Beide in der vergangenen Woche vorgestellten Entwürfe von Gruppenanträgen zu einem Bundesgesetz zur Regulierung von Suizidhilfe werden vom Verein DIGNITAS – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben (Sektion Deutschland) in Hannover abgelehnt. Sie verletzen das Grundgesetz und können vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben, so wenig wie der 2015 von einer Mehrheit der CDU/CSU- und von Minderheiten der anderen Fraktionen verabschiedete Paragraph 217 des Strafgesetzbuchs, der vom Bundesverfassungsgericht am 26. Februar 2020 als nichtig erklärt worden ist.
Der Gesetzesentwurf der Abgeordneten Künast/Keul widerspricht den im Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 26. Februar 2020 festgelegten Voraussetzungen. Das Gericht hat klargestellt, dass sterbensgewillte Personen die Unterstützung Dritter in Anspruch nehmen können, wobei Sterbehilfevereine, und somit auch Suizidhilfevereine, als solche "Dritte" nicht ausgeschlossen wurden. Der Entwurf Künast/Keul sieht dagegen in Paragraph 5 Absatz 2 Satz 2 vor, dass Sterbehilfevereine einen Sterbensgewillten nur unter bestimmten Voraussetzungen begleiten und unterstützen dürfen. Schon aufgrund dieser Einschränkung ist der Entwurf Künast/Keul wegen seines Verstoßes gegen das Bundesverfassungsgerichtsurteil vom Februar 2020 unbrauchbar und verfassungswidrig.
Das im Gesetzesentwurf Helling-Plahr/Lauterbach/Sitte in Paragraph 4 Absatz 1, Satz 1 als solches bezeichnete "Recht" zur Beratung entpuppt sich aufgrund Paragraph 6 Absatz 3 als Beratungspflicht. Mit Paragraph 4 Absatz 7 Satz 2 wird einer irgendwann in ferner Zukunft zu schaffenden "Beratungsstelle" eine polizeiähnliche Kontroll- und Überwachungsfunktion übertragen, die das erforderliche Vertrauensverhältnis zwischen Berater und zu Beratendem tangiert.
Insbesondere ist dieser Gesetzesentwurf mit Artikel 1 Grundgesetz nicht vereinbar. Er regelt nämlich nicht die erforderlichen Voraussetzungen für die persönliche Qualifikation des Beraters. Dieser muss nach dem Gesetzesentwurf kein Arzt sein, sondern auch eine anders oder geringer qualifizierte Person kann als Berater fungieren. Der zu Beratende soll nach dem Gesetzesentwurf intime persönliche Beweggründe gegenüber dem Berater offenlegen, ohne dass eine Festlegung der hierzu erforderlichen persönlichen Qualifikation des Beraters erfolgt ist. Dies widerspricht der Grundannahme des Bundesverfassungsgerichts, wonach das Menschenbild des Grundgesetzes davon ausgeht, dass Bürger der Bundesrepublik Deutschland Persönlichkeiten sind, denen Selbstbestimmung und Eigenverantwortung zu unterstellen sind.
Realitätsfremd und bevormundend
Beide Entwürfe atmen die Tendenz, die im Bereich der Suizidhilfe bislang einzig sachverständigen Gruppen, insbesondere die Menschenrechtsvereine, die bislang Suizidhilfe leisteten und deshalb über einschlägige Erfahrungen verfügen, möglichst auszuschalten.
Aus beiden Entwürfen wird ersichtlich, dass deren Verfasser sich nie der Mühe unterzogen, sich auch nur oberflächlich über die mehrere Jahrzehnte umfassende gelebte Praxis der Suizidhilfe in Deutschland und in der Schweiz zu informieren. Und wie schon beim grundrechtswidrigen Paragraph 217 StGB ignorieren sie, dass eine deutliche Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger Selbstbestimmung und Wahlfreiheit bezüglich ihres eigenen Lebensendes will und ihnen dies auch rechtlich zusteht.
Dass insbesondere der Gesetzesentwurf Helling-Plahr/Lauterbach/Sitte eine obligatorische Beratungs- und Beurteilungspflicht einführen will, zeigt, dass die Partei der Freien Demokraten Deutschlands (FDP) gegenwärtig nicht mehr fähig oder in der Lage ist, Freiheit als solche zu respektieren, ohne die Bürger in ein Laufgitter einzusperren oder sie bestenfalls an eine Leine zu legen.
12 Kommentare
Kommentare
Robert Fies am Permanenter Link
Eine in weiten Teilen nachvollziehbare Kritik, aber das beste Sterbemittel Natrium-Pentobarbital, das derzeit durch das BtMG für den Freitod in Deutschland nicht zugelassen ist, muss dafür freigegeben werden.
Es sollte aus meiner Sicht auch nicht de facto verpflichtend sein, die Begleitung eines Sterbehilfevereins in Anspruch nehmen zu müssen, um an dieses Mittel zu kommen. Nicht jeder Sterbewillige kann oder will diese Begleitung haben, und nicht jeder kann oder will dafür 10000 Euro bezahlen. Auch das gehört zur Selbstbestimmung.
Werner Helbling am Permanenter Link
Wer muss 10000 Euro für die Sterbehilfe bezahlen? Leider befassen sich die meisten Menschen erst mit ihrem Ableben, wenn es akut wird.
Ich kann nur für EXIT-Schweiz Angaben machen:
Der jährliche Mitgliederbeitag beträgt: Fr. 45.00. Lebenslang einmalig: Fr. 1’100.00. Nach drei Jahren Mitgliedschaft ist die Begleitung kostenlos. Die Kosten für eine kurzfristige Mitgliedschaft betragen ca. Fr. 3’000.00 für die Sterbebegleitung. Zur Zeit sind bei EXIT etwa 130'000 Mitglieder dabei. Die allermeisten Mitglieder machen keinen Gebrauch von der Sterbebegleitung. Als Mitglied hat man das beruhigende Gefühl einer Wahlmöglichkeit.
Robert Fies am Permanenter Link
Leider kann man bei EXIT-Schweiz meines Wissens keine Sterbebegleitung erhalten, wenn man keinen Wohnsitz in der Schweiz oder Schweizer Staatsbürgerschaft hat.
Was hindert die Politik daran, den Menschen den Erwerb des Natrium-Pentobarbital zum Selbstgebrauch zu erlauben, ohne diese Begleitungsdienstleistungen in Anspruch zu nehmen? Wenn davor eine kostenlose Beratung zum Feststellen der geistigen Klarheit notwendig ist, dann würde ich diese ggf. halt machen.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Die Entwürfe "atmen die Tendenz" (was für eine schöne Wendung!), zumindest auf mich nicht anwendbar zu sein.
Und dann noch die Beratungspflicht...
Giordano Bruno am Permanenter Link
Bevormundung von der Wiege bis zur Bahre und noch darüber hinaus, siehe Friedhofsgesetz.
DIGNITAS - Mens... am Permanenter Link
Für die Vorenthaltung von Natriumpentobarbital ist die zuständige Bundesbehörde verantwortlich, die auf Anweisung des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn rechtswidrig den Zugang blockiert.
Das Bundesverfassungsgericht hat am 26.02.2020 eine eindeutige Rechtslage geschaffen. Eine Notwendigkeit oder ein Auftrag, wonach Politiker die wieder hergestellte Selbstbestimmung über das eigene Lebensende regulieren sollen, besteht nicht. Wer diese Freiheit im Widerspruch zum Gerichtsentscheid einschränken will, ohne hinreichende Tatsachenforschung, offenbart, worum es ihm geht: Bürgerbevormundung, wie es bereits vor 2015 mit dem für grundrechtswidrig erklärten § 217 StGB versucht wurde. Weitaus dringlicher angebracht wäre es, dass Politiker sich Erfahrungen aus anderen Ländern zuwenden, Rechtsvergleiche unternehmen, und die Forschungsressourcen von Bundestag und Regierung nutzen.
Niemand verlangt eine Pflicht, oder eine exklusive Möglichkeit, nur bei einem Menschenrechtsverein wie DIGNITAS-Deutschland Suizidhilfe zu erlangen.
Dass Suizidhilfe zehntausend Euro kosten würde, ist eine falsche Behauptung: Der Verein DIGNITAS-Deutschland, gleich dem international bekannten Menschenrechtsverein DIGNITAS in der Schweiz, ermöglicht auch Personen in sehr bescheidenen finanziellen Verhältnissen Zugang zur Hilfe, soweit einem auf begründeten Antrag ein Nachlass und vollständiger Erlass gewährt wird.
Robert Fies am Permanenter Link
In dem Gesetzentwurf von Lauterbach, Helling-Plahr, Sitte und Co. ist sehr wohl eine Änderung des BtMG enthalten.
Wahrung und Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts am Lebensende (Suizidhilfegesetz) vorliegen."
Aus meiner Sicht würde dies dazu führen, dass die in Anlage III BtMG gelisteten Betäubungsmittel, darunter auch Pentobarbital, zum Zwecke des Freitods von jedem Arzt verschrieben werden dürften. D.h. dass eine Sondergenehmigung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nicht mehr notwendig ist. D.h. dass der Bundesgesundheitsminister die Verfügbarkeit nicht mehr durch eine einfache Weisung unterbinden kann. Zumindest ist das meine Interpretation der beabsichtigten Veränderung. Hier der direkte Link zum Gesetzentwurf, damit jeder selbst nachlesen kann:
https://helling-plahr.de/files/dateien/210202%20Interfraktioneller%20Entwurf%20eines%20Gesetzes%20zu%20Regelungen%20der%20Suizidhilfe_final.pdf
Danke für Ihren Hinweis darauf, dass manche Sterbehilfeorganisationen auch verringerte Gebühren auf Antrag verlangen. Eine Diskrepanz sehe ich darüber hinaus noch in den Voraussetzungen für das "grüne Licht". Wenn ich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2020 richtig verstanden habe, gilt das Recht, sich bei einem Suizid helfen zu lassen, auch für Menschen, die keine schwere Erkrankung haben.
Dignitas Schweiz teilte mir im August 2018 per Email mit: "Eine Freitodbegleitung für eine Person, die gesund ist, ist in der Schweiz nicht möglich." Ich war damals davon ausgegangen, dass damit die schweizer Rechtslage für alle Sterbehilfevereine gemeint sei. Bei der Pegasis Association teilte man mir November 2019 dann mit, dass eine solche Bedingung nicht existiert. Dann kamen aber ohnehin Corona und Grenzschließungen dazwischen.
Was ich gerne sehen würde, wäre eine legale Option, das NaP ohne Paywall und ohne Krankheitsnachweis in Deutschland zu bekommen, wenn die Fähigkeit zur Selbstbestimmung nicht durch schwere kognitive Störungen o.ä. eingeschränkt ist. Ich begrüße jeden politischen Schritt in diese Richtung.
DIGNITAS - Mens... am Permanenter Link
Als Verein «DIGNITAS – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben» in Deutschland erachten wir es als zweifelhaft, zu insinuieren, dass Suizidhilfe für somatisch und psychisch kerngesunde Menschen einfach zu erlang
Ärzte, auch und gerade in der Schweiz, erörtern mit suizidgewillten Personen zunächst die Hintergründe des Wunschs nach Suizidhilfe. Dazu gehört, zu eruieren, ob es eine Lösung gibt, die beinhaltet das Leben fortzuführen. Immer ohne Druckausübung, Stigmatisierung, Psychopathologisierung o.ä., getragen von Respekt, und ohne etwas ein- oder auszureden. Das funktioniert seit dreieinhalb Jahrzehnten.
Ohne Arzt, oder ohne anerkannte Suizidhilfeorganisation, ist Zugang zu geeigneten Medikamenten für körperlich kerngesunde Personen in der Schweiz schwerlich möglich. Mit dem derzeitigen Lastengleichgewicht konnte die Schweizer Gesellschaft sich ganz offensichtlich gut anfreunden.
Robert Fies am Permanenter Link
Es stellt sich an dem Punkt dann für mich die Frage, warum die Existenz von Dignitas und Co. besser sein sollen als die von Helling-Plahr und Co. beabsichtigte Lösung der Beratung + ärztlichen Verschreibung.
G. Hantke am Permanenter Link
Lieber Robert Fies,
mir scheinen Ihre Bedenken doch eher theoretischer Natur zu sein.
Außerdem nehme ich an, dass sich Sterbewillige immer in einem schweren Leidenszustand befinden, der einem Krankheitsbefund zumindest sehr nahe kommt - was dann auch, wenn dieser Leidenszustand nicht behoben werden kann, von einem Arzt, der dem Suizidgedanken nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber steht, akzeptiert werden würde.
Einen gänzlich bedingungslosen Anspruch auf Suizidhilfe oder freien Einkauf entsprechender Mittel für jedermann wird es sicher niemals geben.
Robert Fies am Permanenter Link
Wenn das Urteil des Bundesverfassungsgerichts respektiert werden soll, demnach das negative Recht auf Suizidhilfe nicht von Bedingungen wie einer schweren Erkrankung abhängen darf, sondern sich vielmehr in der grundge
Es wäre eine Sache, wenn kein Pharmazeut der Welt bereit wäre, das Natrium-Pentobarbital herzustellen und an nicht schwer kranke Suizidwillige zu verkaufen. Schließlich kann man niemanden zur Suizidhilfe zwingen. Jedoch Gatekeeper rechtlich mit einem Veto-Recht auszustatten und dann zu sagen "Niemand darf die Gatekeeper dazu zwingen, ihre Erlaubnis zu erteilen und niemand darf das NaP ohne ihre Erlaubnis erhalten" ist etwas völlig anderes. Deswegen bin ich gegen jede Regelung, die solche Gatekeeper juristisch definiert, weshalb ich auch gegen die Rezeptierungspflicht bin. Sie ist ein Element der Willkür, das die grundgesetzlich garantierte Selbstbestimmung aller Bürger und damit auch ihre Menschenwürde untergräbt.
Dass diese Bedenken lediglich theoretischer Natur seien, ist eine absurde Einschätzung, denn schließlich führt sie ganz praktisch dazu, dass bei Menschen, die Sterbewilligen Natrium-Pentobarbital zur Verfügung stellen, ganz praktisch und eben nicht nur theoretisch die Handschellen klicken und sie physikalisch hiner Gittern landen.
Klaus Bernd am Permanenter Link
Was für eine Qualifikation sollte das sein, die zu einem Urteil in dieser Sache befähigen könnte ? Welche Instanz sollte das sein, die eine solche Qualifikation bescheinigen könnte ?
Ich würde darauf bestehen, jedes Mitglied eines solchen Gremiums einer ebenso hochnotpeinlichen Befragung zu unterziehen, wie sie sie mit mir vorhaben. Und ich würde auf dem Recht bestehen, jeden einzelnen von ihnen abzulehnen.