hatte, übernahm bald die ganze Gruppe diese Fortbewegungsart, für die überhaupt kein Grund außer dem Spaßfaktor erkennbar war. Und warum auch nicht? Spielverhalten wurde mittlerweile selbst bei Fröschen, Fischen und Schildkröten beobachtet. Ein Fünkchen Gemüt - im vielfältigen Sinne eines sehr alten Wortes - haben sie alle.
Karsten Brensing: "Das Mysterium der Tiere, Was sie denken, was sie fühlen", Aufbau Verlag Berlin 2017, S. 284 S., 22 Euro
2 Kommentare
Kommentare
Resnikschek Karin am Permanenter Link
Schon Kant hat gewußt: wer Tiere quält, mißachtet die Menschlichkeit des Menschen. Freue mich so, dass immer mehr Wissenschaftler in Richtung Goodall und Frans de Waal
David Z am Permanenter Link
Spannendes Thema.
Nur ein kleiner Seitenhieb ;) "Selbst bei Fischen lassen sich sehr rudimentäre Formen von Kultur feststellen."
Alle Welt hat Kultur. Selbst Tiere. Nur wir Deutschen nicht. Sagt die SPD.