Diderot, neu aufgelegt: Die Frau als Stichwortlieferantin

Große Männer nerven eher

Gott ist überwunden. Aber der Glaube an das Erhabene und "große Männer" bleibt uns treu – wohin wir auch gehen, wo hinein wir auch blättern. Zum Beispiel in diesen neu aufgelegten Atheismus-Dialog von Diderot.

Vom Glauben an eine Monogottheit ist uns, nachdem diese zerplatzt ist, der Glaube an das Erhabene geblieben. Wie eine Hintergrundstrahlung zieht sich die Vorstellung davon durch unsere Verrichtungen: Selbst wenn es keinen Gott gibt, sagt uns unsere Sehnsucht, so muss es doch irgendwie etwas Herausgehobenes, zu Verehrendes geben. Wenn es schon nichts Übernatürliches gibt, gebt uns doch wenigstens etwas Über-Alltägliches. Wir wollen Gefühle, so groß wie Kinoleinwände, wollen an das Magische in den Künsten glauben, wir schnitzen uns, je nach Bedarf, "große Männer" zurecht in Politik, Kultur, Medien und Historie, die unser Bedürfnis nach Heiligenverehrung stillen, der ein uneingestandener Transzendenzwunsch innewohnt: Da kauft man dem indischen Kaufmannssohn Gandhi gern seine Selbstinszenierung als Jesus 2.0 ab, traktiert einander unter Gebildeten mit Luhmann- oder Derrida-Zitaten, um mal in die Aura eines Bildungspriesters einzutauchen. Da werden literarische Autoren zu ihren politischen Meinungen gefragt als wären sie Auguren mit tieferem Durchblick – obwohl sie doch auch nur ein Zeitungsleser voller Vorurteile sind, ganz wie du und ich, nur eben verquaster.

Wie sehr noch eine dezidiert atheistische Veröffentlichung mit solchem verfeinerten Aberglauben durchsetzt sein kann, zeigt jetzt beispielhaft ein kleiner Band der "Friedenauer Presse": Hier haben sie einen kurzen Text des Enzyklopädisten Denis Diderot neu aufgelegt, erstmals auf Deutsch, ein eigenes kleines Büchlein: "Die Unterhaltung eines Philosophen mit der Marschallin de Broglie wider und für die Religion". Da weht dem gut ausgebildeten und somit unbedingt bibliophilen Bildungsbürger ein erster kleiner Verehrungsschauer an: Der Text ist ja so alt! Die Entscheidung, ihn jetzt noch einmal zu bringen, zeugt somit von erhabenem Denken oberhalb jeglichen marktwirtschaftlichen Räsonnierens! Fadengebunden! Und also auch handwerklich von einer Erhabenheit, die die Zeiten überspannt. Alles, was alt oder wenigstens altertümelnd ist, steht unter unserem geistigen Denkmalschutz und wird mit größtem Bedacht in die Hand genommen.

Zumal, wenn nicht nur ein Kanonisierter an der Inhaltsproduktion beteiligt gewesen ist, sondern sogar zwei. Die Übersetzung aus dem Französischen hat nämlich kein Geringerer (und, um der Exaktheit die Ehre zu geben, auch niemand Größerer) vorgenommen als jener, der nun unterhalb Diderots in Kapitalen und schiefergelegtem Deutsch prangt: "aus dem Französischen übersetzt und mit Addenda von HANS MAGNUS ENZENSBERGER". Müsste es nicht heißen: "In einer Übersetzung und mit Addenda von ...?", oder "aus dem Französischen übersetzt und mit Addenda versehen von ...", da "von" hier einmal "durch" heißt, einmal "aus der Feder von"?

Cover

Na, geschenkt. Zunächst müsste man ja klären, was "Addenda" sind. Denn zwar hat menschliche Vernunft sich schon sehr, sehr lange am Latinismengemurmel der Priester gestört, das sie wohl dem Heiligen Geist näher bringen sollte. Dennoch haben die gebildeten Stände die Neigung zum Latinismus gern übernommen, da er ihnen einen weltlichen Zugang zur Abgehobenheit ermöglicht. "Addenda", leewe Lüüd, bezeichnet also einen Nachtrag im Buch, eigentlich sogar mehrere, und Hans Magnus Enzensberger hat also sein Nachwort so betitelt. Das Nachwort beginnt mit einigen wissenswerten Infos zum vorliegenden Stück, ehe es sich in lose angefügten Fakten zu anderen Werken Diderots verliert, um dann schließlich eine Quellenliste vorzulegen, die nur wenig kürzer ist als der eigentliche Text und die "Loci citati" heißt, warum auch immer, man möge das bitte eigenständig googeln.

Ja, aber was hat das denn nun alles mit Diderot zu tun, diesem großen, großen Manne? Fragen Sie sich jetzt. Nun. Es schärft unsere Sinne. Nach all dieser aufwändigen bildungshuberischen Verpackungstätigkeit – was erwartet uns denn da eigentlich im Buch?

Es ist dies ein Dialog von knapp 20 Seiten, der seiner ganzen schönen Aufmachung und dem Tamtam drumherum nicht standhält. Gewiss, Denis Diderot hat seinen Platz in der europäischen Geistesgeschichte – auch wenn eine Enzyklopädie sich weniger mit dem Namen eines Einzelnen, eines weiteren weltlichen Heiligen, verbinden sollte, sondern lieber für die wissenschaftliche Community, die Cloud der Interessierten, Offenen und Gebildeten stehen. Immerhin, Diderot ging voran, er trug die Fackel der Aufklärung ein Stück weit und verscheuchte Schatten des Aberglaubens. Sein hier vorliegender Text nun ist kein Höhepunkt seines Schaffens, er reproduziert nur auf leichtfüßige Weise einige gängige Argumente gegen die Religion: Ein Atheist führt ein längeres Gespräch mit einer religiösen Frau, der Gattin eines Geschäftspartners, und die Argumente sind so wenig überraschend wie der Dialog oder die Figuren überzeugend sind.

Dieser Konflikt zwischen Freiheit und organisierter Religion, der Millionen Menschenleben gekostet hat, hätte hier doch einen ernsthafteren Kampf verdient gehabt. Da hätte man auch der Religion mehr Punch gewünscht, mehr Drohpotenzial, um den Atheismus dann am Ende triumphieren zu sehen. Aber das mag wiederum mit einer kindischen Sehnsucht nach großen Männern zu tun haben, welche große Kämpfe siegreich bestreiten – man ist ja nicht frei davon. Der Dramaturgie hätte es sicher geholfen. So aber bleibt ein Gespräch unter Sorgenfreien, Gebildeten, Prenzlberg-Style.

Einen Sog, eine Spannung hat das nicht, zu freundlich und verspielt gehen auch die beiden Beteiligten miteinander um, ihr Gespräch ist eine letztlich einseitige Abwicklung von Argumenten, in deren Zentrum eine leicht verrutschte Parabel über Gottes Liebe und Gerechtigkeit steht, auf die sich der Atheist ja, so er denn Unrecht haben sollte, verlassen könnte. Diderot fehlt in diesem Kammerstück für die gehobenen Stände die Schwere, er negiert die existenziellen Bedürfnisse, welche die Religion, ob sie nun Recht hat oder nicht, befriedigt oder zumindest ruhigstellt, und von Anfang an ist dem Atheisten die Marschallsgattin Untertanin: Sie dient als hübsche Stichwortgeberin, ihre Aufgabe ist es, den großen Mann zu seinen vermeintlichen geistigen Höhenflügen zu inspirieren – so stoßen wir, zwischen den Zeilen, doch auf eine leider stets aktuelle Realität der menschlichen Geistesgeschichte. Seien die Leute nun religiös oder seien sie aufklärerisch: Wo große Männer auftauchen und das Sagen haben, und wo man sie verehrt und kultifiziert – haben Frauen eher nichts zu sagen. Diderots kleines Stück ist ein Zeugnis davon.