Die Gottes-Hypothese

BONN. (hpd) “Gott” ist eine Hypothese, die bei der Erklärung der Welt, des Lebens und des Menschen unnötig ist – schon deshalb, weil sie ja nichts erklärt. Alle Versuche, einen “Gott” zu beschreiben, sind leicht als reine Spekulation zu erkennen, auf die sich bestimmte Menschengruppen geeinigt haben – oft unter dem Einfluss eines der ungezählten, charismatischen “Religionsstifter”.

In der menschlichen Entwicklungsgeschichte dürfte der Glaube an Geister und Götter mit der Evolution des Hirns entstanden sein, das einigen Primaten einen Vorteil verschaffte, der sich mit zunehmender Intelligenz weiter vergrößerte. Mit diesem evolutionären Vorteil kam aber auch die Fähigkeit und Neigung, Fragen nach dem “Warum” zu stellen. Aus dem Bedürfnis nach einfachen Antworten kam die Annahme von Geistern, Dämonen und Göttern.

Diese spekulativen Annahmen dürften sich in jeder Horde auf zufällige Weise unterschiedlich homogenisiert haben, wobei Hordenmitglieder mit besonderen Führungseigenschaften nach und nach die Deutungshoheit erhalten haben dürften. Diese erste “religiöse” Rolle dürfte dem Häuptling der Horde zusätzliche Macht verliehen haben.

Auch als in komplexeren Gesellschaften Herrschaftsmacht und priesterliche Deutungshoheit auseinander fielen, wirkten die religiösen Lehren und die entwickelten Rituale (Opfer, Anbetung etc.) für die Gruppen und Gesellschaften identitätsstiftend und damit weitgehend selbststabilisierend. Die frühkindliche Indoktrination wirkt noch heute zusätzlich stabilisierend, weil damit Überzeugungen in das Denken der Menschen eingepflanzt werden, über die sich niemand mehr wundert, weil sie als selbstverständlich gelten.

Dass so viele Menschen auch heute noch an etwas Göttliches glauben, liegt unverändert an eben dieser Indoktrination des Einzelnen im vorbewussten Kindesalter sowie später aus dem stabilisierenden allgemeinen Konsens seiner gesellschaftlichen Umgebung, aus dem man nur bei großer intellektueller Anstrengung und oft großem Mut zu gesellschaftlicher Außenseiterrolle ausbrechen kann.

Die Verschiedenheit heutiger Großreligionen, insbesondere der abrahamitischen [1] einerseits und der indischen [2] andererseits, sind das Erbe der ursprünglichen Zufälligkeit religiöser “Antworten” in den weit getrennten Räumen des Mittelmeers und des indischen Subkontinents.

Wer wenig oder nichts über die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse seit etwa 100 Jahren [3] weiß, kann kaum zu Zweifeln kommen. Wer allerdings diese Ergebnisse zur Kenntnis nimmt, kann Religionen nur als vorwissenschaftliche Spekulation sehen – durch Priesterschaften organisiert, durch sog. theologische “Wissenschaften” [4] immunisiert, durch Strafandrohungen (und sei es im “Jenseits”) diszipliniert und durch Heilsversprechungen verlockend dargestellt.

Dabei kann ein informierter Mensch sich auch ohne naturwissenschaftliches Wissen und Verstehen über die Falschheit aller religiösen Aussagen klar werden – er muss nur die Verschiedenheit religiöser Systeme und ihren Wandel in geschichtlicher Zeit zur Kenntnis nehmen.

Der Mensch ist eben nicht der Sinn der Welt, sondern ein zufällig entstandenes Wesen auf einem kleinen Planeten einer kleinen Sonne in einer der vielen Galaxien, die seit 14 Mrd. Jahren ein expandierendes “Universum” bilden. Seinen Anspruch auf Würde, Gleichheit und Glück hat er sich selbst gegeben und er hat diese Werte auch selbst zu verteidigen.

Auf dieser Basis kann man zwar an eine außerweltliche Wesenheit glauben, nicht aber dieser Wesenheit konkrete Eigenschaften oder gar an den Menschen gerichtete Vorschriften oder Wünsche zuschreiben. Dies rettet zwar die Möglichkeit eines außerweltlichen Gottes als eines bloßen “Schöpfers” der Physik von Raum, Zeit, Energie und Materie, aber es rettet keine konkrete Religion mit ihren Mythen, Regeln und Geboten.

Muss man aber wegen einer solchen Überzeugung aggressiv gegen (Aber-)Glauben vorgehen? Ist Toleranz möglich?

Ja, Toleranz ist nötig! Das gebietet die Achtung vor der Würde des Menschen, dessen Identität nun einmal wesentlich auch durch seine religiösen Überzeugungen geprägt ist. Wer für seine areligiöse Haltung werben, ja überzeugen will, sollte sich an die “Hebammen”-Methode des Sokrates halten; alles, was er tun kann und darf, ist: Beim Denken helfen!


  1. Juden- und Christentum sowie Islam  ↩

  2. Hinduismus, Jainismus, Buddhismus  ↩

  3. oft wird in Argumentationen darauf hingewiesen, dieser oder jener Philosoph, Dichter, Forscher oder sonst wie bedeutende Mensch habe schon vor x Hundert oder Tausend Jahren eine heute gesicherte Erkenntnis „gewusst“. Das ist Unsinn! Das blinde Tasten nach einleuchtenden Erklärungen hat seit mehr als zweitausend Jahren zu allen denkbaren Modellen geführt, so dass man heute immer jemanden findet, der gut geraten hat. Aber ohne Beweis waren diese Spekulationen nicht mehr wert als die viel zahlreicheren Falschannahmen.  ↩

  4. Theologie als Wissenschaft ist im Kern Apologetik, d.h. die Lehre, wie man den jeweiligen Glauben mit all seinen Mythen und Ritualen verteidigt.  ↩