Bistum Hildesheim: Wenn der Bischof persönlich Hand anlegt

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Bischofsgruft im Hildesheimer Dom
Bischofsgruft im Hildesheimer Dom

Ende Mai berichtete der hpd über die schleppende Aufarbeitung von Fällen sexuellen Missbrauchs im Bistum Hildesheim. Dort hatte sich ein Pfarrer mit seiner Kirche angelegt, während im gleichen Zeitraum beim Landgericht ein erstes gerichtliches Schmerzensgeldverfahren durch ein Missbrauchsopfer auf den Weg gebracht wurde. Nachdem es zwischenzeitlich so aussah, als würden sich die Wogen glätten, steht nun ein früherer Bischof im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit: Der 1988 verstorbene Würdenträger heißt Heinrich Maria Janssen und soll Kindern über Jahre hinweg höchstpersönlich sexuelle Gewalt angetan haben.

Janssen war zwischen 1957 und 1982 Bischof von Hildesheim. Wie der NDR berichtet, waren seine Opfer zu den jeweiligen Tatzeitpunkten zwischen acht und zwölf Jahre alt. Die Taten sollen sich innerhalb und außerhalb des Bistums ereignet haben und das Bistum soll die Vorwürfe seit Monaten gekannt haben. Zwei Betroffene seien schon im Herbst 2023 katholischen Fachstellen außerhalb des Bistums namentlich bekannt gewesen. Sie stellten Anfang 2024 Anträge auf Anerkennung des Leids an die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) der katholischen Kirche. Ein dritter solcher Antrag eines weiteren Missbrauchsopfers folgte im April. Der Beraterstab des amtierenden Bischofs Heiner Wilmer stufte die Fälle am 6. Juni als glaubwürdig ein.

Obwohl die drei Fälle durchaus eher hätten kommuniziert werden können, weil sie intern offenbar seit Monaten bekannt waren, reagiert Bischof Wilmer in einer Pressemitteilung so, als hätte er gerade erst beim Frühstück im Radio davon erfahren: "Ich bin schockiert und fassungslos angesichts der neuen Vorwürfe gegen Bischof Janssen sowie der Schwere der geschilderten Taten." Und selbstverständlich sind seine Gedanken "bei den Menschen, die von diesen Verbrechen betroffen sind", so Bischof Wilmer. Da stellt sich die Frage, wo die bischöflichen Gedanken in den Monaten davor waren.

In der Pressemitteilung erfährt man auch, welche Maßnahmen man nun eiligst umzusetzen gedenkt. So sei bereits eine Woche vor der öffentlichen Bekanntgabe der Missbrauchsfälle in den Gremien beschlossen worden, als erste Konsequenz den Hildesheimer Dom spirituell zu reinigen. Zitiert wird der Weihbischof und Domdechant Heinz-Günter Bongartz: "Wir werden seitens des Domkapitels unverzüglich prüfen, inwieweit eine Umbettung von Heinrich Maria Janssen aus der Bischofsgruft im Dom möglich ist." Weiterhin habe man eine neue Studie zur Aufdeckung sexualisierter Gewalt in der Diözese für den Zeitraum von 1945 bis 2024 ausgeschrieben.

Der frühere Bischof Janssen stand allerdings schon seit 2015 unter Missbrauchsverdacht, wie unter anderem die Süddeutsche Zeitung damals berichtete. Sein Opfer, ein ehemaliger Messdiener, sei damals im Alter von zehn Jahren missbraucht worden. Der Mann wandte sich 2015 an das Bistum und erhielt eine Zahlung von 10.000 Euro, was – immerhin – dem Doppelten der sonst bei Missbrauchsfällen gezahlten Summe entsprach. Eine Forderung nach weiteren Zahlungen sei aber abgelehnt worden. Dem Spiegel gegenüber nannte Janssens Opfer damals auch eklige Details. Der Junge sei "ab dem Alter von zehn Jahren regelmäßig durch Masturbation, Oral- und Analverkehr missbraucht" worden. Die Übergriffe hätten zwischen 1958 und 1963 "unter Ausnutzung der bischöflichen Autorität und Stellung" stattgefunden: "Der Bischof galt mir als Gott, als jemand, den man nicht kritisieren oder infrage stellen konnte", so der Betroffene.

Und wie ein Gutachten im Jahr 2021 offenlegte, hat der ehemalige Bischof über Jahrzehnte sexuellen Missbrauch in den Pfarreien geduldet und vertuscht. So soll er zum Beispiel versucht haben, ein Strafverfahren zugunsten eines Priesters zu beeinflussen. Der Bischof schrieb im Jahr 1968 an einen anderen Priester: "Weil hier die Gerichte überall mit Sozialisten besetzt sind, mussten wir einen Skandal über die Presse befürchten. Man riet uns, [ihn] sofort in eine Gegend zu geben, wo das Gericht ansprechbar sei. Das ist gelungen. Er kam in's Münsterland." Und in einem Vermerk im Jahr 1985 schrieb Janssen über den verurteilten Priester, dass dieser nach der Abbüßung seiner Strafe vom Bistum als Religionslehrer eingesetzt wurde.

Dass sich Janssen damals so für einen schuldigen Priester einsetzte, lässt sich nun im Rückblick nicht nur dadurch erklären, dass es ihm um den Ruf seiner Kirche ging. Wie sich jetzt zeigt, hat er sich selbst des sexuellen Kindesmissbrauchs schuldig gemacht. So hat also ein Verbrecher den anderen in Schutz genommen.

Vor der Bischofsgruft im Hildesheimer Dom, in der Janssen beigesetzt ist, wurde jetzt eine Tafel aufgestellt, die über die Vorwürfe informiert. Die Gruft selbst ist aber – vor einer möglichen Umbettung, die noch geprüft werde – verschlossen worden. Vielleicht befürchtet man, der ehrwürdige Bischof könnte von den Toten auferstehen und sich abermals an Kindern und damit dem guten Ruf der heiligen Kirche vergreifen.

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