Wie die EKD bei der Aufarbeitung ihres Missbrauchsskandals versagt

Die Wohnung wird neu gestrichen, die Leichen im Keller bleiben: Mit der 25-jährigen Anna-Nicole Heinrich wählte die EKD-Synode am Samstag eine Frau zur Präses, die für eine junge, progressive Wohlfühlkirche steht. Doch beim Umgang mit dem Missbrauchsskandal zeigt die evangelische Kirche keinerlei Willen zu einem Neuanfang: Anfang der Woche hat die EKD die Arbeit des Betroffenenbeirats gestoppt, der die Kirche bei der Aufarbeitung unterstützen sollte.

Frühlingsstimmung in der evangelischen Kirche: Mit ihrem Vorsitz im Kirchenparlament tritt die Studentin Anna-Nicole Heinrich die Nachfolge der 79-jährigen Irmgard Schwaetzer an, die das Amt seit 2013 innehatte. Heinrich ist damit die jüngste Präses in der Geschichte der EKD. Kirchenfreundliche Beobachter jubeln, Tilman Kleinjung von der Religionsredaktion des Bayerischen Rundfunks beschwört gar die neue Präses als Hoffnungsträgerin. Sie stehe für "eine Kirche, die auch für religiös Heimatlose wieder attraktiv werden kann". Genauer: eine "Kirche mit Haltung".

Haltung wünscht man sich von der EKD vor allem im Umgang mit Missbrauch und sexueller Gewalt durch Kirchenleute. Nachdem lange Zeit allein die katholische Kirche im Fokus des Missbrauchsskandals stand, gelangten zuletzt auch Zahlen aus dem evangelischen Umfeld an die Öffentlichkeit: Demnach meldeten die zuständigen Kommissionen der Landeskirchen seit Oktober letzten Jahres 881 Fälle ab dem Jahr 1950. Für die Betroffene Katharina Kracht ist dies allerdings "nicht einmal die Spitze des Eisbergs".

Katharina Kracht ist Mitglied im Betroffenenbeirat, den die EKD im August 2020 einberief, um Menschen mit Missbrauchserfahrung bei der Aufarbeitung der Fälle einzubeziehen. Ursprünglich auf vier Jahre angesetzt, ist damit nun schon nach sieben Monaten Schluss: Am Montag hat die EKD die Arbeit des Gremiums mit sofortiger Wirkung beendet, obgleich sich vier Mitglieder dagegen ausgesprochen haben sollen. Dies meldet Beiratsmitglid Detlev Zander auf Twitter.

Screenshot Webseite der EKD
Screenshot: Webseite der EKD

Von den ursprünglich zwölf Mitgliedern waren fünf bereits zuvor zurückgetreten, die verbleibenden sieben hatten wiederholt deutliche Kritik an der Zusammenarbeit mit der EKD formuliert. Katharina Kracht hatte bereits im März eine mangelnde Kommunikationsbereitschaft ihrer Ansprechpartner bei der Kirche beklagt. Ihre Verbesserungsvorschläge seien vom EKD-Beauftragtenrat übergangen, Informationen verschleppt worden, kurz: von einem Umgang auf Augenhöhe mit den Betroffenen keine Spur.

Der EKD-Beauftragtenrat besteht aus leitenden Geistlichen und Kirchenjuristen. Zwischen ihm und dem Betroffenenbeirat habe sich kein Konsens erzielen lassen, so die EKD zum Aus für das Gremium. Hinzugekommen seien interne Konflikte unter den Beiratsmitgliedern. Immerhin wolle sie die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals unter Einbeziehung von Betroffenen fortsetzen, verspricht die Kirche in einer Pressemitteilung. Wie dies genau aussehen soll, ist indes fraglich.

Gelänge es der neu gewählten Präses Anna-Nicole Heinrich, hier einen positiven Impuls anzustoßen, dann könnte dies den verschleppten Prozess wiederbeleben. Bislang kamen von ihr lediglich unverbindliche Lippenbekenntnisse, die nur zu leicht in den Tiefen des Systems EKD versickern.

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