TÜBINGEN. (hpd) Der Verfasser war eingeladen zu der Auftaktveranstaltung zu einer “Gesprächsreihe zum Thema: Grundfragen der Religionskritik.” Am 11.11. fand in Tübingen ein Abend mit Prof. Dr. Johanna Rahner statt, die dem Publikum als Nachfolgerin auf dem einstigen Lehrstuhl des Weltethikers Hans Küng vorgestellt wurde: Hans Küng, der in den Weltreligionen das suchte, was verbindet und daraus das Projekt “Weltethos” ins Leben rief.
Es versprach ein interessanter Abend zu werden: “Von Nietzsche zu Dawkins und darüber hinaus.” Dieser Einladung zu einer, wie der Untertitel verhieß, “Reise von der klassischen Religionskritik zum neuen Atheismus” folgten nicht nur Mitglieder der einladenden katholischen und evangelischen Gemeinden. Auch Anhänger eben jenes kritisierten Atheismus und des in gleicher Weise bald heftig gescholtenen neuen Humanismus fanden sich ein.
Wer’s glaubt: Die Rückkehr der Religion.
Doch zunächst zeichnete sich nicht ab, dass Rahner zu einer wenig differenzierenden Scheltrede ausholen würde. “Religion ist im Kommen.” So Rahners Einstimmung in das Thema. Doch was haben wir unter Religion zu verstehen? Religion im Sinne irgendeiner verfassten Glaubenslehre? Religion als Bekenntnis zu einer Gottheit oder die Bejahung bestimmter, gar christlicher Glaubenssätze? Oder doch eher die Religiosität einiger Menschen in dem Sinne einer diffusen Rückbindung an Größeres, einen “Sinn und Geschmack für das Unendliche”? Was Rahner unter Religion verstehen wollte, wurde schlichtweg nicht definiert. Immerhin konnte die Rednerin feststellen, dass Religion “in unseren Breiten nicht abgenommen, sondern […] nur die Form gewechselt, […] sich individualisiert und […] sich entkirchlicht” habe.
Nietzsche und Feuerbach.
Rahner setzte dann ihre Reise mit den “Klassikern der Religionskritik” fort: Friedrich Nietzsche (gest. 1872) und Ludwig Feuerbach (gest. 1900). Während Feuerbach Gott gleichsam als “die ins Vollkommene gezogene Extrapolation des Menschen” auffasse, ziele der Atheismus Nietzsches auf eine “radikale Infragestellung aller Anthropologie” ab. Nietzsche wolle die “absolute Wahrheit” stürzen, propagiere eine “Anti-Anthropologie” und entwerte den Menschen. Mehr war zu Nietzsche nicht zu vernehmen.
Werde. Mensch.
Die Anfrage sei an dieser Stelle erlaubt: Wenn aber Nietzsche ruft “Mensch, werde, der du bist?” Ist das reine Anti-Anthropologie? Nietzsche fordert dazu auf “umzulernen”: “Das, was die Menschheit bisher ernsthaft erwogen hat, sind nicht einmal Realitäten, bloße Einbildungen, strenger geredet, Lügen aus den schlechten Instinkten kranker, im tiefsten Sinne schädlicher Naturen heraus – alle die Begriffe ‘Gott’, ‘Seele’, ‘Tugend’, ‘Sünde’, ‘Jenseits’, ‘Wahrheit’, ‘ewiges Leben.’ … Aber man hat die Größe der menschlichen Natur, ihre ‘Göttlichkeit’ in ihnen gesucht … Alle Fragen der Politik, der Gesellschafts-Ordnung, der Erziehung sind dadurch bis in Grund und Boden gefälscht, dass man die schädlichsten Menschen für große Menschen nahm, – dass man die ‘kleinen’ Dinge, will sagen die Grundangelegenheiten des Lebens selber verachten lehrte …” [1] Wer will darin nicht ein Grundanliegen humanistischer Gesinnung erblicken: nämlich “die Grundangelegenheiten des Lebens” als solche an- und ernst zu nehmen?
Der frei gemachte Horizont.
Rahner führte zwar den mitunter bekannten Text vom “tollen [=verrückten] Menschen” aus der fröhlichen Wissenschaft an, ließ dabei leider folgenden für die Wahrheitsfrage wichtigen Passus vom “weggewischten Horizont” aus: “Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was thaten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Giebt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts?” [2]
Dass eben jener Ausruf des “tollen Menschen” bei Nietzsche gerade impliziert, die Frage nach der Orientierung, ja, nach der Wahrheit zu stellen - diese jedoch nicht mehr dem “lieben Gott” und seinen Religionsfunktionären zu überlassen, dies erkannte oder erwähnte Rahner nicht.
Man kann(!) beispielsweise die Ausführungen Michael Schmidt-Salomons in seinem Mutmachbuch “Hoffnung Mensch” dahingehend verstehen, dass er eine Antwort auf die “Horizontlosigkeit” unserer Zeit zu geben sich anschickt: Orientierung braucht der Mensch. Es darf, so Schmidt-Salomon, nur keine naive, unvernünftige und womöglich den Fortbestand der Menschheit gefährdende sein.
Dass bei Nietzsche alles im Nichts versinke, wie Rahner mehrfach betonte, wird man angesichts der Vielstimmigkeit seiner Schriften so nicht sagen dürfen. Doch ebenfalls in der “Fröhlichen Wissenschaft” liest es sich, gleichsam als Antwort auf den nun leeren Horizont. “In der That, wir Philosophen und ‘freien Geister’ fühlen uns bei der Nachricht, dass der ‘alte Gott todt’ ist, wie von einer neuen Morgenröthe angestrahlt; unser Herz strömt dabei über von Dankbarkeit, Erstaunen, Ahnung, Erwartung, — endlich erscheint uns der Horizont wieder frei, gesetzt selbst, dass er nicht hell ist, endlich dürfen unsre Schiffe wieder auslaufen, auf jede Gefahr hin auslaufen, jedes Wagniss des Erkennenden ist wieder erlaubt, das Meer, unser Meer liegt wieder offen da, vielleicht gab es noch niemals ein so ‘offnes Meer’.”[3] All das schien der Rednerin an jenem Abend zu einem Denker wie Nietzsche nicht erwähnenswert. Schade.
Die neuen Atheisten.
War bisher unklar geblieben, wie sich die Professorin dem Phänomen Religion annähern will, so stellte sich die Frage bald erneut: Rahner stellte Religionskritiker und Atheisten unserer Zeit vor. Was verstehen die von ihr kritisierten Atheisten unter Religion? Verstehen sie darunter eine Offenbarungsreligion, in der einer “heiligen Schrift” eine grundlegende Bedeutung zukommt? Oder geht es den Kritikern der Religion um eine nur noch diffus zu nennende und kaum noch angreifbare Patchwork-Frömmigkeit in den großen Kirchen? Alles Fragen, die wenn nicht zu Beginn einer “Reise” durch die Religionskritik, dann doch bei der Beschäftigung mit Kritikern der Religion zwingend hätten genannt werden müssen.
Bei der nun folgenden Skizzierung der Positionen Richard Dawkins, Sam Harris, Christopher Hitchens und Michael Schmidt-Salomons sparte Rahner nicht mit Kritik an ihrem Auftreten:
Hilfe, die Atheisten kommen - und sie interessieren sich nicht für Gott!
“Polemisch”, “verletzend”, “bewusst provozierend”. Auf diese Weise fielen diese Atheisten mit ihren Attacken unangenehm auf, die mit ihrem Gebärden, kleinen Kindern gleich, “die Grenze ausprobieren” würden.
Rahner sprach den skizzierten “vier apokalyptischen Reitern” des neuen Atheismus denn auch ab, philosophisch “auf dem Niveau” der Debatte des 19. Jahrhunderts zu argumentieren. Woran sich dieses mangelhafte Niveau der neuen Humanisten in der Debatte konkret festmachen ließe, erfuhren die Anwesenden nicht. Eine Andeutung gab es allerdings doch: Es ginge, so Rahner, den Vertretern eines neuen Humanismus nicht um die Gottesfrage, sie setzten sich nicht mit der religiösen Ideenwelt auseinander, sondern erklärten das Phänomen Religion “naturalistisch”: Religion werde gewissermaßen als einst nützliche Krücke für den Fortbestand des Menschen aufgefasst. Religion mag irgendwann einmal einen Nutzen gehabt haben. Heute, in aufgeklärteren Zeiten, gelte sie den Aufklärern als überwunden bzw. zu überwindende Größe.
Was dann folgte, durfte dann doch erstaunen: eine Gleichsetzung von Nietzsches angeblicher Anti-Anthropologie mit dem neuen Humanismus und seinem Griff nach dem Menschsein des Menschen.
Von Nietzsche zum Neuen Humanismus und zum Menschenpark.
Mehrfach warf Rahner das Schlagwort von der “Schönen Neuen Welt” in die Runde, ein “Menschenpark”, den Atheisten und Humanisten sich anschickten zu etablieren. In diesen Zusammenhang stellte sie einen Ausschnitt aus Peter Sloterdijks “Menschenpark” vor: Hier nahm sie Anstoß an Begriffen wie “Anthropotechnik” und “Menschenproduktion”[4]. Die Inszenierung Rahners schien gelungen, die Botschaft kam an: Atheisten modeln den Menschen um. Wollen ihn passend machen, den Menschen neu schaffen sich selbst zum Bilde.
7 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Für den Bibelkenner ist klar: Dass Gott die Liebe sei, steht in der “Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments” nur ein einziges Mal."
David, wo steht denn das in der Bibel? Habe es nie gesehen, halte mich aber auch für einen nur beschränkten Bibelkenner. Habe das Argument jedoch von ein paar EKD-Repräsentanten gehört.
Ansonsten scheint mir die Dame munter in den Fußstapfen von H Küng weiterzuschwurbeln...
David am Permanenter Link
Hallo.
Sorry, für die späte Antwort: Es gibt das Verslein "Gott ist die Liebe und wer in der Liebe bleibt, in dem bleibt Gott" ... sinngemäß.
Das war's. Es gibt sonst keinen Vers mehr, der aussagt, dass Gott die Liebe ist.
Es gibt noch die Aussage - frei zitiert - "Darin ist erschienen die Liebe Gottes, dass er seinen Sohn dahin gegeben=geopfert hat, als wir noch Sünder waren."
Eine schwache Basis für eine derartige Freistilexegese der Frau Rahner. Aber sobald man/frau einmal "Prof." vor dem Namen hat, kann man wohl auch behaupten, die Erde sei eine Scheibe ... :-(
user unknown am Permanenter Link
Hastig mit bibleserver.com herausgesucht:
1Joh 4,8 Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe.
1Joh 4,16 Und wir haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat. Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.
Suchphrasen: "ist die Liebe" (lieferte auch ein paar falsch positive) und "ich bin die Liebe" (lieferte gar nix).
Skydaddy am Permanenter Link
Frau Rahner ist eine Blenderin, die katholische Petra Bahr sozusagen.
David am Permanenter Link
@Skydaddy: Aber ist es nicht eine Schande, dass Schüler der 12.
Furchtbar. Das ist einer der Momente, in denen mir das Kartenhaus der Theologie und deren Fundament - nämlich Wolke 7 - erschreckend und beschämend vor Augen steht.
Es gibt aber - der Vernunft sei Dank - auch Theologen, die sich mit handfesteren Dingen beschäftigen.
Skydaddy am Permanenter Link
Frau Rahner hält diesen Vortrag offenbar schon seit Jahren in ähnlicher Form.
Eiszapfen am Permanenter Link
Friedrich Nietzsche: 1844-1900
Ludwig Feuerbach: 1804-1872