Missbrauchsgutachten im Erzbistum Freiburg vorgestellt

Das dröhnende Schweigen des Robert Zollitsch

Mit Bekanntwerden des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche kam die Empörung. Die Empörung der Verantwortlichen, dass sich Stimmen von außerhalb einmischten und Aufklärung forderten. Später gab man sich oft kleinlaut, verbreitete Lippenbekenntnisse. Doch die Aufarbeitung erfolgte schleppend, spätere Untersuchungen wiesen dabei schwere Versäumnisse nach. Einer, der sich in dieser Hinsicht besonders hervorgetan hat, ist Robert Zollitsch, früherer Freiburger Erzbischof und ehemaliger Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz (DBK). Ein jetzt veröffentlichter Bericht weist ihm umfangreiche Verfehlungen bei der Aufarbeitung der Fälle nach –  eine Stellungnahme lehnt er ab.

Am gestrigen Dienstag veröffentlichte eine unabhängige Kommission einen umfangreichen Missbrauchsbericht für das Erzbistum Freiburg, in dem sie seinem ehemaligen Erzbischof Robert Zollitsch gravierende Fehler im Umgang mit Fällen von Missbrauchsverdacht nachwiesen. "Es ging um Vertuschung durch Führungskräfte", fasste es einer der Autoren, Eugen Endress, zusammen, wobei auch mangelhafte Überwachung oder Informierung unter Vertuschung subsumiert würden. Endress ist pensionierter Richter am Oberlandesgericht, sein Co-Autor Edgar Villwock pensionierter Oberstaatsanwalt. Der 582 Seiten starke Bericht dokumentiert die Ergebnisse der unabhängigen Arbeitsgruppe "Machtstrukturen und Aktenanalyse", die seit 2019 den Umgang von führenden Mitarbeitern der Erzdiözese Freiburg mit 24 ausgewählten Fällen von Missbrauch Minderjähriger durch katholische Geistliche untersuchte. Ziel war es, anhand dieses Materials aufzuzeigen, welche Machtstrukturen in der Kirchenverwaltung die Missbrauchsfälle ermöglichten und die Verdächtigten deckten.

Im Mittelpunkt des aktuellen Berichts standen die Amtszeiten von vier Freiburger Bischöfen, also seit 1958. Schon die beiden Vorgänger von Zollitsch, Herrman Schäufele und Oskar Saier, hätten beim Umgang mit Missbrauchsfällen vorrangig die Tatverdächtigen geschützt. Das änderte sich laut Bericht erst unter dem seit 2014 amtierenden Erzbischof Stefan Burger. Für seine Amtszeit haben die Ermittler lediglich kleinere Mängel in der Dokumentation und Zusammenarbeit gefunden, jedoch keine Hinweise auf Vertuschungen.

Breiten Raum nimmt die Amtszeit von Robert Zollitsch ein. Eine Stellungnahme von ihm wird es wohl nicht geben. Der 84-Jährige habe sich in der Sache Schweigen auferlegt – "aus Rücksicht auf die Betroffenen von sexualisierter Gewalt und aus Respekt vor einer notwendigen und vollständigen Aufarbeitung", wie er über einen Sprecher verlauten ließ und die Badische Zeitung berichtete.

Das klingt wie Hohn angesichts der Tatsache, dass Zollitsch laut Bericht im großen Stil Missbrauchsfälle vertuscht haben soll, während seiner elfjährigen Amtszeit und in den 20 Jahren zuvor als Personalreferent (1983 bis 2003). So habe er selbst bei schweren Vorwürfen gegen Verdächtige kein kirchenrechtliches Strafverfahren eingeleitet, sondern lediglich Ermahnungen ausgesprochen. Mutmaßliche Täter seien einfach kurzfristig in eine andere Gemeinde oder – wenn das Alter es erlaubte – in den Ruhestand versetzt worden. In den Personalien seien die Vorwürfe lediglich in verbrämenden Formulierungen festgehalten, aus denen die neuen Vorgesetzten den Hintergrund der Versetzung nicht entnehmen konnten. Anders als das Kirchenrecht vorschreibt, leitete Zollitsch keine Voruntersuchungen ein und erstattete, wenn sich der Verdacht erhärtete, in keinem Fall Meldung an die Glaubenskongregation in Rom.

Noch im Oktober 2022 gab sich Robert Zollitsch in einem Video reuevoll und räumte gravierende Fehlentscheidungen ein (der hpd berichtete). Naiv und arglos habe er den Aussagen und Versprechungen der Täter geglaubt und ihnen zu bereitwillig "eine zweite Chance" eingeräumt. Weiter äußerte er den "Wunsch nach einer umfassenden, systematischen und systemischen Aufklärung und Aufarbeitung (…), zu der auch ich meinen Beitrag leisten möchte."

Wirklich?, will man ihn fragen: Bereits 2010, als der Skandal um die vertuschten Missbrauchsfälle allmählich ans Licht gelangte, kritisierte die damalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) in der ARD-Sendung "Tagesthemen" die schleppende Aufarbeitung mit klaren Worten. Sie vermisse "ein aktives Interesse an wirklich rückhaltloser Aufklärung" und erwarte endlich eine konstruktive Zusammenarbeit der Verantwortlichen der katholischen Kirche mit den Strafverfolgungsbehörden. Zollitsch entgegnete, er erinnere sich keines zweiten Medienbeitrags eines Regierungsmitglieds der Bundesrepublik, "der eine ähnlich schwerwiegende Attacke gegen die katholische Kirche in Deutschland dargestellt hätte" und forderte von der Ministerin sogar, angeblich "unwahre Passagen" innerhalb von 24 Stunden zurückzunehmen.

Ebenfalls 2010 begrüßte Zollitsch Papst Benedikts Handlungsanweisungen für Missbrauchsfälle. Dabei blieb es – kein einziger Fall wurde nach Rom gemeldet, auch nicht auf Nachfrage des Kirchenrichters der Diözese. Als das Sekretariat der DBK alle (Erz-)Bistümer aufforderte, bekannte Missbrauchsfälle mitzuteilen, erfolgte keine Meldung aus Freiburg.

Auch von einer Zusammenarbeit mit den staatlichen Behörden keine Spur, im Gegenteil. Angesichts von Durchsuchungen von Staatsanwaltschaft und Polizei im Ordinariat rief Robert Zollitsch dazu auf, dass "neue Möglichkeiten der Unterbringung der Spezialakten in unserem Haus gefunden werden müssten". Das geht aus einem Protokoll einer Ordinariatssitzung hervor. Zahlreiche weitere Sitzungsprotokolle der Führungsriege des Bistums sind indes verschwunden, darunter alle Dokumente von 1992 und der größte Teil der Jahre 1998/99, wie Endress und Villwock schreiben. Andere Akten sind unvollständig – im Ordinariat hatte man einfach auf eine Paginierung der Seiten verzichtet, sodass sich einzelne Blätter unbemerkt entfernen ließen.

Einen Überblick über die Gesamtzahl der bekannten Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche gab bereits eine frühere Arbeit, die 2018 veröffentlichte bundesweite MHG-Studie. Sie geht davon aus, dass zwischen 1946 und 2014 im Erzbistum Freiburg 442 Kinder durch 190 Geistliche missbraucht wurden. Weitere 110 Betroffene haben sich nach Veröffentlichung der Studie gemeldet und bisher nicht bekannte Beschuldigte benannt. Damit ist die Anzahl der bekannten Betroffenen auf 552, die der Beschuldigten auf 253 gestiegen. Man nimmt jedoch an, dass die Dunkelziffer erheblich höher ist. Laut MHG-Studie erhielten all die Betroffenen Geldzahlungen, die einen Antrag auf Leistungen in Anerkennung ihres Leids gestellt haben. Bislang zahlte das Erzbistum Freiburg 3,1 Millionen Euro, 43 Betroffene erhalten monatliche Beträge von bis zu 800 Euro.

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