Religionsmonitor kompakt der Bertelsmann-Stiftung

Jedes fünfte Kirchenmitglied äußert feste Austrittsabsicht

In regelmäßigen Abständen veröffentlicht die Bertelsmann-Stiftung den Religionsmonitor, eine sozialwissenschaftliche Untersuchung der Bedeutung und Rolle der institutionalisierten Religionen in Deutschland. Die Studie liefert wichtige Einblicke in die Gründe für den rapiden Mitgliederschwund der beiden großen deutschen Kirchen. Die Forschenden stellten außerdem fest: Selbst treue Mitglieder fremdeln angesichts der zunehmenden Pluralisierung der deutschen Gesellschaft mit den historisch gewachsenen kirchlichen Privilegien.

In der vorliegenden Vorabveröffentlichung werden nur Daten zu Christ*innen in Deutschland diskutiert, die Ergebnisse zu den übrigen Weltanschauungen und dem gesellschaftlichen Stand der Religion in anderen Ländern sollen im Frühjahr 2023 veröffentlicht werden.

Säkularisierungstrend setzt sich fort

Ein Vergleich mit dem Religionsmonitor 2013 bestätigt erneut die langsam, aber stetig, voranschreitende Säkularisierung der deutschen Bevölkerung. Gaben vor neun Jahren noch 45 Prozent an, religiös erzogen worden zu sein, waren es 2022 nur noch 38 Prozent. Die Zahl derer, die sich als "gar nicht religiös" einschätzen, stieg von 23 auf 33 Prozent.

Je jünger die Befragten waren, desto eher gaben sie an, nicht religiös erzogen worden zu sein. Dieser als "Kohorten-Säkularisierung" bezeichnete Effekt wird unter anderem auf die fortschreitende Pluralisierung der junge Menschen umgebenden Gesellschaft, die alternative, früher ungekannte Angebote hervorbringt, zurückgeführt.

Auch die Kirchenbindung sinkt derweil weiter. Jedes vierte Kirchenmitglied denkt über einen Austritt nach, jedes fünfte bekundet eine feste Austrittsabsicht. Unter den 16- bis 24-jährigen sowie 25- bis 39-jährigen tragen sich mit 41 beziehungsweise 35 Prozent überdurchschnittliche viele Kirchenmitglieder mit einer festen Austrittsabsicht.

Glaube ist nicht Kirche

Besonders aufschlussreich ist das Verhältnis der Kirchenmitgliedern zu den sie repräsentierenden Institutionen: "[…] unter den Kirchenmitgliedern selbst wird die dominante Stellung der eigenen Religionsgemeinschaft in einer in religiöser Hinsicht zunehmend pluralen Gesellschaft kritisch gesehen. Zugleich trifft die Vorstellung eines gleichberechtigten Zusammenlebens in einer vielfältigen Gesellschaft offenbar auf breite Akzeptanz und neue institutionelle Arrangements zugunsten dieses Zusammenlebens werden erwartet", heißt es im Religionsmonitor.

Die absolute Mehrheit (81 Prozent) aller Kirchenmitglieder mit fester Austrittsabsicht gibt an, das Vertrauen in die Kirchen wegen der zahlreichen Skandale verloren zu haben. Noch mehr stimmen der Aussage zu "Man kann auch ohne Kirche Christ sein", nämlich ganze 92 Prozent. "Das heißt, dass für die Mehrheit der Kirchenmitglieder der religiöse Glaube nicht notwendig an die Institution Kirche gekoppelt ist, vielmehr ist die Verbundenheit zu dieser Institution stark davon abhängig, wie diese in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird", so die Autor*innen.

Kirchliche Privilegien werden selbst von treuen Kirchenmitgliedern kritisch gesehen

Besonders die "öffentliche Wahrnehmung" der kirchlichen Privilegien sticht in der vorliegenden Studie ins Auge. Wenig überraschend empfinden zwei Drittel aller Kirchenmitglieder mit fester Austrittsabsicht kirchliche Privilegien gegenüber anderen Weltanschauungsgemeinschaften als ungerecht – doch interessenterweise denken 43 Prozent aller Mitglieder ohne Austrittsabsicht genauso.

Ein ähnliches Verhältnis zeigt sich bei der Antwort auf die Frage "Haben die Kirchen zu viel Macht?" 44 Prozent der Mitglieder ohne und 71 Prozent der Mitglieder mit fester Austrittsabsicht stimmen dem zu. Das bedeutet, dass beinahe jedes zweite treue Kirchenmitglied die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Privilegien der beiden großen christlichen Kirchen nicht (mehr) für angemessen hält.

Dies bringt die Forschenden schlussendlich zu folgender Konklusion: "Die Ergebnisse des Religionsmonitors 2023 liefern Hinweise, dass das Christentum in Deutschland zunehmend zu einer spirituellen Option unter vielen wird. […] Diese Perspektive stellt das historisch gewachsene Selbstverständnis der Kirchen auf den Kopf. Die Kirchen kommen angesichts dessen nicht umhin, heute ihre besondere gesellschaftliche Rolle kritisch zu reflektieren und sich in einer zunehmend religiös pluralen Gesellschaft neu zu verorten."

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