TÜBINGEN. (hpd) Der Hörsaal des Theologicums war übervoll, als der Studierendenrat den im Vorfeld umstrittenen und juristisch umkämpften NDR-Beitrag “Die Schwulenheiler” zeigte. Zu verdanken hatten die Veranstalter diesen Andrang der “TOS”, der “Tübinger Offensive Stadtmission”, die die Vorführung des Films bzw. zumindest die Erwähnung ihres Namens verhindern wollte.
Eingeladen waren der “panorama”-Reporter und Regisseur des Films Christian Deker sowie Regina Ammicht-Quinn vom Zentrum für Ethik in den Wissenschaften an der Universität Tübingen und Monika Barz von der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg.
Evangelisch, radikal, charismatisch, bibeltreu
Hinter der “Tübinger Offensive Stadtmission” verbirgt sich eine radikal evangelikale Gruppierung. Und die hätte es liebend gern gesehen, wenn der NDR-Beitrag gar nicht erst gezeigt worden wäre. Doch der “Einspruch” der TOS rief vermehrte Aufmerksamkeit hervor: Was nur ein Film unter vielen sein sollte, die im Rahmen der Reihe “Gleichfilm” des Studierendenrates gezeigt werden, wurde zu einer stattlichen Portion Aufklärung über rückwärtsgewandte Ansichten im “frommen Ländle”: Evangelikale Hardliner des lieben Gottes halten Homosexualität wahlweise für ein Vergehen “gegen Gottes biblische Ordnung”, für “Perversion” oder eben eine Angelegenheit, die sich mit Handauflegung und Gebet heilen lassen soll: Der Beitrag des NDR zeigt mit versteckter Kamera gewonnene Aufnahmen von einem “Heilungsgottesdienst” in Tübingen.
Studierende sprechen an, worüber eine Stadt schweigt
Bereits der Ankündigungstext zu dem Film “Der Schwulenheiler” des “AK Gleichfilm” hatte es in sich und erregte bei der TOS die Gemüter: “Von schwul zu hetero durch Psychoanalyse und Gebet? Christian Deker begibt sich für eine NDR-Dokumentation auf eine Reise in strenggläubige christliche Kreise, in denen seine sexuelle Orientierung für eine Sünde gehalten wird.”
Die ausdrückliche Erwähnung der “Tübinger Offensive Stadtmission” war schließlich den Gemeindefunktionären der TOS ein Dorn im Auge: “Er trifft auf Ärzte und freikirchliche Pfarrer, die ihn – sogar auf Kosten der Krankenkasse – von seiner Homosexualität ‘heilen’ wollen und stattet auch der Tübinger Freikirche TOS einen Besuch ab. Die Grundüberzeugung, mit der er konfrontiert wird: Homosexualität sei eine unnatürliche Krankheit, die es zu kurieren gelte.”
Bald spürten Vertreterinnen und Vertreter des Studierendenrates den Druck der evangelikal-charismatischen Gruppe: Und sie reagierten darauf gelassen bis heiter und machten kurzerhand aus der Filmvorführung einen Abend mit Film und Vortrag: “Wir haben keine Angst vor einer Klage. Der AK hat sich zusammengesetzt und sich rechtlich abgesichert”, sagt Christin Gumbinger von der FSVV. “Wir wollen den Termin jetzt in eine größere Location verlegen und möglicherweise noch eine Podiumsdiskussion dazu veranstalten.”
Der NDR-Beitrag
Christian Deker mischte sich unter die Besucherinnen und Besucher eines “Heilungsgottesdienstes” bei der Tübinger Offensive Stadtmission, einer radikal evangelikal-charismatischen Gruppierung, die vor gut zwei Jahrzehnten aus der örtlichen Baptisten-Gemeinde hervorgegangen ist.
Hier lernt Deker einen Arzt und Heiler kennen, den er später in seiner Praxis “konsultieren” wird. Nun wird es obskur: Der Mann betet für Deker und befiehlt dem “Dämon der Homosexualität” den jungen Mann zu verlassen. Nachdem er den “Patienten” mit Öl gesalbt hat, “erkundigt sich” der Arzt, so Deker, “nach dem Erfolg seiner Dämonenaustreibung.”
Weitere Anbieter auf dem Markt des Unsinnigen kommen in dem Film zur Darstellung: Für Erheiterung im Hörsaal sorgte beispielsweise der katholische Arzt, der auf Grundlage homöopathischer Heilkunde der Homosexualität Herr werden wollte. Geradezu harmlos und sicherlich nicht falsch war der Ratschlag desselben Arztes, keinen ungeschützten Verkehr zu haben…
Demo gegen den Bildungsplan: Die tollsten Antworten
Als Deker sich unter die Demonstrantinnen und Demonstranten der Bildungsplan-Gegner mischt, stets mit Kamera und Mikrofon gewappnet, erhält er die “tollsten” Antworten. Homosexualität sei “ungesund” und er, Deker, möge doch eine Klinik aufsuchen, sagt ein Demonstrant ihm ruhig ins Gesicht. Eine betagtere Dame hält Deker für einen “netten” Burschen, der sicherlich eine Frau glücklich machen könne. Sie fände es “schade”, dass er homosexuell sei. Dies sei so “unnatürlich” wie ein Schaf, das mit zwei Köpfen geboren werde.
So sind also einige der Gegner des Bildungsplans beschaffen, die sich gegen eine Thematisierung der verschiedenen Formen des Liebens und Zusammenlebens im Schulunterricht richten. Diese Gegnerschaft hat Rückhalt in Teilen der Bevölkerung und ist im “frommen Ländle” tief verankert. Sie ist in weiten Teilen der Landeskirche anzutreffen, vermehrt im freikirchlichen Lager präsent.
TOS im evangelikalen Netzwerk
Die TOS gehört zu einer Gruppe von Bibelfundamentalisten in Deutschland: den Evangelikalen. Vor Ort ist die TOS über die Studierendenarbeit mit der evangelikalen SMD und der Gruppe “Campus für Christus” verbunden. Die TOS arbeitet im Rahmen der örtlichen “Evangelischen Allianz”, einem evangelikalen Dachverband mit anderen frei- und landeskirchlichen Gemeinden u.a. bei jährlich wiederkehrenden “Gebetswochen” zusammen. In diesen sich als “konservativ” bezeichnenden Kreisen ist Homosexualität – streng von der Bibel her betrachtet – ein unerwünschtes Verhalten. Es gibt in evangelikalen Kreise gewiss Unterschiede in der Bewertung. Doch ob die TOS oder andere evangelikale Gruppierungen Homosexualität nun für eine “heilbare” Krankheit halten oder für eine “Störung” - diskriminierend sind die Aussagen in allen Fällen.
Was bleibt zu tun?
Insgesamt ein zweistündiger Abend, bei dem man den im Film gezeigten Aussagen der “Schwulenheiler” nichts hinzuzufügen brauchte: Der fromme Unsinn, der hier geäußert wurde, sprach für sich selbst. Die “Schwulenheiler” vor Ort, die evangelikale TOS, wurde nicht eigens thematisiert. Schade, da diese radikale Gruppierung sich mehr und mehr etabliert: Sie engagiert sich in einer Kindertagesstätte (und erhält entsprechende Zuschüsse von der Stadt) und arbeitet daran, Vorschulkinder zu betreuen. Auffallend war zudem, dass die Ethikern Ammicht-Quinn, von Haus aus katholische Theologin, die Bibel als eine Schrift erwähnte, in der eine (!) Beziehung zwischen zwei Männern positiv Erwähnung fände. Eine in den Raum gestellte Aussage, die angesichts der Todesdrohungen, die in der Bibel gegen fast alle von der “Ehe” zwischen Mann und Frau abweichende Formen sexuellen Umgangs ausgesprochen werden, geradezu absurd erscheinen muss.
Der “liebe Gott” und die harte Wirklichkeit der Bibel.
Diese aus Unkenntnis oder absichtlich erfolgte verharmlosende Äußerung kann über eines nicht hinwegtäuschen: Christliche “Schwulenheiler” bewegen sich durchaus auf biblischem Boden. Damit zeigt sich das Dilemma, in dem “moderne” oder “liberale” Kirchenmänner und -frauen sich befinden, die ihren Glauben offen, tolerant und menschenfreundlich verstehen möchten: Sie können dies nur, weil und wenn sie ihre eigenen Grunddokumente des Glaubens wegrationalisiert haben. Was bleibt, ist wenig überzeugend und bietet noch weniger Identifikationsmöglichkeiten für gläubige Menschen: Womöglich ein Grund, warum die “großen” Kirchen stetig schrumpfen und bibeltreue Gemeinden und Gemeinschaften wie die TOS sich einer lebendigen Mitgliederschar erfreuen.
Es bleibt viel zu tun. Beherzte Studierende haben auf Missstände aufmerksam gemacht, zu denen eine breite Mehrheit schweigt.
Literaturempfehlung / Links:
Lambrecht, Oda / Baars, Christian: Mission Gottesreich. Fundamentalistische Christen in Deutschland, Berlin 2009.
Auf den Seiten der “Evangelische Allianz Deutschland” stellt die TOS-Gemeinschaft die Dinge aus ihrer Sicht dar.