Humanistischer Salon Nürnberg

Kubitza und Haberer im Streitgespräch über die Grundlage von Religion

Über die Bibel und den Glauben debattierten im Humanistischen Salon Nürnberg zwei Theologen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Auf der einen Seite eine gläubige Protestantin und Professorin für Christliche Publizistik. Auf der anderen Seite ein promovierter Theologe, der zum Autor und Herausgeber zahlreicher religionskritischer Schriften wurde.

Mit der Veranstaltung "Ist Religion noch vermittelbar? - Alte Texte, neue Deutung, umstrittener Sinn" startete am 8. Oktober 2017 die zweite Staffel des Humanistischen Salons im Nürnberger Café PARKS. Auch dieses Winterhalbjahr lädt die Reihe wieder einmal im Monat am Sonntagmittag zur Auseinandersetzung mit einem wissenschaftlichen oder humanistischen Thema.

Ausdrücklich wollen die Veranstalter dabei auch die öffentliche Begegnung weltanschaulicher Gegensätze ermöglichen. Im Gespräch über die Bedeutung religiöser Texte bedürfe es dabei in besonderer Weise der Bereitschaft einander zuzuhören, betonte Moderator Helmut Fink in seiner Einführung. "Denn es geht um Grundüberzeugungen und Glaubensfragen."

Über die radikale Änderung seiner Sicht berichtete Heinz-Werner Kubitza, der Gründer des Tectum-Verlages und Autor der "Wahn-Trilogie". Es sei gerade die intensive Beschäftigung mit der Bibel gewesen, durch die er seinen Glauben verloren habe, erzählte er. Durch die Beschäftigung mit den Widersprüchen und der historischen Entstehung der Bibel. Für ihn ist heute klar, dass die Theologie selbst mit ihrer historisch-kritischen Methode dem Glauben seine Grundlage entzogen und ihn als Aberglaube entlarvt hat.

Er erklärte, wie er anfangs als gläubiger Christ möglichst nah rankommen wollte an die Person Jesus, aber dabei immer Irritierendes fand - wie etwa Jesu Arbeit als Exorzist. Jesus habe sich selbst zudem nicht als Messias gesehen oder als Sohn Gottes, sondern als gläubigen Juden. Das zeigten die Ergebnisse theologischer Forschung.

Auch sei ja inzwischen bekannt, dass zentrale Glaubensinhalte wie die Weihnachtsgeschichte oder die Auferstehung einfach Legenden seien, die später dazuerfunden wurden. Es sei nach 200 Jahren Forschung daher an der Zeit zuzugeben, dass man sich geirrt habe. Dass nichts dran sei. Dass der historische Jesus ein völlig Anderer war als die Kirche verkündet.

Seine Debattengegnerin Johanna Haberer, Theologie-Professorin an der Universität Erlangen, stellte diese Sicht Kubitzas als ein Missverständnis dar. Als ein Problem falscher Erwartungen von faktischer Wahrheit. Auch sie habe natürlich im Studium gelernt, dass vieles erst später "dazugewachsen" sei, sich verselbstständigt habe. Dass sich das Christentum über den historischen Jesus hinaus zu etwas Eigenem entwickelt hätte. Aber das schmälert für sie nicht die Wichtigkeit der Botschaft.

"Kann man Religion abschaffen?", fragte Haberer und meinte es rhetorisch. Denn Religion sei doch nicht reduzierbar auf eine Gründerperson. Sie sei ein gewachsenes kulturelles Gebilde. "Kann man Sebastian Bach abschaffen? Die gotischen Kirchen?" Es ginge nicht um historische Fakten, sondern um die transportierte Bedeutung, meinte sie, um den Trost und das Vertrauen, das Texte und Lieder vermittelten.

Haberer setzte Kubitzas entzauberter Sicht ein Bild von Religion als vielfältiger, dynamischer, offener Erzählgemeinschaft entgegen, die Aufgehobensein vermittele. "Mein Glauben ist ein Geborgensein in einer Kultur von Texten und Musik. Und sie sind von so evidenter Schönheit... ich kann mir nicht vorstellen, dass man diese Schönheit abschaffen kann... per Argument."

Für Kubitza jedoch ist Glauben zu etwas Kindlich-Fiktionalem geworden, das es gilt durch ein erwachsenes, realistisches Weltbild zu ersetzen. Es sei wie der Glaube an den Weihnachtsmann, den ein Kind irgendwann überwinden müsse. Denn welchen Wert hat ein Aufgehobensein und ein Vertrauen, das auf einer irrealen Grundlage beruht? "Ich will auf dem Sterbebett niemanden, der mir ewiges Leben verspricht."

Und dass im Protestantismus Dogmen keine Rolle mehr spielten, stimme so nicht, erklärte er. "Auch die aktuelle systematische Theologie kommt nicht ohne sie aus. Kein Theologe an der Uni will unwissenschaftlich erscheinen. Aber wenn naturwissenschaftliche Erkenntnis mit der Tradition vereinbart werden muss, kommt oft ein trauriger Eiertanz dabei heraus."

Und auch der Darstellung von Religion als etwas, in dem Kultur besonders gedeiht, widersprach Kubitza. Das sei in dem Großteil der christlichen Geschichte gerade nicht der Fall gewesen. Es habe jahrhundertelang keine freie Kunst, Musik und Literatur gegeben. Das Ästhetische sei von der Kirche gefangen gewesen und die Religion bestimmte, wo es lang ging. "Die Protestanten schmücken sich gerne damit, sich kulturell zu verstehen, doch die große Kunst ist erst entstanden, als der Einfluss der Religion zurückging."

Haberer hielt dem entgegen, dass Protestanten wie sie sich ja gerade nicht die frühere Dominanz der Kirche zurückwünschten. Die Reformation sei schließlich ein wichtiger Schritt gewesen für eine Befreiung von der Dominanz einer weltlichen Institution. Luther habe dem Einzelnen die Interpretationsmacht zurückgegeben über die Schriften. Und damit auch die eigene Auseinandersetzung mit den inneren Widersprüchen der Bibel. Diese lobte Haberer als literarisch-metaphorische Vielfalt der Überlieferung und damit als eine wichtige pluralistische Wurzel des Christentums.

Eine Befreiung des Menschen von Religion hält sie jedoch für einen Verlust. Denn Glaube vermittele eine andere Kategorie als Wissen. "Ich vertraue, dass das Leben einen Sinn hat. Dass ich kein Zufallsgeschoss bin. Und dass am Ende Gerechtigkeit kommt." Das sei jenseits von dem, was wir wissen könnten, hätte aber großen Einfluss auf die Welt. "Man sollte diese beiden Kategorien daher nicht gegeneinander ausspielen."

Für den wirklichkeitsprägenden Einfluss der Religion wählte Haberer ein Beispiel vom Lebensende. "Jemandem im Hospiz zu begleiten, mit ihm zu beten und ihn noch einmal mit seinen Kindern zusammenzubringen, das ist doch anders als zu sagen, er stirbt jetzt bald, ich gebe ihm die letzte Spritze, weil der letzte Weg schmerzlich ist."

Für diese Darstellung erntete die Theologin diesmal jedoch auch Widerspruch von Moderatorenseite. "Ich fühle mich zu einer Stellungnahme gedrängt, denn das, was Sie sagen, suggeriert ja aktive Sterbehilfe", warf Helmut Fink ein. Humanistische Sterbehilfe sei jedoch nicht gleichzusetzen mit einer Spritze. Sie fände im Rahmen von Palliativmedizin statt und mit ergebnisoffener Beratung.

Kubitza, der sich auf die Glaubensinhalte selbst konzentrierte, gab Haberer insofern recht, dass der Gedanke, es gäbe am Ende immer Gerechtigkeit, ein schöner sei. Aber es sei eben auch ein irrealer Wunsch. Und er erklärte, dass er die Vorstellung von ewigem Leben heute als Hybris ansieht, als der Wunsch so zu sein wie Gott. "Im Grunde ist es eine einzige Verdrängung des Todes. Aber wir sind sterblich und danach kommt nichts mehr. Mit diesem Gedanken müssen wir uns frühzeitig arrangieren", erklärte er. Das sei vielleicht enttäuschend, aber gehöre zum Annehmen der Wirklichkeit.

Auch diese kontroverse Debatte wird voraussichtlich wieder als Video veröffentlicht werden können. Wer darüber informiert werden will, kann den Youtube-Kanal des Humanistischen Salons abonnieren oder der Reihe bei Facebook bzw. Twitter folgen, wo auch auf kommende Veranstaltungen hingewiesen wird.

Der nächste Humanistische Salon findet am 5. November um 11 Uhr im Nürnberger PARKS statt. Zu Gast ist dann Dr. Lars Jaeger mit dem Thema: "Wissenschaft und/oder Spiritualität? - Von der inneren Haltung bei der Gestaltung unserer Zukunft". Wie gehabt mit ausgiebiger Möglichkeit zum Gespräch und gemütlichen Brunchen sowie dem musikalischen Rahmenprogramm von Claus Gebert.