T. Colin Campbells neues Buch

Ernährungsforschung zwischen Erkenntnistheorie und Ökonomie

BONN. (hpd) Der Ernährungswissenschaftler T. Colin Campbell, Autor der berühmten "China Study", legt mit "InterEssen – Ernährungswissenschaft zwischen Ökonomie und Gesundheit" ein neues Buch vor, welches in einem reduktionistischen Denken und ökonomischen Interessen die Gründe für die Prägung des Nahrungsverhaltens in der westlichen Welt sieht. Auch wenn der Autor gelegentlich zu einem gewissen Sendungsbewusstsein und zu verbalen Zuspitzungen neigt, kann er für seine Auffassungen eine Fülle von Belegen präsentieren, welche eben auch den Kontext von Ernährungsfragen und Gesellschaftspolitik berühren.

Der Ernährungswissenschaftler T. Colin Campbell ist durch seine "China Study" weltberühmt geworden. Es handelt sich dabei um eine Forschungsarbeit, die in den 1970er und 1980er Jahren mit über 6.500 Teilnehmern in China durchgeführt wurde. Dabei ging es um Datenerhebungen zu Ernährungsweisen und Krankheiten. Campbell kam zu dem Ergebnis, dass der Essenskonsum tierischer Produkte beim Menschen zu gesundheitlichen Schädigungen führe. Krebserkrankungen und Schlaganfälle kämen etwa bei den sich vegan ernährenden Menschen in weitaus geringerem Maße vor.

Gegen die "China Study" konnten methodische Einwände in Detailfragen formuliert werden, ihr Gesamtergebnis fand aber eine Bestätigung durch eine Fülle von anderen Studien. Deren Buchpublikation lies Campbell mit "InterEssen. Ernährungswissenschaft zwischen Ökonomie und Gesundheit" zum Thema "pflanzenbasierte Ernährung" (PBE) ein weiteres Werk folgen. Darin geht er der Frage nach, "warum es so schwierig ist, dieses Wissen zu verbreiten" (S. IX).

Das Buch enthält zwei Teile, welche die Frage aus einer erkenntnistheoretischen und aus einer ökonomischen Perspektive beantworten wollen. Nachdem Campbell noch einmal erklärt hat, dass man "die Ernährung als Herzstück unseres medizinischen Systems" (S. 26) sehen müsse, äußert er sich zum Einfluss des Reduktionismus in der Ernährungswissenschaft und Medizin. Gemeint ist damit ein Denken, das sich auf Einzelheiten konzentriert und das Ganze dabei ignoriert. Dies bedinge irreführende und unvollständige Ergebnisse. "Aus diesem Grund gibt es", so Campbell, "in den Medien so häufig einander widersprechende Forschungsergebnisse" (S. 66). Demgegenüber plädiert er für eine holistische Perspektive, die mit Bionik, Empirie und Evolutionsbiologie zu anderen Ergebnissen komme. Campbell hält das "reduktionistische Paradigma" für ein "geistiges Gefängnis" und fragt dann: "Warum gehen wir … nicht durch die Zellentür?" (S. 186) – womit der Blick auf das Gesundheitssystem in der westlichen Welt geworfen wird.

Dabei betont er, dass dessen Hauptinteresse nicht das Wohlergehen der Menschen sei: "Das Ziel unseres Gesundheitssystems ist nicht Gesundheit, sondern der Profit einiger weniger Industriezweige auf Kosten des Allgemeinwohls" (S. 190f.).

Anhand einer Fülle von Beispielen macht Campbell deutlich, in welchem Ausmaß ökonomische Interessen auf die wissenschaftliche Forschung wirken. Da mittlerweile solche immer weniger ohne private Drittmittel an Hochschulen möglich ist, richten sich die Erkenntnisinteressen häufig genug an den Interessen der Geldgeber aus. Denn: "Wissenschaftler werden belohnt, wenn sie Ergebnisse liefern, welche die Ziele der Industrie unterstützen, selbst wenn sie unsere Gesundheit weiter verschlechtern, und sie werden bestraft, wenn sie das nicht tun" (S. 225). Es gebe aber auch einen entsprechenden Einfluss auf die Medien und die Politik. Bezogen auf den letztgenannten Bereich heißt es schlicht: "Die Pharma-, die Medizintechnik- und die Versicherungsriesen gehören zu den größten Spendengebern der US-Politiker" (S. 259).

Campbells neues Buch nimmt demnach eine Perspektivenerweiterung vor. Während die "China Study" noch eng an den Blick der Ernährungsforschung gebunden war, kommen hier Erkenntnistheorie und Sozialwissenschaften hinzu. Insofern nimmt der Autor auch für sich eine mehr holistischere und weniger reduktionistische Perspektive ein. Denn selbst dem Alltagsmenschen fallen die Hyperspezialisierung von Ärzten ebenso wie die Profitorientierung von Pharmakonzernen auf. Deutlich zeigt sich, dass die Frage der Ernährung nicht ohne die Frage der Politik diskutiert und verstanden werden kann. Hier und da neigt Campbell zu einem gewissen Sendungsbewusstsein und zu verbalen Zuspitzungen. Gleichwohl kann er für seine Grundpositionen nicht nur bezogen auf die pflanzenbasierte Ernährung, sondern auch auf die ökonomischen Einflüsse überzeugende Belege präsentieren. Hinsichtlich des letztgenannten Gesichtspunktes führt dies eigentlich zu politischen Konsequenzen, die Campbell indessen nicht ausformuliert.

T. Colin Campbell in Zusammenarbeit mit Howard Jacobson, InterEssen. Ernährungswissenschaft zwischen Ökonomie und Gesundheit, Bad Kötzting 2015 (Verlag Systemische Medizin), 316 S., 29,80 Euro