PARIS. (hpd) Drei Monate sind seit dem Attentat auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo vergangen. Was erinnert heute an die tragischen Geschehnisse in Paris? Florian Chefai war für den Humanistischen Pressedienst vor Ort und schildert seine Eindrücke.
Charlie Hebdo ist nach dem Terroranschlag vom 7. Januar 2015 zu einem Symbol für Satirefreiheit geworden. Vor dem Attentat abonnierten 10.000 Menschen die Zeitschrift. Heute sind es mehr als 200.000. Die Bilder von dem Trauermarsch in Paris, dem sich bis zu 1,6 Millionen Menschen angeschlossen hatten, werden noch lange im europäischen Gedächtnis bleiben.
Die Fahrt mit dem ICE von Saarbrücken nach Paris dauerte keine zwei Stunden. Ich nutzte die Zeit und erinnerte mich an die Diskussion um die in der dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten abgedruckten Karikaturen. Damals fehlte ein entschiedenes Bekenntnis zur Meinungs- und Kunstfreiheit. Viele, die den Karikaturisten Kurt Westergaard für seine Zeichnungen verurteilten, drückten nur wenige Jahre später ihre Solidarität mit Charlie Hebdo aus. Mehr noch: Sie selbst nahmen für sich in Anspruch wie Charlie sein zu wollen. Vielleicht musste das öffentliche Eintreten für die Freiheit der Satire ja erst salonfähig werden. Vielleicht war es aber auch nichts anderes als Heuchelei.
An den Gleisen des Gare de l'Est wartete bereits ein guter Freund, der in Paris studiert und mich während meines Aufenthalts begleitete.
Auf dem Weg zu seiner Wohnung im 10. Arrondissement kamen wir an einer jüdischen Schule vorbei. Er erklärte mir, dass sie seit dem Anschlag von Sicherheitskräften bewacht wird. An der Eingangstür hing ein Schild mit der Aufschrift "Vigipirate – Alerte Attentat", das an vielen öffentlichen Gebäuden in Paris angebracht ist. Unter dem Plan Vigipirate wurden in Frankreich Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz gegen Terrorismus umgesetzt. Seit dem Anschlag auf Charlie Hebdo wird vor einer akuten Bedrohung gewarnt.
Am Abend trafen wir uns mit einem gemeinsamen Freund, der im französischen Parlament arbeitet. Ich sprach auch ihn auf die warnenden Schilder an und fragte, was er von den strengen Sicherheitsmaßnahmen hält. "Wenn die Angst zur Normalität wird, läuft die Gesellschaft Gefahr, ihre Fähigkeiten der Problemanalyse und -lösung zu verlieren", antwortete er. "Wachsamkeit ist gefragt. Aber keine Blindheit." Wie recht er damit hat, dachte ich. Denn auch mir ist diese Angst und die damit einhergehende Wahrnehmungsverzerrung zuwider.
Wieso sollte man auf einen Angriff auf die Freiheit auch ausgerechnet mit der Einschränkung derselben reagieren? Die ermordeten Redakteure würden sich wohl mit spitzer Feder über diese Irrationalität lustig machen. Die gelebte Freiheit der Satiriker ist schließlich auch ein Grund, warum sie auf der Todesliste der Terroristen standen. Fanatiker reagieren geradezu allergisch auf jeden kleinen Witz, der ihre humorlose Ideologie auch nur streifen könnte. Denn Humor ist der Todfeind der Angst. Und mit der Angst verlieren Terroristen eine der wichtigsten Waffen für ihre psychologische Kriegsführung.
Am nächsten Tag machten wir uns auf den Weg zur Rue Nicolas Appert, wo sich das ehemalige Redaktionsgebäude von Charlie Hebdo befindet. Bereits an der Straßenecke lagen unzählbare Stifte, erloschene Kerzen und Blumen, die an die tragischen Geschehnisse vor Ort erinnern sollten. An die Wände der umliegenden Häuser wurden Botschaften in den verschiedensten Sprachen geklebt und gemalt. Das ehemalige Redaktionsgebäude wurde abgesperrt und von schwerbewaffneten Polizisten bewacht.
Auf der anderen Straßenseite stand ein Mann. Er sammelte Briefe und Schilder ein, welche kurz nach dem Attentat als Zeichen der Solidarität niedergelegt wurden. Irritiert fragten wir ihn, was er damit machen wolle. Seine Augen schauten uns traurig an. Mit leiser aber betonter Stimme erklärte er uns, dass der Anschlag auf Charlie Hebdo nicht in Vergessenheit geraten dürfe. Damit die hinterlassenen Botschaften nicht im Müll landen, wolle er sie aufbewahren und später einmal für eine Ausstellung zur Verfügung stellen. Er bedankte sich bei uns für die kritische Nachfrage und setzte seine Tätigkeit fort.
Wir bewegten uns weiter Richtung Zentrum. Auch dort musste man nicht lange nach Solidaritätsbekundungen suchen. Das Pariser Rathaus würdigt die ermordeten Satiriker beispielsweise mit großen Plakatwänden, auf denen "Charlie Hebdo – Ehrenbürger der Stadt Paris" geschrieben steht. Doch nicht nur öffentliche Institutionen zeigen ihre Betroffenheit. Der Slogan "Je suis Charlie" ist an vielen Orten in der Stadt anzutreffen. Selbst in einem kleinen Supermarkt findet man hinter der Kasse ein Schild mit dem Statement. Dass Paris auch weiterhin im Zeichen der Meinungsfreiheit steht, ist jedenfalls nicht zu übersehen.
Es gibt jedoch auch besorgniserregende Entwicklungen. Rechtsextreme Kräfte profitieren von der irrationalen Angst vor weiteren Terroranschlägen. Dies könnte auch einer der Gründe sein, warum der Front National bei der ersten Runde der Départementswahlen am 22. März mit mehr als 25 Prozent sein bestes Ergebnis erzielen konnte. Charlie Hebdo reagierte schnell auf das Wahlergebnis. In einer Karikatur wird gefragt, was vom Geist der Großdemonstration am 11. Januar übrig geblieben sei. "Die Kleingeister des 22. März!" lautet die Antwort.
4 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Das eindringliche Bild 5 von 26 ('Coexist') dürfte das Spannungsfeld auf den Punkt bringen.
Wahrhaftig die einzig praktikable Lösung, aber m.E. realitär schwerst umsetzbar.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Hans, da stimme ich dir vollumfänglich zu. Es gibt nur ein kurioses Faktum, dem man sich stellen muss: Die Religionen stehen sich bei dieser religiös propagierten Koexistenz selbst im Weg.
Es ist ein bisschen, wie die Koexistenz von Indianern und Cowboys. Beide kamen auf dem gleichen Kontinent zusammen, beide bewaffnet, beide unterschiedlicher Auffassungen, beide einander bekämpfend. Erst die Entwaffnung und wechselseitige Reduktion auf einen gemeinsamen Nenner - sie alle sind Amerikaner (die einen "Zugereiste" und die anderen "native Americans") - könnte den Konflikt dauerhaft beilegen. Doch das ist bis heute nicht vollständig gelungen.
Oder noch krasser: Palästina! Dort lebt die gleiche Ethnie (Semiten), die einander nur deswegen hassen und bekämpfen, weil die einen Juden und die anderen Muslime sind. Aus keinem anderen Grund (ich lasse mal kolonialistische Verwerfungen außer Betracht) wird dort nie Frieden einziehen, denn viele vernünftige Menschen werden durch wenige Hardliner in einen Krieg gestürzt. Ohne Religion hätten diese Hardliner jedoch keine Gefolgschaft, die den Krieg mitmacht.
Fazit: Religionen könnten dann friedlich koexistieren, wenn es keine Religion gäbe. Oder will jemand "glauben", dass sich Religionen eines Tages so reformieren, dass sie einander bedingungslos respektieren und akzeptieren? Inklusive tolerierter wechselseitiger Kritik - bis hin zu Karikaturen?
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Religionen stehen sich [...] selbst im Weg". Bernd, deswegen schrieb ich 'schwerst umsetzbar'. Das heißt nicht nicht-umsetztbar, ist aber m.E.
Joachim Datko am Permanenter Link
Das wichtigste Bollwerk gegen Religionen ist die möglichst frühe naturwissenschaftliche Bildung.
Zitat: "Die ermordeten Redakteure würden sich wohl mit spitzer Feder über diese Irrationalität lustig machen. Die gelebte Freiheit der Satiriker ist schließlich auch ein Grund, warum sie auf der Todesliste der Terroristen standen."
Die Satire kommt mit ihrer Wirkung beim streng religiösen Menschen schon zu spät. Er kann in der Regel nicht aus seinem geistigen Käfig heraustreten und über den Käfig lachen.
Joachim Datko - Physiker, Philosoph - www.datko.de