Eine Schwangerschaft in den USA wird immer gefährlicher

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"Stop The War On Women" – Boston Women's March, 21. Januar 2017
Boston Women's March

In kaum einem anderen OECD-Land ist die Muttersterblichkeit so hoch wie in den Vereinigten Staaten – und sie steigt weiter. Mehr als 5 Millionen Frauen in den USA leben mittlerweile in Regionen mit eingeschränktem oder komplett ohne Zugang zu Geburtshilfe. Eine Untersuchung des Milken Institute zeigt derweil, dass die Mortalitätsrate bestimmter Gruppen bereits auf einem höheren Niveau liegt als in manchen Entwicklungsländern.

Der Report "Maternal Mortality among vulnerable US Communities" ("Muttersterblichkeit unter vulnerablen Gruppen in den USA") des marktwirtschaftlich orientierten Think Tanks Milken Institute beleuchtet die Disparitäten, die den nationalen Durchschnitt der Muttersterblichkeit begründen. Die Untersuchung fokussiert sich auf die Merkmale Demographie und race (im Folgenden mit "Ethnie" übersetzt) in zehn Bundesstaaten in zwei sozioökonomisch vulnerablen Regionen: dem sogenannten "tiefen Süden" ("deep south"), darunter Mississippi und Alabama – die Bundesstaaten mit den höchsten Mortalitätsraten – und die nördlich angrenzende Appalachenregion, die Kentucky und Virginia umfasst.

Basierend auf Daten des Center for Disease Control (CDC) zeigt der Bericht, dass Schwarze und Afroamerikanische Communities "einen überproportionalen Anteil an der Last der Muttersterblichkeit" tragen. Zwischen 15 und 44 Jahren liegt die Schwarze Muttersterblichkeitsrate in diesen Bundesstaaten bei 85,9 Toden auf 100.000 Lebendgeburten, die Weiße Muttersterblichkeitsrate beläuft sich auf 38,6 Tode (siehe "Figure 3", S. 5 im Bericht).

Betrachtet man die ethnisch aufgeschlüsselten Sterblichkeitsraten in den Südstaaten und den Appalachen in Zehnjahresintervallen, zeigt sich in den Daten des CDC ein exorbitanter Anstieg der Mortalitätsrate Schwarzer Mütter relativ zu deren Alter. Für 15- bis 24-Jährige liegt die Sterblichkeitsrate bei 43,8, für 25- bis 34-Jährige errechnet das Milken Institute bereits eine Rate von 80,3. Schließlich steigt die Mortalitätsrate unter 35- bis 44-Jährigen rapide auf 219 Tode auf 100.000 Lebendgeburten. Unter Weißen Müttern steigt die Sterblichkeitsrate in diesen Alterskategorien auf 22,6 beziehungsweise 30,9 und schließlich auf 93,6 für die älteste Kohorte. Eine Schwarze Frau mittleren Alters hat damit, durchschnittlich gesehen, in bestimmten Regionen des reichsten Landes der Welt eine höhere Chance, durch schwangerschaftsbedingte Komplikationen zu sterben, als jemand in Kambodscha, Namibia oder Myanmar (siehe "Figure 5", S. 7 im Bericht)

Der Gesundheitssektor verwüstet

Begründet liegen diese extremen Disparitäten unter anderem in sogenannten "Betreuungswüsten", zeigt eine Untersuchung der Non-Profit-Organisation (NPO) March of Dimes. Definiert ist eine Betreuungswüste als ein Bezirk ohne Krankenhaus mit Geburtshilfestation oder Geburtshilfeklinik und ohne sonstige gynäkologische Geburtshilfeangebote. Mehr als als ein Drittel aller Bezirke des Landes seien mittlerweile derart verwüstet, berechnet die NPO.

Die meisten Betreuungswüsten finden sich in Bundesstaaten mit einem hohen Anteil an ländlich lebender Bevölkerung. Ursächlich hierfür ist unter anderem die Schließung von Geburtshilfestationen in Krankenhäusern in 369 Bezirken seit 2018. Damit hat in nur fünf Jahren fast jeder zehnte Bezirk in den Vereinigten Staaten an Zugang zu grundlegenden medizinischen Dienstleistungen eingebüßt. March of Dimes zufolge leben nun mehr als 5,6 Millionen Frauen in Regionen mit eingeschränktem oder ohne Zugang zu Geburtshilfe.

Lokal erreichbare gynäkologische Dienste allerdings sind essentiell, umso mehr in Regionen mit einem unterdurchschnittlichen Einkommen. Die USA sind ein geographisch gesehen gigantisches Land, in dem das nächste geeignete Krankenhaus nun unter Umständen mehrere Stunden entfernt liegt. Nur wenige Menschen in den ländlichen Regionen Kentuckys, Georgias oder Alabamas besitzen die finanziellen und zeitlichen Mittel, regelmäßig solche Stapazen auf sich zu nehmen.

Hinzu kommt, dass in Abwesenheit eines funktionierenden öffentlichen Fernverkehrs Schwangere gezwungen sind, diese Strecken mit einem Auto zurückzulegen. Vulnerable Gruppen, die keinen Führerschein besitzen, fallen damit bereits von vornherein durch das immer löchriger werdende Versorgungsnetz. Alle anderen sind gezwungen, sich gegebenenfalls auch mit akuten gesundheitlichen Problemen einer mehrstündigen Autofahrt auszusetzen. Hier kommen verschiedene Probleme zusammen: Der Verlust von Infrastruktur in der Gesundheitssorge trifft diejenigen, deren Zugang zu finanziellen Ressourcen und zum Individualverkehr eingeschränkt ist, überproportional hart.

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