Der Zentralrat der Konfessionsfreien hat seine Ablehnung des zusammengelegten Gesetzentwurfs zur Suizidhilfe geäußert. "Damit haben die Abgeordneten die vielleicht letzte Chance auf eine liberale Regelung verpasst, die dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2020 gerecht wird", so der Vorsitzende des Zentralrats, Philipp Möller.
Kritik an Beratungszwang und Wartefristen
"Natürlich steigt damit die Chance, den potenziell verfassungswidrigen Entwurf von Castellucci zu verhindern", ergänzt Möller. "Aber wir wollen lieber kein Gesetz als eines, das der Selbstbestimmung am Lebensende Steine in den Weg legt." Dabei handele es sich in erster Linie um die im konsolidierten Entwurf vorgesehenen Wartefristen und die Zwangsberatung. "Beides kann für Sterbewillige eine Qual bedeuten oder sie zur Rechtfertigung zwingen und damit in den gewaltsamen Suizid treiben – doch genau das müssen die Gesetzgeber verhindern!" Als Motiv für ihren Entwurf und diese Maßnahmen führen die Verfasserinnen den Schutzauftrag des Gesetzgebers ins Feld, Menschen vor undurchdachten Entscheidungen zu bewahren. "Dabei sind sie übers Ziel hinausgeschossen", hält Möller dagegen. "Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist so präzise, dass die Suizidhilfe schon jetzt nur unter sehr strengen Bedingungen stattfindet."
Positiv: Suizidhilfe nicht im Strafgesetz geregelt
Zugleich hat der Zentralrat auch positive Aspekte des Gesetzentwurfs anerkannt. Dazu gehören die Regelung der Suizidhilfe außerhalb des Strafgesetzbuchs, die Ausnahme von Wartefristen und Pflichtberatungen für Härtefälle sowie der Anspruch auf Suizidhilfe durch Behörden, wenn kein Arzt gefunden werden kann. Außerdem begrüßt der Zentralrat die Verhinderung sogenannter "Schutzzonen" in kirchlichen Einrichtungen, die die Suizidhilfe in ihren Häusern untersagen wollen. "Niemand darf zur Suizidhilfe gezwungen werden", erläuterte Möller. Dieses Recht auf Gewissensfreiheit gelte aber nur für Personen, nicht für Institutionen. "Außerdem haben Bewohnerinnen und Bewohner kirchlicher Einrichtungen selbstverständlich das gleiche Grundrecht auf Letzte Hilfe wie alle anderen Menschen."
Auch den geplanten Aufbau einer bundesweiten Infrastruktur für Beratungen lehnt der Zentralrat nicht kategorisch ab. "Wichtig ist aber, dass diese Beratungen freiwillig stattfinden und weltanschaulich neutral sowie ergebnisoffen geführt werden." Um Suizidhilfe zu ermöglichen und angemessen zu gestalten, brauche es aber kein eigenes Gesetz.
"Ein zweiter Arzt steht selten zur Verfügung"
Daher sei es bedauerlich, dass nun kein konsequent liberaler Entwurf zur Abstimmung stehe, sagte Möller. Kritik übte der Zentralrat auch an der geplanten Regelung, dass eine Befreiung von Wartefristen und Pflichtberatung für Härtefälle durch einen zweiten Arzt bestätigt werden muss. "Diese Regelung schränkt das Selbstbestimmungsrecht erheblich ein", fügte der Vorsitzende hinzu. "Es ist schon sehr schwer, überhaupt einen Arzt zu finden, der sich zur Suizidhilfe bereit erklärt – ein zweiter steht nur selten zur Verfügung", so Möller.
Ausschluss von Minderjährigen nicht zulässig
Ein weiterer Kritikpunkt am konsolidierten Entwurf ist der grundsätzliche Ausschluss von Minderjährigen vom Recht auf Suizidhilfe, auch wenn dieser Aspekt auf den ersten Blick nachvollziehbar erscheine. "Die Hilfe bei unüberlegten Suizidwünschen von Minderjährigen, wie etwa der sogenannte 'Liebeskummer-Suizid', ist bereits durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts streng verboten", erläuterte Möller. "Bei einem schwerkranken 17-Jährigen hingegen, der seinen 18. Geburtstag nicht erleben wird, kann der Sterbewunsch dauerhaft und beständig sein", so Möller. Demnach gebe es keinen Anlass, ihm aufgrund seines Alters seinen Wunsch nach Suizidhilfe zu verweigern. In diesem Zusammenhang erinnerte der Vorsitzende an die Urteilsbegründung aus dem Jahr 2020, nach der "das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben" umfasst. "Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen", so die Urteilsbegründung.
Übermäßige Fokussierung auf ärztliche Hilfe
Der Zentralrat bemängelt zudem, dass der Gesetzentwurf zu sehr auf ärztliche Hilfe fixiert sei, was es vor allem Menschen ohne Erkrankung schwer machen wird, Hilfe beim Suizid zu erhalten. Auch für die implizite Kritik an den Suizidhilfeorganisationen sieht der Zentralrat keinen Anlass. "Als eingetragene Vereine berechnen diese Organisationen nur so viel, dass sie davon professionelle Hilfe leisten können", so Möller. Eine gemeinsame Pressekonferenz der in Deutschland tätigen Organisationen aus dem Jahr 2022 habe gezeigt, dass die Drohszenarien, die von Gegnern solcher Organisationen gezeichnet werden, nicht zutreffen.
Appell an die Mitglieder des Bundestags
Abschließend appelliert der Zentralrat der Konfessionsfreien an die Mitglieder des Bundestags: "Stimmen Sie keinem der vorliegenden Gesetzentwürfe zur Suizidhilfe zu – nur so werden sie dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts und ihrer Aufgabe als Bundestagsabgeordnete gerecht!"