Warum Atheisten für die Gesellschaft wertvoll sind

Ausgeglaubt!

Der Buchtitel lässt vermuten, dass hier die Rolle der Atheisten in der Gesellschaft beleuchtet wird. Ein Leser mit dieser Erwartungshaltung wird daher vom Inhalt überrascht sein, da es in weiten Strecken des Buches um Religionskritik geht und das für die Gesellschaft problematische Verhalten von Gläubigen.

In erster Linie denkt man beim Buchtitel (und hier vor allem beim Untertitel) an die säkular-humanistischen Einrichtungen wie sie etwa vom Humanistischen Verband in Deutschland betrieben werden beziehungsweise an atheistische Einzelpersönlichkeiten, welche mit ihrem Engagement die Gesellschaft positiv beeinflussen. Voss unternimmt hier allerdings keine exegetischen Expertisen, sondern untersucht die reale gelebte (beziehungsweise – um die treffende Analogie von Burger Voss zu verwenden – die "real existierende") Religion.

Für viele Leser vermutlich gut nachvollziehbar schildert der Autor sein Verhältnis zu der real existierenden Religion: "Wenn ich der Religion als Idee beim Gelebtwerden zuschaue, fühle ich mich zuweilen wie die Römer im Leben des Brian, die neben der Steinigungsszene stehen und fassungslos den Kopf schütteln, während der Pulk sich in religiöser Hysterie zerfleischt – denn genau so war die Szene gemeint." (S. 95)

Cover

In diesem Werk wird eine weite Bandbreite an religionskritischen und religiös-apologetischen Fragestellungen in sehr gut verständlicher Form abgearbeitet. Die folgende Übersicht beansprucht somit in keiner Weise Vollständigkeit. Zunächst untersucht der Autor die Frage, ob Gott existiert. Hierzu kontrastiert Voss Glaubensannahmen mit der wissenschaftlichen Methode. Es wird dargelegt, inwiefern sich unser heutiges Weltbild durch die wissenschaftliche Forschung verändert hat und inwieweit sich hier nun vor allem durch Evolutionsforschung und Astronomie unser gattungsspezifisches Selbstbild hinsichtlich unserer Stellung in Welt und Weltraum dahingehend revidiert wurde, dass es mit den religiösen Vorstellungen unvereinbar erscheint.

In weiterer Folge widmet sich Voss dem Theodizeeproblem, wo er anhand praktischer Beispiele darlegt, dass die existierende Welt mit der Annahme der Existenz eines gütigen Gottes unvereinbar ist. Das gegen Atheisten oftmals vorgebrachte Hitler-Stalin-Argument wird in seiner Unhaltbarkeit aufgezeigt. Ebenso ausführlich begründet Voss seine These, dass Religionen Menschenwerk sind.

Weitere Punkte sind die menschliche Psyche und die Phänomene des Confirmation Bias und der kognitiven Dissonanz, welche für den Bestand der Religionen entscheidende Faktoren darstellen. Eine überaus kritische Würdigung erhält das von Religionsvertretern gerne postulierte Ethikmonopol. Voss argumentiert hier unter anderem (neben der Haltung der abrahamitischen Religionen zur Homosexualität) mit der Kairoer Erklärung der Menschenrechte, diversen tödlichen "Einzelfällen" in islamischen Gesellschaften und der Leidenstheologie von Mutter Theresa und ihrer berüchtigten Sterbebaracke in Kalkutta. Abseits von den sogenannten Extremisten hat aber auch etwa das katholische Abtreibungsverbot mitten in Europa teilweise tödliche Konsequenzen für Schwangere.

Voss tritt für den säkularen Staat und die Meinungsfreiheit ein, welche gerade für religiöse Fundamentalisten ein Dorn im Auge beziehungsweise in der jeweiligen Heiligen Schrift darstellt. Von seiner Meinungsfreiheit macht der Autor auch bei seiner (berechtigten) umfangreichen Kritik am Islam Gebrauch. Neben der Darstellung islamischer Mainstream-Positionen, welche mit moderner Wissenschaft, Menschenrechten und Säkularität unvereinbar sind, widerlegt er auch diverse islamapologetische Topoi und übt massive Kritik am Kulturmasochismus der regressiven Linken.

Auf Seite 299 erklärt Voss dann den Wert der Atheisten für die Gesellschaft. Diese hätten nämlich eine Nanny-Funktion. Die Aufgabe der Atheisten bestünde laut Voss darin, eine Kontrollinstanz der Vernunft darzustellen. Die Ungläubigen sollten sich (wie auch der Verfasser) in einer säkular-humanistischen Gruppe engagieren und den teilweise unverschämten Forderungen der Religionsanhänger mutig entgegentreten. Hier kann der Rezensent dem Verfasser uneingeschränkt zustimmen. Die Frage ist nur, ob und inwieweit die Konfessionsfreien diese Aufgabe erfüllen. Angesichts der großen Anzahl passiver Säkularisten möchte ich noch einmal auf den Untertitel eingehen. Ja, Atheisten sind wertvoll für die Gesellschaft, wenn diese aber auch nur annähernd so aktiv wie Burger Voss sein würden, wären sie für die Gesellschaft sicherlich noch wertvoller.

Burger Voss, Ausgeglaubt! – Warum Atheisten für die Gesellschaft wertvoll sind, Taschenbuch: 374 Seiten, Tectum Wissenschaftsverlag, (2018), 32,00 Euro

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