Mehrere zehntausend Rechtsextreme und Nationalisten nahmen den polnischen Nationalfeiertag der Unabhängigkeit am Samstag zum Anlass, um gegen die europäische Flüchtlingspolitik, den Islam und Zuwanderung zu demonstrieren.
Am vergangenen Samstag wurde nicht nur in Warschau, sondern polenweit der 99. Jahrestag der temporären Wiedererlangung von Unabhängigkeit und staatlicher Souveränität gefeiert. Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis 1918 waren polnische Gebiete 123 Jahre unter der Herrschaft von Preußen, Russland und Österreich-Ungarn. Die öffentlichen Feierlichkeiten, sowie die Kranzniederlegung durch den polnischen Präsidenten Duda am Grab des unbekannten Soldaten, wurden allerdings durch verschiedene Demonstrationen und den sogenannten "Unabhängigkeitsmarsch" von nationalistisch-völkischen und rechtsextremen Gruppierungen überschattet.
Das diesjährige Motto der Kundgebung lautet "Wir wollen Gott" und war vor allem dazu gedacht, eine Absage zur europäischen Flüchtlingspolitik und (muslimischer) Zuwanderung zu postulieren. Viele Demonstrantinnen und Demonstranten, die auch aus umliegenden Ländern angereist waren, riefen "Gott, Ehre, Vaterland" und entzündeten dabei unzählige bengalische Feuer.
In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen gewaltbereiten Rechtsextremen und der Polizei. Größere Ausschreitungen konnten dieses Jahr jedoch durch den Einsatz von 6.000 Polizistinnen und Polizisten verhindert werden. Demungeachtet wurde ausländischen Bürgerinnen und Bürgern inoffiziell dazu angeraten, die Innenstadt und die unmittelbare Umgebung der Demonstrationen zur eigenen Sicherheit besser zu meiden.
Die derzeit in Polen zu konstatierenden, politischen Entwicklungen muten darüber hinaus etwas paradox an. Obwohl die polnische Gesellschaft in ethnischer und religiöser Hinsicht äußerst homogen ist (87% der Bevölkerung sind römisch-katholisch) und dort kaum ausländische Menschen oder Flüchtlinge leben, nimmt die durch verschiedenste Gruppierungen zum Ausdruck und von der national-konservativen Regierung geduldete Ausländer- und Islamfeindlichkeit stark zu. Berücksichtig man diese Entwicklungen und die derzeit stattfindenden Einschränkungen der Gewaltenteilung, kann keineswegs mehr davon die Rede sein, dass Polen ein gutes Beispiel für europäische Integration ist, wie es noch unmittelbar nach dem EU-Eintritt 2004 der Fall war.
Video: facebook.com/katarzyna.kwiatkowska (siehe Screenshot)
4 Kommentare
Kommentare
Roland Fakler am Permanenter Link
"Wir wollen Gott", aber Kinder, ihr wisst doch, jetzt kommt erst mal der Weihnachtsmann und dann fragt es sich, ob es nicht besser ist, auf die Heinzelmännchen zu vertrauen, die ja schon so viel Gutes getan
Kay Krause am Permanenter Link
Nach Ansicht unserer polnischen Freunde, Nachbarn und Verwandten handelt es sich bei diesem Bericht- wie (fast) immer in den den deutschen Nachrichten - um eine einseitige Darstellung des Geschehens und der Situation
A) Der Bericht über den Demonstrationsmarsch - speziell in Warschau, aber auch in anderen Städten Polens - lief den ganzen Tag über auf mehreren Programmen im polnischen Fernsehen, mit entsprechenden Kommentaren. In Warschau war dabei von ca. 60.000 Teilnehmern die Rede. Ein Großteil dieser Demonstranten waren Familien mit Kindern, friedliche Männer und Frauen aller Altersklassen und Stände, die - mit polnischen Fahnen geschmückt - ihren Nationalfeiertag begingen. Dieser Nationalfeiertag hat in Polen mittlerweile eine 99jährige Tradition, im kommenden Jahr zum hundertsten dürften noch wesentlich mehr Menschen auf die Straße gehen. Dieser Nationalfeiertag hat auch in Polen eine Bedeutung, die mit ähnlichen Feiertagen in Deutschland und anderen Staaten nicht vergleichbar ist. Diese "Nation" hat über viele Jahrzehnte bis 1918 gar nicht mehr existiert, sie war zwangsweise zwischen Preußen, Russland und Österreich-Ungarn aufgeteilt worden, wie oben ganz richtig beschrieben. Aus der Wiedererstehung des polnischen Staates ist in Polen ein "Nationalstolz" entstanden, der sich bis heute erhalten hat. Diese Art von Nationalstolz fehlt mir z.B. völlig. Gerade das ist es aber auch, was man uns Deutschen aus dem Ausland häufig vorwirft. Dessen ungeachtet sollten wir diesen Nationalstolz - wenn wir ihn schon nicht verstehen, so doch respektieren. Und wenn bei einer Anzahl von ca. 60.000 Menschen in Warschau
ein paar (mögen es tausend oder zweitausend gewesen sein, darauf kommt es nicht an!) glatzköpfige, bestiefelte Nazi-Gröler dabei waren, zum Teil auch aus dem Ausland angereist, so ist das kein Grund, einen Bericht zu übertiteln "Zehntausende Rechtsextreme marschierten in Warschau". Diese sogenannten Rechtsextremen jeglicher Coleur haben auch oft im westlichen Europa nicht besseres zu tun, als von Demonstration zu Demonstration zu reisen und Präsenz zu zeigen, meist reisen die Holigens gleich mit im selben Zug.
B) Mit manchen Plänen und Handlungen der jetztigen polnischen PIS-Regierung sind viele Polen auch nicht einverstanden, sie sehen diese Regierung allerdings nach wie vor als einzige Alternative zu der vorherigen, abgewählten an. Sie erkennen an, dass PIS hält, was sie versprochen haben: Beendigung der weitverbreiteten Korruption sowie des Ausverkaufs polnischer Unternehmen in's Ausland. Dass es so war, ist bekannt und nachprüfbar.
C) Dass West-Europa vor 2 Jahren (anhaltend bis heute) von Flüchtlingen aus Afrika und dem nahen Osten überflutet wurde, beruhte z.T. auf mangender Vorausschau, auf Ignoranz gegenüber den Problemen in diesen Ländern, z.T. auf dem Bedürfnis nach Selbstdarstellung der verantwortlichen Politiker, die nicht rechtzeitig agiert, sondern lediglich reagiert haben. In diesem Fall die offenen Arme und "wir schaffen das" von Frau Merkel, vergleichbar mit den offenen Armen Herrn Kohls gegenüber den Rußlanddeutschen nach der Wende. Wenn nun die Polen ihre Grenzen geschlossen halten gegenüber diesen hunderttausenden von muslimischen Flüchtlingen, dann muß man auch versuchen, das aus polnischer Sicht zu sehen, da die Polen sehr aufmerksam beobachten, was in Deutschland und Westeuropa geschieht: fast täglich irgendwo religiös begründete Übergriffe, Kopftuch- und Burka Streit, Diskussion um Integration sowie Islamischen Religions-Unterricht in Schulen, letztlich religiös begründete Attentate, u.s.w. - u.s.w., es ist eine endlose Liste von Problemen, von denen man sich hier freihalten will. Europa erwartet Solidarität, Polen erwartet Verständnis und Akzeptanzfür seine Haltung seitens Europa. Deutsche und europäische Kritik kommt hier ganz schlecht an und wird (zu recht?) als Einmischung in innere Angelegenheiten betrachtet.
Dieses - wiegesagt - lediglich eine Wiedergabe der polnischen Sichtweise. das Thema ist damit nicht abgehakt, es muß demokratisch in Europa diskutiert werden, ohne jegliche Vorverurteilung, ohne eine ganze Nation in die Sünder- und Büßerecke zu stellen.
karen am Permanenter Link
Vielen Dank für diese Sichtweise, die ich sehr gut nachvollziehen kann.
Bruno Kaufmann am Permanenter Link
Lieber Herr Krause
Meiner Meinung nach muss nur jemand national-stolz sein, der im Leben noch nie etwas aus eigenen Stücken erreicht hat, und deshalb sich an etwas klammert, was ihm in die Wiege gelegt wurde. Der Satz «ich bin stolz auf meine Nation» tönt in meinen Ohren so albern wie der Satz «ich bin stolz, dass ich blaue Augen habe». – Womit wir beim Rassimus wären: Nationalismus und Rassismus gehen Hand in Hand: überhöht man erst einmal seine Nation, werden alle, die diese Nationalität nicht haben, zwangsweise minderwertig.
Herzlichen Gruss
Bruno Kaufmann