Grundgesetz und Neutralitätsgebot

Das Kirchen-Staats-Verhältnis in kritischer Sicht

BONN. (hpd) Der Jurist Gerhard Czermak legt in seinem Buch "Weltanschauung in Grundgesetz und Verfassungswirklichkeit" eine kritische Darstellung zum Kirchen-Staats-Verhältnis aus der Perspektive des grundgesetzlichen Neutralitätsgebots vor. Es handelt sich um eine gelungene Einführung am engem Raum, die auch für Nicht-Juristen verständlich ist, aber durch einen etwas schiefen Buchtitel irritiert.

Was sagen eigentlich Grundgesetz und Recht über das Verhältnis von Religion und Staat, und wie verhält sich dies in der gesellschaftlichen Realität bzw. Verfassungswirklichkeit? Über die Frage hat der ehemalige Verwaltungsrichter Gerhard Czermak eine Fülle von Publikationen vorgelegt. Dazu gehörte auch ein Lehrbuch "Religions- und Weltanschauungsrechte" (2008).

Cover

Mit dem kleinen Band "Weltanschauung in Grundgesetz und Verfassungswirklichkeit" legt er eine Art "Einführung" oder "Kurzfassung" zum Thema vor. Ihm geht es darin erklärtermaßen um eine knappe Darstellung zu einem großen Rechtsgebiet und dessen Umfeld. Sie will sowohl für ein breites Publikum verständlich sein wie fachjuristischen Ansprüchen genügen.

Bereits im Vorwort bemerkt Czermak angesichts einer Dominanz kirchennaher Positionen aber auch: "Eine besondere Eigenheit des Religionsrechts ist seine ideologische Aufladung, die wegen der vielen konträren Interessen teilweise große Defizite bei der Anwendung der juristischen Methode zur Folge hat" (S. 7).

Am Beginn steht ein kurzer Blick auf das gesellschaftliche und rechtliche Umfeld, wobei der Autor auf die gesellschaftlichen Änderungen der Bedeutung von Religion angesichts einer immer größeren Anzahl von konfessionslosen Bürgern aufmerksam macht. Dazu heißt es dann auch: "Den reichen deutschen Kirchen ist es gelungen, trotz ihrer seit Jahrzehnten deutlich und kontinuierlich rückläufigen Mitgliederzahlen und ihres stark geschwundenen Einflusses auf die Menschen eine gesellschaftliche Vorzugstellung zu behalten" (S. 12).

In kaum einem anderen Rechtsgebiet würden Interessen so einseitig vertreten und juristisch verbrämt wie im Religionsrecht. Danach geht es kurz um die Rede vom geltenden Recht und einen Einblick ins Staatskirchenrecht, bevor dann die religionsrechtlichen Grundprinzipien des Grundgesetzes im Zentrum des Interesses stehen. Czermak geht hier auf bedeutsame Gesichtspunkte wie die Gleichberechtigung von Religion und Weltanschauung und den Gleichbehandlungsaspekt im Neutralitätsgebot ein.

"Im Ergebnis", so der Autor, "erweist sich das GG als System der Trennung von Staat und Religion mit ausdrücklich eingeräumten normativen Ausnahmen: Trennung mit kooperativen Elementen" (S. 36). Das Neutralitätsgebot werde indessen in der Verfassungswirklichkeit erheblich verletzt.

Nach einem Blick in die Landesverfassungen geht es um derartige Fälle, die von der Einziehung der Kirchensteuer über die Finanzverwaltung über die Existenz von kirchengebundenen theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten bis zur Finanzierung von kirchlicher Gefängnis- oder Militärseelsorge reiche. Das damit einhergehende Netz von Staat-Kirche-Verträgen sei eine deutsche Besonderheit. Gegen Ende geht es noch um die weltanschauliche Diskriminierung und deren Folgen. Czermak schließt mit: "Es ist dringend geboten, dass Politiker, Medien, Staatsverwaltung und Rechtssprechung ihrer Verantwortung für die religiös-weltanschauliche Neutralität und damit die Ächtung eines tragenden Grundgesetz-Prinzips endlich besser gerecht werden" (S. 70).

Dem Haupttext folgen im Anhang noch Nachdrucke früherer Aufsätze. Dazu gehört neben einem beachtenswerten Kommentar zum Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Lehrerinnenkopftuch von 2015 auch eine kritische Rezeption des Böckenförde-Theorems bezüglich der Werte in Demokratien.

In der Gesamtschau steht das kleine Buch in der Kontinuität früherer Publikationen von Czermak, eignet sich aber besonders gut als Einführung in die Thematik. Allerdings ist der Titel "Weltanschauung in Grundgesetz und Verfassungswirklichkeit" für das Anliegen des Buches schlecht gewählt, denn dessen eigentliches Anliegen und inhaltlicher Kern erschließen sich so nicht. Angesichts einer Einführung auf engem Raum ist verständlich, dass der Autor die ideologische Motivation der "herrschenden Meinung" unter Juristen in diesen Fragen nicht näher thematisiert. Aber in der Gesamtschau handelt es sich um eine beachtenswerte und gelungen Einführung mit kritischem Einschlag, inhaltlich kenntnisreich und formal sachlich gehalten.

Gerhard Czermak, Weltanschauung in Grundgesetz und Verfassungswirklichkeit, Aschaffenburg 2016 (Alibri-Verlag), 119 S., 10,00 Euro

Das Buch ist auch bei unserem Partner denkladen.de erhältlich.