Putins rückwärtsgewandte Politik

In Russland sieht die Menschenrechtslage nicht gerade rosig aus. Die Duma ist von ernstzunehmenden Rival*innen "gesäubert", Journalist*innen werden willkürlich eingesperrt, LGBTIQ werden systematisch diskriminiert und freie Wahlen sind eine Seltenheit – um nur einige Beispiele der jüngst wieder intensivierten Missstände zu benennen. Nun soll obendrein auch noch die Verfassung geändert werden, wodurch Putin bis zum Jahr 2036 Präsident bleiben kann und etwa "Gott" in die neue Verfassung mit aufgenommen wird. Dies deutet darauf hin, dass auch in punkto Säkularisierung keine Besserung in Sicht ist.

Allem Anschein nach hat Russlands Präsident Wladimir Putin die neue Verfassungsänderung zum reinen Machterhalt angestoßen. So sollen alle Präsidenten lediglich zwei Amtszeiten regieren dürfen – er selbst bleibt davon aber ausgenommen. Die zwanzig Jahre, die er bei der nächsten Wahl bereits regiert haben wird, zählen für ihn dann nicht mehr. Am 22. April soll es so weit sein: die Bürger*innen Russlands können über die geplante Verfassungsänderung abstimmen. Doch im Hinblick auf die letzten Kommunalwahlen, die Kenner der Region als Stimmungstest für die künftigen Vorhaben des Kremlchefs tituliert haben, ist die Aussicht auf freie und faire Wahlen zumindest fragwürdig. Einzig die dabei eingetretenen massiven Stimmverluste in Moskau geben etwas Anlass zur Hoffnung. Die befürchteten Umstände sind allerdings, dass wie in der Vergangenheit Wahlen gerne auch von Manipulation geprägt sein können. Und diese Umstände sieht das Wahlvolk wohl zu Recht kritisch.

Um dennoch möglichst viele Wähler*innen zu mobilisieren, sollen unter anderem ein Mindestlohn und eine Mindestrente in der Verfassung verankert werden. Diese sozialen Zugeständnisse gegenüber der Bevölkerung könnten einige Kritiker*innen des aktuellen Amtsinhabers, besonders jene, die in prekären Arbeitsverhältnissen verharren, eventuell doch noch umstimmen. Die konservativen Wähler hingegen weiß Putin mittels der "Würdigung alter Werte" hinter sich zu bringen. Zum einen soll dies über das Hochhalten patriotischer Vorstellungen der starken "Vaterlandsverteidiger" und zum anderen über das Festschreiben von "Gott" in der Verfassung geschehen. Hinzu kommen weitere Gefälligkeiten, die auch in Richtung der russisch-orthodoxen Kirche gerichtet sind, wie etwa zum "Schutz der Ehe", die in Russland bald auch gemäß der Verfassung nur zwischen Mann und Frau möglich sein soll. Dieser religiöse strategische Stützpfeiler zum Machterhalt dürfte davon außerordentlich angesprochen sein. Russische Gesetze sollen außerdem Vorrang vor internationalem Recht erhalten und die Abgabe von russischem Staatsgebiet soll nicht mehr möglich sein – was auch auf die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und das Bestreben, an dieser festhalten zu wollen, hindeutet. Aber auch die für solch ein Vorhaben notwendige Inszenierung ist für Putin kein Fremdwort. So besteht die Arbeitsgruppe zur Erstellung der Reformtexte hauptsächlich aus Prominenten. Und von der ersten Frau im Weltall, Valentina Tereschkowa, kam der Vorschlag, dass für den aktuellen Amtsinhaber bei einer neuen Verfassung die vier bereits abgeleisteten Amtszeiten doch keine Berücksichtigung finden müssten.

Eine Kehrtwende in Richtung Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte ist bei Annahme dieser Verfassung nicht zu erwarten. Das bestehende Eheverbot für gleichgeschlechtliche Paare, die Bedrohung und Verfolgung von kritischen Stimmen aus der Opposition oder aus dem Kreise der Journalist*innen, wird damit wohl lange Zeit bestehen bleiben respektive fortgesetzt werden. Ganz im Gegenteil: es ist sogar absehbar, dass diese Stoßrichtung unter anderem für fundamentalistisch eingestellte Religionsanhänger den Weg ebnet. Säkulare Bestrebungen wie die Verweltlichung der Gesellschaft durch eine zeitgemäßere Gesetzgebung etwa in punkto Sterbehilfe, Schwangerschaftsabbrüche oder Ehe für alle, werden durch Putins Politik eindeutig stark eingedämmt. Auch allgemein rückt die Trennung von Staat und Religion dadurch in Russland in weite Ferne. Ein Zustand, den viele religionsfreie, aber auch religiöse Menschen sehr bedauern. Ob die Mobilisierung der Opposition, die zum Teil aus dem Exil heraus agieren muss, ausreichen wird, um mit Putins Propagandaapparat Schritt halten zu können und eine Verfassungsänderung zu verhindern, wird sich zeigen. Allzu viel Optimismus scheint allerdings nicht angebracht.

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