Interview mit der Leiterin des Kairoer Goethe-Instituts

"Wir sind wichtiger denn je"

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Goethe-Institut, Sprachabteilung in Doqqi
Goethe-Institut, Sprachabteilung in Doqqi

BERLIN. (wzp) Nach Ansicht der Leiterin des Kairoer Goethe-Instituts, Gabriele Becker, sollte Europa sich stark um die Entwicklung in den arabischen Ländern bemühen und den Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen fördern. "Die Arbeit der europäischen Kulturinstitute ist wichtiger denn je, weil wir Räume bieten, in denen ein freier Diskurs und freie ästhetische Ausdrucksformen möglich sind", sagte Gabriele Becker im Interview mit der Wochenzeitung "Das Parlament" (Erscheinungstag der Themenausgabe "Naher Osten" am 4. April 2016).

Das Parlament: Frau Becker, vor fünf Jahren protestierten Hunderttausende in den Städten Ägyptens für einen Wandel und brachten Machthaber Husni Mubarak zu Fall. Was ist von den Hoffnungen der Demonstranten übrig geblieben?

Die Situation hat sich in vielen Ländern anders entwickelt, als viele sich das im Frühjahr 2011 erhofft hatten. Im Falle Ägyptens ist nach Meinung vieler Beobachter von den Hoffnungen auf eine demokratische Gesellschaft, Meinungs- und Pressefreiheit, Beachtung der Menschen- und Frauenrechte wenig übrig geblieben.

Haben die Aktivisten von damals resigniert, sich arrangiert oder für einen Gang durch die Institutionen entschieden?

Sowohl als auch. Manche, darunter viele Künstler und Intellektuelle, haben gesagt: Hier kann man nicht bleiben, hier kann man nichts umsetzen. Einige wurden körperlich bedroht und haben daraufhin das Land verlassen. Andererseits gibt es bis heute Aktivisten, die weiter machen wollen, die überzeugt sind, dass es einen langen Atem braucht. Doch ich bemerke auch Resignation. Gerade junge Leute sind niedergeschlagen und haben nicht die Kraft, eine neue Bewegung zu starten.

Der Westen verband mit den Protesten die Hoffnung auf eine demokratische Entwicklung. Welche Chancen hat die Demokratie in diesem Teil der Welt?

Ich denke schon, dass es diese Chance gibt. Klar ist aber auch, dass die Staaten des Nahen Ostens und Nordafrikas sich zwar an westlichen Vorbildern orientieren, aber aufgrund historischer Entwicklungen und kultureller und religiöser Prägungen ihren eigenen Weg gehen wollen. Eine demokratische Verfassung wird in Ländern wie Tunesien oder Ägypten immer anders aussehen als eine in Deutschland oder einem anderen Land Europas.

Vor drei Jahrzehnten war in vielen Gesellschaften des Nahen Ostens das Verhältnis der Geschlechter freier, auch das Kopftuch war nicht so verbreitet wie heute. Ist der Säkularismus in der Region am Ende?

Mir erzählt man auch, dass vor zwanzig Jahren praktisch keine Frau in Kairo Kopftuch getragen hat. Heute sieht man in der Öffentlichkeit mit Ausnahme der Koptinnen fast nur noch Frauen, die ihren Kopf bedecken. Darunter sind aber auch sehr viele engagierte und emanzipierte junge Frauen. Für sie ist das Kopftuch häufig Teil der Mode, es gehört einfach dazu und sollte nicht überbewertet werden. Viel verändert hat sich aber durch die Tatsache, dass zahlreiche Ägypter in den Golfstaaten und insbesondere in Saudi-Arabien gearbeitet haben. Viele sind von dort mit deutlich konservativeren Vorstellungen von Religion zurückgekehrt.

Sie machen mit dem Goethe-Institut Kulturarbeit nicht nur in Ägypten, sondern in ganz Nordafrika und dem Nahen Osten. Welche Auswirkungen hatten und haben die Umbrüche auf Ihre Arbeit?

Als die Proteste 2011 begannen, haben wir uns gefragt, was wir tun können, um diese Bewegung zu unterstützen. Daraus sind die sogenannten Transformationsprojekte entstanden. Mit unseren Partnern vor Ort haben wir eine ganze Reihe von Qualifizierungs- und Bildungsprogrammen entwickelt, darunter die Kulturakademie, in der wir Angehörige von überwiegend nichtstaatlichen Einrichtungen im Kulturmanagement schulen. Die Teilnehmer hospitieren dabei auch in Kultureinrichtungen in Deutschland. Die Nachfrage ist groß: Wir haben 15 Stipendien, aber jedes Jahr mehr als 300 Bewerber.

In Kairo haben Sie 2012 die "Tahrir-Lounge" eingerichtet, um die Möglichkeit für Aktivisten zu schaffen, sich auszutauschen. Gibt es die noch?

Ja, die gibt es weiterhin. Allerdings haben sich durch die allgemeine Entwicklung auch die Programme weiterentwickelt. Mit verschiedenen Projekten für junge Leute, zum Beispiel Fotoworkshops und Bewerbungstrainings, bleibt die Lounge eine wichtige Anlaufstelle für die ägyptische Zivilgesellschaft. Sie wollen wir unbedingt erhalten, denn es gibt praktisch keinen Ort in diesem Land, an dem sich junge Leute austauschen und qualifizieren können.

Was bewirkt Ihr Engagement?

Die Teilnehmer unserer Programme lernen nicht nur, wie sie zum Beispiel eine Ausstellung organisieren, sie knüpfen auch wichtige Kontakte in der Region, in Deutschland und Europa. Viele stellen später eigene Projekte auf die Beine. 2013 haben bei einer Konferenz für politische Bildung 200 Teilnehmer aus der arabischen Welt in Deutschland darüber diskutiert, wie in Ägypten, Tunesien, Marokko oder Jordanien eine Zivilgesellschaft aufgebaut werden kann. Daraus ist ein arabisches Netzwerk für politische Bildung entstanden, das im Mai offiziell gegründet wird. Wir haben nach den politischen Umbrüchen außerdem intensiv mit jungen Dokumentarfilmern gearbeitet. In ihren Filmen thematisieren sie die Situation in ihren Heimatländern und können ihren Anliegen so eine größere Reichweite verschaffen.

Mit welchen Herausforderungen haben es die Künstler zu tun?

Sie erhalten kaum Unterstützung von staatlicher Seite und sind starken Repressionen ausgesetzt. Der bekannteste Graffiti-Künstler Ägyptens, Ganzeer, musste das Land verlassen, weil im Fernsehen öffentlich zur Jagd auf ihn aufgerufen wurde. Und das ist nur ein Beispiel von vielen. Für die Künstler im Nahen Osten sind die europäischen Kulturinstitute daher von großer Bedeutung. Wir arbeiten eng mit den örtlichen Kulturszenen zusammen und fördern Projekte.

Das Goethe-Institut hat im Februar das deutsche Programm auf dem Janadriyah-Kulturfestival der saudischen Hauptstadt Riad organisiert. Das sorgte hierzulande für heftige Kritik. Wie viel Nähe zu Diktaturen darf man sich erlauben?

Wir hätten natürlich sagen können, dass wir uns an diesem Festival nicht beteiligen. Aber wir haben uns dagegen entschieden, weil wir glauben, dass durch Kultur und Begegnungen etwas Neues entstehen kann in Ländern wie Saudi-Arabien, dass sie etwas verändern in den Köpfen. Und die Begeisterung des saudischen Publikums für unser Programm - es gab Graffiti-Kunst, Straßentheateraufführungen, Hip Hop/Urban Dance - hat uns gezeigt, dass diese Entscheidung richtig war.

Wie blicken die Menschen im Nahen Osten auf Deutschland?

Sehr positiv. Deutschland ist in der arabischen Welt nicht nur das Land der Dichter und Denker, der Erfinder und der guten Autos. Seit dem vergangenen Sommer ist es auch das Land, das Hunderttausende Flüchtlinge aufgenommen hat. Das wird hier sehr anerkannt.

Die sexuellen Übergriffe auf Frauen in der Kölner Silvesternacht haben die Debatten über das Frauenbild in der arabischen Welt und die Aufnahme von Flüchtlingen jedoch verschärft. Wie wird das in der Region wahrgenommen?

Die Vorkommnisse von Köln sind überall in der Presse dargestellt worden. Allerdings wird öffentlich nicht darüber diskutiert, denn das berührt sehr viele Tabuthemen. Aber in vielen Ländern der arabischen Welt ist eine neue Entwicklung zu beobachten: Immer mehr arabische Frauen wehren sich öffentlich gegen die vielen sexuellen Übergriffe, denen sie ausgesetzt sind. Und es wird darüber gesprochen, dass man schon in der Schule damit beginnen sollte, Jungen zu einem respektvollen Umgang mit Frauen zu erziehen. Da ist also eine Diskussion in Gang gekommen, wenngleich sie viel verhaltener geführt wird als in Deutschland.

Nicht wenige Beobachter warnen vor einem regelrechten Zerfall des Nahen Ostens. Wie können und sollten Deutschland und Europa auf die weiteren Entwicklungen in der Region einwirken?

Sie sollten sich stark um die ökonomische Entwicklung in den arabischen Ländern bemühen und den Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen fördern und sich um das Wohlergehen der Menschen hier kümmern. Die Arbeit der europäischen Kulturinstitute ist wichtiger denn je, weil wir Räume bieten, in denen ein freier Diskurs und freie ästhetische Ausdrucksformen möglich sind.

Das Gespräch führten Alexander Heinrich und Johanna Metz für die Wochenzeitschrift "Das Parlament"