Freispruch für Abbas M. vor dem Landgericht Stuttgart

Einspruch gegen die Verurteilung wegen Beschimpfung von Mohammed erfolgreich

Am 4. Juli war Abbas M. vom Amtsgericht Stuttgart zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je zehn Euro verurteilt worden. Nach Ansicht des Gerichts hatte er sich der Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen schuldig gemacht, als er den islamischen Propheten Mohammed bei einer Kungebung in polemischer Weise kritisierte. Gegen die Verurteilung nach dem "Gotteslästerungsparagraphen" ging M. in Berufung – und bekam in der nächsthöheren Instanz Recht.

M. ist kein "Einzeltäter". Seine Aktionen müssen vielmehr vor dem Hintergrund einer breiten internationalen Protestbewegung bewertet werden, die sich gegen totalitäre Interpretationen des Islams richtet, nicht zuletzt auch gegen das menschenverachtende Regime im Iran. Die Richter standen am vergangenen Donnerstag vor einem Dilemma. Nach dem Wortlaut des Paragraphen 166 muss M. verurteilt werden, da der Paragraph Fundamentalisten zum Gebrauch des Faustrechts anstachelt, um die Gefährdung des öffentlichen Friedens zu dokumentieren. Damit stellt sich der Gesetzgeber indirekt auf die Seite der iranischen Despoten und gegen die demokratische Freiheitsbewegung im Iran.

Durch den Freispruch haben die Richter des Landgerichts Stuttgart im Berufungsverfahren das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben. Damit ist der weitere Gerichtsweg zur Abschaffung des Paragraphen 166 StGB nicht möglich und sie bleibt eine politische Aufgabe, für die die Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) sich schon seit vielen Jahren einsetzt. Nach dem Mord an dem französischen Lehrer Samuel Paty 2020 hatte das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) bereits einen Gesetzentwurf zur Streichung des Paragraphen vorgelegt.

"Der Paragraph existiert noch"

Was war Auslöser des Gerichtsverfahrens? Bei einer angemeldeten Protestkundgebung vor circa einem Jahr in Stuttgart wollte M. auf die Gefahr durch den Politischen Islam aufmerksam machen. In einer auf Persisch gehaltenen Rede hatte er dabei den islamischen Religions­gründer und Propheten Mohammed als pädophil, Mörder und Vergewaltiger bezeichnet. Hierfür war er am 4. Juli vom Amtsgericht Stuttgart wegen "Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsvereinigungen" nach Paragraph 166 StGB – der auch als "Blasphemieparagraph" bezeichnet wird – zu 30 Tagessätzen à zehn Euro verurteilt worden (der hpd berichtete). M. war mit seiner Verteidigerin in Berufung gegangen, daher wurde der Fall jetzt vor dem Landgericht verhandelt.

Im Gerichtssaal anwesend waren neben M. und seiner Rechtsanwältin sowie einer Dolmetscherin säkulare Mitstreiter von M. mit Migrationshintergrund, Vertreter der gbs Stuttgart, der Säkularen Flüchtlingshilfe Stuttgart und eine Journalistin von den Stuttgarter Nachrichten.

Es ging bei dieser Berufungsverhandlung um die Frage, inwieweit M. mit seinen Äußerungen die Kriterien der Beschimpfung einer Weltanschauungsgemeinschaft und der Störung des öffentlichen Friedens als Voraussetzungen für eine Verurteilung nach Paragraph 166 erfüllt hat.

Die Staatsanwältin, die bereits beim Verfahren am Amtsgericht diese Rolle innehatte, vertrat die Ansicht, dass das Urteil des Amtsgerichts mit 30 Tagessätzen angemessen sei. Sie hatte auch am 27. Oktober 2021 gegenüber der Kommissarin, die M. wegen des Angriffs auf ihn während der Versammlung befragt hatte, die Einleitung eines Verfahrens nach Paragraph 166 angeregt.

M. habe, so die Argumentation der Staatsanwältin in der Verhandlung, seine Aussagen nicht erläuternd in einen beispielsweise historischen Kontext gestellt, obwohl er Gelegenheit dazu gehabt habe, daher seien seine Aussagen keine Meinungsäußerung gewesen. M.s Äußerungen hätten zudem nichts mit dem Thema der von ihm angemeldeten Versammlung zum Politischen Islam zu tun gehabt und seien auch deshalb nicht als sachliche Kritik, sondern als Beschimpfung zu werten und dadurch geeignet, "Hemmschwellen herabzusetzen" und "Hass gegen Muslime hervorzurufen".

Er habe niemanden beschimpft, so M., sondern sachliche Kritik geübt, zum Beispiel weil Mohammed Aischa im Alter von sechs Jahren geheiratet und die Ehe mit ihr im Alter von neun Jahren vollzogen habe. Er, M., habe große Achtung vor Weltanschauungen, aber keine Achtung vor einer Weltanschauung, die der Menschheit schade. Die Pandemie habe gezeigt, dass alle Religionen "in den Abfluss der Geschichte gehören"; der postulierte Gott könne sein "Götzenhaus" nicht beschützen, daher sei er nicht verehrungswürdig. M. betonte, dass er seine Ausführungen in einen erläuternden Kontext habe stellen wollen, aber durch die Handgreiflichkeiten während der Versammlung keine Gelegenheit mehr dazu gehabt habe.

Am fraglichen Samstag seien auf dem Schlossplatz, dem zentralen Platz der Innenstadt, laut der Staatsanwältin viele Personen vor Ort gewesen, die sich durch die Äußerungen von M. provoziert fühlen konnten, sodass der öffentliche Frieden als gestört gelten müsse. Mit Blick auf den Paragraphen 166 sagte die Staatsanwältin: "Der Paragraph existiert noch", was man durchaus als verdeckte Kritik an einem unzeitgemäßen Gesetz interpretieren könnte.

M.s Verteidigerin forderte hingegen Freispruch. Auch an besagtem Samstag vor einem Jahr seien in der in prominenten Lage vermutlich nicht viele Personen anwesend gewesen, die die auf Persisch von M. getätigten Ausführungen verstehen hätten können.

Was ist eigentlich als "Beschimpfung" zu werten?

M. nutzte die Gelegenheit, um seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter in Iran zu grüßen und zu ermutigen, was allerdings vom Gericht als während einer Verhandlung nicht statthaft missbilligt wurde. M. zeigte auch durch sein T-Shirt, auf dem deutlich lesbar "Atheist" stand, Flagge. Eine vorgeschlagene Einstellung des Verfahrens gegen Auflage lehnte er ab.

Eine längere Diskussion entspann sich um den von M. bei der angeblichen Beschimpfung benutzten Vorwurf der Pädophilie: Der von M. hierfür verwendete persische Begriff bedeutet wörtlich "Kinder als (Sex-)Spielzeug verwenden". Es handelt sich beim Sex mit Kindern, wie die Dolmetscherin bestätigte, um eine in Iran und Afghanistan weit verbreitete Praxis, die allerdings in Iran verboten ist. Als Standardübersetzung ins Englische für diesen Begriff gilt das englische Wort "pedophile" (deutsch: "pädophil"). M.s Anwältin bestritt, dass der Tatbestand der Beschimpfung erfüllt sei, und wandte sich, besonders im Lichte der vorausgegangenen Diskussion, gegen eine "streng wissenschaftliche" Auslegung des Begriffs "pädophil".

Hier zeigt sich deutlich das Problem der Einstufung von Aussagen als "Beschimpfung", wenn sie durch den kulturellen Kontext und die Ausgangssprache geprägt sind. Dies verweist auf ein generelles Dilemma des Paragraphen 166: Was ist eigentlich als "Beschimpfung" zu werten?

Ein anderer Tatbestand, der der Erregung eines öffentlichen Ärgernisses, müsse auf das Empfinden der deutschen Mehrheitsgesellschaft abgestellt werden; die Religiösen dürften nicht bestimmen, wie die Meinungsfreiheit ausgelegt wird. Moslems seien durch M.s Aussagen in der Ausübung ihrer Religion nicht beschnitten worden, während M.s Meinungsfreiheit durch die Rücksicht auf sie mit der Anwendung des Paragraphen 166 beeinträchtigt sei.

Aufgabe des Strafrechts sei es, sozialschädliches Verhalten zu sanktionieren. Dies würde durch eine Verurteilung von M. aber konterkariert, weil er sich mit seiner Kritik an Mohammed und dem Islam ja gerade gegen sozialschädliches Verhalten (Verletzung von Frauen- und Kinderrechten) wende.

Deutschland bildet mit dem "Gotteslästerungsparagraphen" unter den westlichen Ländern eine Ausnahme

Paragraph 166 müsse, so das Fazit der Anwältin, abgeschafft werden. Sie stellte klar, dass Deutschland mit diesem Paragraphen unter den westlichen Ländern eine Ausnahme bilde. Sie verwies in diesem Zusammenhang auch auf den internationalen Kongress "Celebrating Dissent" ("Das Recht auf abweichende Meinung feiern"), der im August in Köln stattgefunden hat: Der Fall M. hat internationale Aufmerksamkeit erregt und der Kongress hat eine Resolution "Abschaffung von § 166 StGB", adressiert an die Bundesregierung, verabschiedet.

Die Anwendung des Paragraphen auf M. wäre, so die Verteidigerin, menschen- und grundgesetzwidrig. Daher solle das Gericht eine entsprechende Richtervorlage beim Bundesverfassungsgericht einreichen. Diese Anregung wurde vom Gericht allerdings erwartungsgemäß nicht aufgegriffen.

Während der Verhandlung wurde vom Gericht auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Oktober 2018 verwiesen, das gegenüber einer österreichischen Klägerin das Schutzrecht von Religionsgemeinschaften gegenüber der Meinungsfreiheit betont hatte.

In seinem Schlusswort sagte M. unter anderem, dass die Anklage der Staatsanwältin geeignet sei, den Islam in Schutz zu nehmen, und dass die Staatsanwältin mit der Anklage den Politischen Islam unterstütze.

Der Richter und die beiden Schöffen diskutierten daraufhin lange, der ursprünglich angesetzte Beratungszeitraum wurde von einer halben Stunde auf eine Stunde verlängert. Dann wurde der Freispruch verkündet.

Das Urteil: Freispruch

Der Vorwurf der Pädophilie wurde im Hinblick darauf, dass Mohammed eine Sechsjährige heiratete und dass auch heute noch die Verheiratung minderjähriger Mädchen in einigen islamischen Staaten unter Berufung auf Mohammed praktiziert wird, nicht als Beschimpfung angesehen. Dass M. Mohammed als Vergewaltiger und Mörder bezeichnete, wurde hingegen als Beschimpfung gemäß Paragraph 166 gewertet.

Mit M. waren weitere fünf Teilnehmer bei der Kundgebung. Auf der Seite der Gegenkundgebung waren es mehr Personen, die M. von früheren Gegenkundgebungen bereits bekannt waren. Der Richter erkannte an, dass das Anliegen von M. berechtigt sei. Die Ansprache stufte er jedoch als nicht besonders einschüchternd ein. Die Störung des öffentlichen Friedens sei restriktiv auszulegen und damit als nicht erfüllt anzusehen. M. wurde vom Gericht allerdings nahegelegt, in Zukunft öffentliche Provokationen zu vermeiden.

Das Asylverfahren von M. ist seit einigen Monaten abgeschlossen und sein Asylgrund wurde anerkannt. Die Anzeige wegen Beschimpfung einer Religion hat bei einem Geflüchteten allerdings weitere Konsequenzen: Bisher hat er seine Ausweisdokumente mit dem neuen Status als anerkannter Flüchtling wegen des schwebenden Verfahrens nicht erhalten.

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