Vergangene Woche fand die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) digital in Bremen statt. Neben der Wahl der neuen Ratsvorsitzenden stand das Thema Missbrauchsaufarbeitung im Mittelpunkt.
Annette Kurschus will die Aufarbeitung sexueller Gewalt in der evangelischen Kirche zur Chefinnen-Sache machen, das kündigte die neue EKD-Ratsvorsitzende gleich in ihrer Dankesrede im Anschluss an ihre Wahl an. Auch die zur ihrer Stellvertreterin gewählte Kirsten Fehrs will sich in ihrer Position der Sache annehmen, wie sie laut ZDF in ihrer Bewerbungsrede betonte.
Auf der evangelischen Jahresversammlung selbst wurde ebenfalls über die Problematik sexualisierter Gewalt gesprochen, Betroffene kamen zu Wort. Sie kritisieren, dass bei Aufarbeitung und institutioneller Verantwortungsübernahme zu wenig geschehen sei. "Die Kirche muss wegkommen vom Einzelfallmythos", zitiert die Süddeutsche Zeitung (SZ) den Vater eines betroffenen Kindes. Wie schon in einer gemeinsamen Pressemitteilung mit dem Eckigen Tisch vom Mai forderte er eine staatliche Wahrheitskommission, da sich niemand selbst auditieren könne. Eine selbst betroffene Pfarrerin stört die "Betroffenheitslyrik", die nicht reiche. Es sei ein grundsätzlicher Fehler, "sich hinter den Kollegen von der katholischen Kirche zu verstecken", sagte ein Vertreter des Netzwerks Betroffenenforum.
Die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der evangelischen Kirche hatte zuletzt keine gute Figur gemacht, als sie die Arbeit des Betroffenenbeirats nach Rücktritten und Kritik der Mitglieder aussetzte, da sich kein Konsens zwischen ihm und dem EKD-Beauftragtenrat habe erzielen lassen (der hpd berichtete). Nun solle eine neue, bessere Struktur für die Beteiligung der Betroffenen und die Arbeit des Beauftragtenrats gefunden und etabliert werden, so dessen Sprecher Christoph Meyns in der SZ.
Auf der aktuellen Synode wurde nun eine Verschärfung des Disziplinarrechts auf den Weg gebracht, die Begleitung von Betroffenen soll verbessert und der Zugang zu Informationen für sie erleichtert werden, heißt es in einer Pressemitteilung der EKD. Das Ziel sei: "Null Toleranz für Täter, maximale Transparenz für Betroffene". Es soll eine synodale Kommission eingerichtet werden, um die fortlaufende Vernetzung der Synode mit Betroffenen und Beauftragtenrat sicherzustellen. Außerdem soll ein Betroffenennetzwerk unterstützt werden – auch den mangelnden Austausch unter Missbrauchsopfern hatten diese angeprangert.
All diese Vorhaben sind jedoch ausschließlich kirchenintern. Auf eine Anfrage des hpd, ob neben der Verschärfung des innerkirchlichen Disziplinarrechts auch vorgesehen ist, staatliche Stellen sowie die Strafverfolgungsbehörden der weltlichen Justiz, der ja auch die evangelische Kirche unterliegt, einzubeziehen, um unabhängig zu untersuchen, ob es möglicherweise noch nicht verjährte und bisher noch nicht zur Anzeige gebrachte Fälle von Kindesmissbrauch gibt, antwortete ein EKD-Sprecher, die Evangelische Kirche in Deutschland arbeite rückhaltlos mit den Strafverfolgungsbehörden zusammen. Alle Fälle, die bekannt würden, würden entsprechend der staatlichen Empfehlungen zur Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden zur Anzeige gebracht und der Staatsanwaltschaft übermittelt. "Sollten im Rahmen der institutionellen Aufarbeitung (z. B. durch die laufende große Aufarbeitungsstudie ForuM, die durch einen unabhängigen Forschungsverbund erfolgt) neue Tatsachen oder Fälle den zuständigen kirchlichen Stellen bekannt werden, werden diese ebenfalls zur Anzeige gebracht. Neben den Taten, die kirchlichen Stellen aufgrund der Meldungen Betroffener bekannt sind, geht die EKD aber auch von einem großen Dunkelfeld aus." Daher habe die Evangelische Kirche in Deutschland den Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) gebeten, eine gesamtgesellschaftliche Dunkelfeldstudie aufzusetzen. "Die EKD geht davon aus, dass diese Dunkelfeldstudie zeitnah vom UBSKM in Angriff genommen wird und wird selbstverständlich eng mit ihm kooperieren und sich an den auf die EKD anteilig entfallenden Kosten beteiligen."
4 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Die EKD geht davon aus,"... - ja, schon; aber Papier ist bekanntlich geduldig, nich?
a.s. am Permanenter Link
Die EKD kopiert die Strategie der RKK: Erst abtun als "Einzelfälle", dann die Opfer schlecht reden, "vollumfängliche Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden" versprechen und dann doch alles
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Genau so wird es laufen, wie gehabt, ein erprobtes Manöver ohne wirklichen Effekt, wie immer nur Gerede ohne wirklich Taten folgen zu lassen.
Katharina Kracht am Permanenter Link
Bislang ist das Einschalten der Staatsanwaltschaft keineswegs üblich, das sollte auch Herr Splitt wissen.
Im Fall Lisa Meyer, die Missbrauch durch einen Diakon der Hann. Landeskirche im Oktober 2021 öffentlich machte, hat das sogar die zuständige Staatsanwaltschaft in der Presse kommentiert.
https://www.evangelisch.de/inhalte/191767/14-10-2021/staatsanwalt-kirchen-sollen-alle-missbrauchsfaelle-melden
Die allgemeine Erfahrung aus den Landeskirchen ist, das wenig oder nichts passiert und auch die sogenannten "Ansprech-" oder "Fachstellen" konzeptlos sind bzw. vor allem die Organisation schützen. Teilweise entscheiden die Superintendenten der betreffenden Kirchenkreise, ob Fälle plausible genug sind, um weiter bearbeitet zu werden - und wer möchte schon als Kirchenkreis gelten, in dem Missbrauch geschehen ist, evtl. mit der Presse in diesem Kontext zu tun haben?
Die EKD und ihre Gliedkirchen haben einen langen Weg vor sich, den sie nur gehen können, wenn sie zu einem grundsätzlichen Umdenken bereit sind und erkennen, dass sie Hilfe von außen brauchen.