Landesverfassung Schleswig-Holstein

Gottesbezug 2.0

HAMBURG. (hpd) Einige Christen in Schleswig-Holstein haben im vergangenen Jahr vergeblich versucht, einen Gottesbezug in die Verfassung von Schleswig-Holstein aufnehmen zu lassen. Sie sind mit diesem Ansinnen im Landesparlament gescheitert. Statt sich damit abzufinden, versucht jetzt eine Initiative unter Anführung des ehemaligen Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen (CDU) per Volksinitiative das Landesparlament zu zwingen, sich nochmals mit diesem Thema zu befassen.

Hinter dieser Kampagne steckt das (katholische) Erzbistum Hamburg, das bereits im Oktober 2014 – nur wenige Tage nach der Ablehnung des Gottesbezuges durch das Kieler Landesparlament – diese "Volksinitiative" in Gang gesetzt hat. Die aufwendig gestaltete Website "gottesbezug.de" wird von der Ansgar Medien GmbH betrieben, dem Medienunternehmen des Erzbistums Hamburg. In Erwartung der Ablehnung im Kieler Landesparlament Anfang Oktober wurde die Domain "gottesbezug.de" vorsorglich schon am 4. September 2014 durch die Ansgar Medien GmbH angemeldet.

Die (evangelische) Nordkirche lehnte zunächst die Volksinitiative ab, sie wollte das politische Votum des Landtages zur Landesverfassung akzeptieren und sich auch nicht für die Unterstützung einer Initiative stark machen. Die Haltung der Nordkirche hat sich inzwischen grundlegend geändert: Jetzt mischt die Nordkirche massiv mit und unterstützt die Initiative nach Kräften. Außerdem haben die Initiatoren jetzt auch noch die islamische Schura und den Landesverband jüdischer Gemeinden in Schleswig-Holstein mit ins Boot geholt, um ihren monotheistischen Gott für alle Landeskinder verfassungsrechtlich verbindlich zu machen.

Als bigotte Begründung wird von den Initiatoren angeführt: "Wir wollen deutlich machen, dass ein so genannter Gottesbezug in der Verfassung gerade in den Zeiten der Ausgrenzung einzelner religiöser Gruppen ein wichtiges Zeichen für ALLE ist: für Toleranz, für Vielfalt und für gemeinsame Werte."

Laut Volkszählung gehörten im Jahr 2011 in Schleswig-Holstein 55,7 Prozent der evangelischen und 6,4 Prozent der katholischen Kirche an. Es gab also 37,9 Prozent "Nichtchristen". Heute im Jahr 2015 dürfte dieser Anteil auf ca. 40 Prozent angestiegen sein, wenn man den deutschlandweiten Mitgliederschwund der Kirchen auf Schleswig-Holstein überträgt. Allein nach dieser Statistik würde durch einen Gottesbezug in der Verfassung die zweitgrößte Weltanschauungsgruppe in Schleswig-Holstein ausgegrenzt: die Religionsfreien. Das ist das genaue Gegenteil der propagierten Toleranz.

SH soll bunter werden

Aber auch unter den ca. 60 Prozent nominellen "Christen" in Schleswig-Holstein glaubt nur eine Minderheit an einen persönlichen Gott. Die regelmäßige in Deutschland durchgeführte repräsentative Umfrage mit über 3000 Befragten "ALLBUS" hat 2012 folgende Ergebnisse gebracht: Über alle Weltanschauungen hinweg glaubten nur 34,8 Prozent ganz oder teilweise an einen persönlichen Gott, in Schleswig-Holstein waren es sogar nur 21,4 Prozent. Und 55,3 Prozent der Deutschen hielten sich eher für "nicht religiös" als "religiös", bei den Schleswig-Holsteinern waren es 73,8 Prozent. Demnach ist Schleswig-Holstein deutlich weniger religiös als der deutsche Durchschnitt. Und ausgerechnet in diesem Bundesland soll jetzt ein Gottesbezug in die Verfassung aufgenommen werden?

Die Verfasser der Verfassung von Schleswig-Holstein haben im Dezember 1949 – ein gutes halbes Jahr nach Inkrafttreten des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland mit einem Gottesbezug – absichtlich keinen Gottesbezug darin aufgenommen. Zu der Zeit gehörten ca. 98 Prozent der Bevölkerung einer christlichen Kirche an. Und heute, wo es nur noch ca. 60 Prozent sind, will diese Initiative das Rad der Geschichte zurückdrehen und rückwirkend dem Landtag vom Dezember 1949 unterstellen, er hätte in Vertretung der schleswig-holsteinischen Bürgerinnen und Bürger die Verfassung "in seiner Verantwortung vor Gott" beschlossen. Unfassbar!

Peter Harry Carstensen mag ja gerne religiös sein und an einen persönlichen Gott glauben, jeder soll nach seiner Fasson glücklich werden. Aber eine "Verantwortung vor (diesem persönlichen) Gott" einem ganzen Bundesland per Verfassung vorschreiben zu wollen, ist anmaßend. Die im Augsburger Religionsfrieden von 1555 verankerte Befugnis des Landesherren, die Religion der Untertanen zu bestimmen (cuius regio eius religio, "wessen das Land, dessen der Glaube") gilt heute nicht mehr. Und so ganz nebenbei: Herr Carstensen ist auch nicht mehr Landesherr.

Es ist schon ärgerlich genug, dass die christlichen Kirchen in Schleswig-Holstein jedes Jahr 12 Millionen Euro an Staatsdotationen erhalten. Diese Staatsdotationen aus Steuermitteln dienen ausschließlich kircheninternen Zwecken (z. B. Bezahlung von Gehältern, Pensionen und Residenzen der Bischöfe) und nicht etwa dem Unterhalt von kirchlichen Einrichtungen wie Kindergärten, Altenheimen oder Krankenhäusern. Das bedeutet, dass in Schleswig-Holstein die Bischöfe auch von den Steuern der ca. 40 Prozent Nichtchristen alimentiert werden, ob die es wollen oder nicht.

In der Weimarer Reichsverfassung von 1919 steht in Artikel 138 (1), übernommen in den Artikel 140 Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland: "Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf." Dieses fast hundert Jahre alte Gebot muss endlich umgesetzt werden. Ein Gottesbezug in der Verfassung würde diese Umsetzung für die Zukunft erschweren oder gar unmöglich machen, ein sicherlich nicht ganz unerwünschter Nebeneffekt der Initiative.

Auf ihrer Homepage schreibt die Initiative auch: "Das Ziel dieser Volksinitiative ist es, eine breite Diskussion darüber anzustoßen, welche Bedeutung Gott und das Engagement gläubiger Menschen, die Institutionen und Angebote der Religionsgemeinschaften in unserem Land haben – auch für diejenigen, die nicht gläubig sind."

Mit den "Institutionen und Angeboten der Religionsgemeinschaften in unserem Land" sind wohl in erster Linie die Tendenzbetriebe gemeint, z. B. Kindergärten, Altenheime und Krankenhäuser mit kirchlicher Trägerschaft. Diese – auch für Ungläubige – durchaus nützlichen Einrichtungen werden zum allergrößten Teil aus Steuermitteln bezahlt (je nach Einrichtung zwischen 92 und 100 Prozent).

Dagegen ist natürlich auch nichts einzuwenden, weil die ganze Bevölkerung davon profitiert. Eine breite Diskussion wäre allerdings sehr zu begrüßen, allein schon deshalb, weil dann einer breiten Öffentlichkeit endlich klar würde, dass die Finanzierung dieser nützlichen Einrichtungen nicht einem Gott oder dem Engagement gläubiger Menschen zu verdanken ist, sondern der Staatskasse.

Des Weiteren wäre zu diskutieren, inwieweit es angemessen ist, dass in öffentlich finanzierten Einrichtungen kircheninternes Recht gelten soll: beispielsweise kein Streikrecht, Zwangsmitgliedschaft in der Kirche für alle Beschäftigten, privater Lebenswandel nach kirchlichen (und heute völlig überholten) Moralvorstellungen.

 


Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autoren von gbs-hh.de.