Zwingen Sie Ihre religiösen Ansichten nicht Ihren Kindern auf

BERLIN. (hpd/rdf) Gibt es religiöse Kinder? Laut Richard Dawkins gibt es nur Kinder religiöser Eltern. Auf der Seite der Richard-Dawkins-Stiftung erklärt er, warum die religiöse Indoktrination von Kindern ein Ende nehmen sollte.

Letzte Woche wurde in der Islington Gazette berichtet, dass der lokale Regierungsrat des Londoner Stadtteil Islington Schweinefleisch-Produkte aus dem Essen der Grundschule verbannt hat. Das Gerücht eines völligen Verbots wurde seitdem bestritten, und die Wahrheit ist unklar. Es gäbe in der Tat ein gutes Argument für ein Verbot, aus humanitären Gründen. Es gibt nach wie vor überzeugende Beweise dafür, dass Schweine ein Level von Intelligenz und Bewusstsein haben, welches mit unseren geliebten Haustieren vergleichbar ist. Aber solche humanen Überlegungen wurden hier nicht aufgeführt. „Durch den Verzicht auf Schweinefleisch auf der Speisekarte in unseren Schulen können wir Kosten senken und Lebensmittelabfälle reduzieren, um das Budget für das Schulessen unter finanziell schwierigen Umständen maximal zu verwerten“, wurde Stadtrat Joe Caluori, exekutives Mitglied des Rates für Kinder und Familien, in der Gazette zitiert.

Der eigentliche Grund wurde von einem anderen Sprecher des Rates verdeutlicht, wie in der Gazette zitiert und in der The Independent, eine von Großbritanniens renommiertesten nationalen Zeitungen wiedergegeben wurde: „Kleine Kinder, einige nicht älter als vier Jahre alt, mit verschiedenen religiösen und ethnischen Hintergründen können nicht wissen, welche Lebensmittel Schweinefleisch enthalten oder nicht die Bedeutung erkennen, dies aufgrund ihrer Kultur oder ihres Glaubens zu meiden.“

Was auch immer wahr oder falsch an dem ursprünglichen Bericht über das Verbot ist, es steht etwas in diesem Zitat, was heraus sticht und einem ins Auge springt. „Ihr“ Glaube? Der „Glaube“ von vierjährigen Kindern? Kam es den Sprechern nicht in den Sinn, dass Kinder, die zu jung sind, die Bedeutung „ihres“ Glaubens zu erkennen, auch zu jung sein könnten um denselben Glauben ursprünglich zu besitzen? Wie kann der „Glaube“ für ein vierjährigen Kindes „wichtig“ sein, wenn es nicht einmal weiß, was sein Glaube ist?

Würden Sie jemals von den politischen Überzeugungen von Vierjährigen sprechen? Hannah ist eine sozialistische Vierjährige, Mark ein Konservativer. Wer würde im Traum daran denken, so etwas zu sagen? Was würden Sie sagen, wenn Sie einen demografischen Artikel lesen, der etwas in dieser Art aussagt: „Eines von drei Kindern, das heute geboren wird, ist ein kantsches neuplatonisches Kind. Wenn sich der Trend in der Geburtenrate fortsetzt, werden existentialistische Positivisten bis zum Jahr 2030 in der Unterzahl sein“. Vergessen Sie die unsinnigen Namen der philosophischen Denkschulen, die ich nur erfunden habe. Ich wählte bewusst surreale Namen, um nicht vom tatsächlichen Punkt abzulenken. Religion ist die einzige Ausnahme, die wir von der Regel machen: Kinder nicht nach den Ansichten ihrer Eltern zu kennzeichnen.

Und wenn sie eine Ausnahme für religiöse Ansichten machen möchten und behaupten, es sei weniger absurd von „christlichen Kinder“ oder „muslimischen Kinder“ zu sprechen, dann sollten Sie besser ein gutes Argument parat haben.

Wie könnte so ein Argument aussehen? Zunächst werden einige sagen, dass die Bezeichnung eines Kindes als muslimisch oder katholisch nicht schlechter ist, wie es als französisch oder schwedisch zu bezeichnen. Aber das ist kein guter Vergleich. Die Staatsbürgerschaft eines Landes, ob es uns gefällt oder nicht, hat rechtliche Folgen. Ihr Land gibt ihnen ihren Pass, sie dürfen an Wahlen teilnehmen, sie könnten sogar zum Kriegsdienst eingezogen werden. Aber wie sie wissen, sagt Jemandes Nationalität rein gar nichts über dessen Ansichten aus. Dieser Franzose könnte dem linken oder rechten Flügel angehören, pazifistisch oder kriegerisch, für oder gegen Abtreibung, Todesstrafe, Vegetarismus, Windows, Macintosh oder Linux sein.

Anders als nationale Bezeichnungen, bringen religiösen Bezeichnungen ein Bündel an persönlichen Auffassungen mit sich. Katholiken glauben, dass Jesus von einer jungfräulichen Mutter geboren wurde, die nie starb, aber von der „angenommen“ wird, dass sie leibhaftig im Himmel ist. Mormonen glauben, dass Jesus Amerika besuchte, und dass die Indianer aus Israel einwanderten. Es ist selbstherrlich und vermessen, einem Kind eine metaphorische Bezeichnung anzuheften und daraufhin festzulegen, „dieses Kind glaubt, Jesus sei von den Toten auferstanden“, ebenso gelassen, wie Sie vielleicht „Blutgruppe AB“ schreiben. Nicht zuletzt negiert es das wertvolle Ideal aller ehrbaren Pädagogen, dass Kinder lernen sollten, für sich selbst zu denken.

Außerdem wird es Menschen geben, die argumentieren, wenn man die religiöse Doktrin beiseite lässt, ein Kind dennoch so behandeln sollte, als wenn es der kulturellen Traditionder Eltern angehöre. Jüdische Familien halten einen Kalender von Festen und Ritualen ein, die sich von denen der Christen, Muslime oder Hindus unterscheiden. Es ist sinnvoll, dass die Kinder an den traditionellen Mahlzeiten am Freitagabend teilnehmen, zu Weihnachten die Strümpfe aufhängen, helfen den Diwali Kuchen an dem entsprechenden Tag zuzubereiten. Ich verstehe das, und wäre traurig zu sehen, wenn viele alte Traditionen sterben würden (obwohl ich eine Grenze ziehen würde, wenn man Kinder fasten lässt oder Säuglingen die Vorhaut abschneidet). Viele meiner jüdischen Freunde (fast alle sind Atheisten) sehen keinen Schaden darin traditionelle Feste zu feiern, und ich genieße eine Weihnachtsmesse in einer großen Kathedrale oder die Abendandacht auf einem Erntedankfest in einer Landkirche.

Aber es besteht wirklich ein wichtiger Unterschied zwischen der Einbindung seiner Kinder in harmlose Traditionen und ihnen unbewiesene Ansichten über die Natur des Lebens und des Kosmos aufzuzwingen. Tradition ist in Ordnung, wenn sie Lieder oder Literatur, Kleidungsstile oder Architektur umfasst. Aber Tradition ist eine schreckliche Grundlage für Ethik oder Vorstellungen über die Entstehung des Universums und die Entwicklung des Lebens.

Seine Ansichten in die verletzlichen Köpfe seiner Kinder zu indoktrinieren ist schlimm genug. Vielleicht noch schlimmer ist die defätistische Annahme, die fast überall in der Gesellschaft gemacht wird, einschließlich der säkularen Gesellschaft, dass Kinder tatsächlich automatisch den Glauben ihrer Eltern erben und sich dies in unserer Sprache widerspiegeln sollte. Nicht-religiöse sowie religiöse Menschen teilen die Ansicht, dass Kinder mit dem einen oder anderen religiösen Namen bezeichnet werden sollten.

So wird man sogar für das Leben festgelegt: wenn sie in das Krankenhaus oder in die Armee gehen füllen Sie ein Formular aus, in dem sie ihre Religion angeben müssen (es kann auch „keine“ sein).

Wir lesen regelmäßig demografische Prognosen wie: „Bis zum Jahr so und so wird Frankreich zu 50 Prozent muslimisch sein.“ Eine solche Vorhersage kann nur auf der Annahme beruhen, dass alle Kinder, die ein muslimisches Paar geboren hat, kleine Muslime sind, die aufwachsen um zu gegebener Zeit ihre eigenen kleinen Muslime aufziehen.

Scheidungsgerichte könnten aufgefordert werden, um zu entscheiden, ob ein Kind aus einer zerrütteten Ehe „katholisch“ oder „protestantisch“ aufwachsen soll. Niemand hat je ein Scheidungsgericht gebeten, ob ein Kind mit „Fußball“ oder  „Rugby“, als „Ornithologe“ oder „Briefmarkensammler“, „liberal“ oder „ konservativ“; „Macintosh“ oder „Windows“ aufwachsen soll.

Feministinnen haben erfolgreich unser Bewusstsein für geschlechtlich voreingenommene Sprache erweitert. Niemand spricht heutzutage über „one man one vote“ für Wahlgleichheit oder „the rights of man“ für Rechte des Menschen. Der Einsatz von „man“ (Mann) in einem solchen Kontext lässt einen sofort die Haare zu Berge stehen. Selbst diejenigen, die bewusst sexistische Sprache verwenden, wissen, dass sie es tun, vielleicht tun sie es sogar um bewusst zu ärgern. Der Punkt ist, dass unser Bewusstsein erweitert wurde. Unsere Sprache hat sich verändert, weil wir uns der versteckten Annahmen bewusst geworden sind, die wir zuvor übersehen haben.

Lassen Sie uns alle unser Bewusstsein und das Bewusstsein der Gesellschaft über die religiöse Kennzeichnung von Kindern erweitern. Lassen Sie uns alle auf unsere religiöse Sprache achten, so wie wir es gelernt haben, sexistische Sprache zu überwinden. „Katholiken Kind“, „Muslimen Kind“, „Hindu-Kind“, „Mormonen Kind" - alle diese Ausdrücke sollten uns erschaudern lassen. Immer, wenn Sie jemand von einem „katholischen Kind“ sprechen hören, sollten sie ihm Einhalt gebieten: So etwas wie ein katholisches Kind gibt es nicht. Möchten Sie von einem „postmodernistischen Kind“ oder „Bundesstaaten Rechte Kind“ sprechen? Was Sie sagen wollten war, ein „Kind katholischer Eltern“. Und das gleiche gilt für „muslimisches“ Kind etc.

Wenn ihnen nichts ins Auge gesprungen ist, als sie das Zitat des Pressesprechers des Islington Rats das erste Mal gelesen haben, tun Sie es bitte noch einmal. Ist Ihr Bewusstsein nun erweitert?

 


Übersetzung: Jörg Elbe

Übernahme von richarddawkins.net