Am 9. September 2024 hat Philipp Möller vom Zentralrat der Konfessionsfreien auf Einladung des Bundesbeauftragten für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Frank Schwabe (SPD), an einem Fachgespräch im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in Berlin teilgenommen. Neben Mina Ahadi vom Zentralrat der Ex-Muslime, Dustin Altermann von der Säkularen Flüchtlingshilfe, Michael Schmidt-Salomon von der Giordano-Bruno-Stiftung sowie Carmen Wegge und Sabine Smentek vom Arbeitskreis Säkularität und Humanismus (AKSH) der SPD brachte sich auch der frühere Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit des UN-Menschenrechtsrats Heiner Bielefeldt in die Debatte ein.
"Wir haben mein Amt, das unter der Vorgängerregierung mit dem Fokus auf die Religionsfreiheit eingerichtet worden ist, ganz bewusst um den Begriff der Weltanschauungsfreiheit erweitert", erklärte Frank Schwabe zu Beginn des Gesprächs, "denn wir wollen auch die Konfessionsfreien sichtbar machen." Beim Schutz der Religionsfreiheit gehe es nicht nur um das Recht auf Religiosität, pflichtete Heiner Bielefeldt ihm bei, sondern auch um das Recht, frei von Religion zu sein. Dazu hatte Schwabe sich schon im März dieses Jahres in einem Interview mit dem hpd" geäußert.
Megatrend: Säkularisierung
"Die Gruppe der Religiösen wird nicht nur in Deutschland rapide kleiner", stellte Philipp Möller fest. "Säkularisierung ist ein Megatrend, der in den künftigen Berichten der Bundesregierung untersucht und repräsentiert werden sollte." So könne dargestellt werden, dass Konfessionsfreie in weiten Teilen der Welt zwar eine große und teilweise sogar die größte Bevölkerungsgruppe darstellen, sie aber oft religiös vereinnahmt, unterdrückt oder gar mit dem Tode bedroht werden.
Diese Aussage unterstützte Mina Ahadi mit Berichten aus Ihrer einstigen Heimat Iran, aus der sie vor dem Mullah-Regime fliehen musste, aber auch mit Erfahrungen anderer Mitglieder aus dem Zentralrat der Ex-Muslime. "Auch in Deutschland können sich bekennende Ex-Muslime leider nicht sicher fühlen", erklärte Ahadi. "Deshalb verstehen wir nicht, warum die deutsche Politik bevorzugt mit Vertretern eines repressiven bis radikalen Islam zusammenarbeitet." Zudem wundere sie sich über die Angabe aus dem letzten Bericht der Bundesregierung, nach dem 99,4 Prozent der Menschen im Iran dem Islam angehören.
Religionspolitische Vorbildfunktion
Dazu verwies Michael Schmidt-Salomon auf die Diskrepanz zwischen den Angaben der iranischen Regierung und Befragungen der Bevölkerung. "Rund 70 Prozent der Menschen im Iran sind laut unabhängigen Umfragen nicht religiös, aber sie müssen starke Repressalien fürchten, wenn dies bekannt wird. Für solche Menschen sollte sich die Bundesregierung im Iran, aber auch weltweit stärker einsetzen." In diesem Zusammenhang berichtete er auch von der mangelnden Unterstützung deutscher Behörden im Kampf für die Freiheit des saudi-arabischen Bloggers Raif Badawi.
Am Beispiel eines laufenden Strafverfahrens gegen zwei Exil-Iraner in Hamburg schlug Schmidt-Salomon schließlich die Brücke zwischen den hiesigen Privilegien der Religionsgemeinschaften und einer ungünstigen Vorbildfunktion Deutschlands in der Welt. "Das iranische Mullah-Regime nutzt den deutschen 'Gotteslästerungsparagrafen', um Menschen hierzulande wegen Religionskritik anzuzeigen." Die Beschuldigten hatten vor der Blauen Moschee gegen das inzwischen geschlossene 'Islamische Zentrum Hamburg' sowie das gewaltsame religiöse Regime im Iran demonstriert. Daraufhin hat die iranische Regierung die Stadt Hamburg aufgefordert, die Demonstranten nach § 166 StGB zu bestrafen – mit Erfolg. "Solange der Paragraf 166 noch im Strafgesetzbuch steht, kann Deutschland die Religions- und Weltanschauungsfreiheit im Ausland nicht glaubhaft vertreten", sagte der Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung.
In diesem Punkt stimmte Prof. Bielefeldt den säkularen Verbänden zu. "Das sogenannte Blasphemieverbot ist mindestens missverständlich und offenbar auch missbräuchlich", ergänzte er und sprach sich für die Aufhebung der Strafnorm aus. An dieser Stelle berichtete Carmen Wegge (MdB), dass inzwischen wohl die Mehrheit des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags die Auffassung vertrete, der § 166 StGB solle gestrichen werden. Ob diese Forderung der "Free Charlie"-Kampagne tatsächlich umgesetzt werde, hänge allerdings noch von der Akzeptanz der Religionsgemeinschaften in Deutschland ab, unter denen es teils heftigen Widerstand gebe.
Gleichberechtigung aller Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften
Die Verletzungen des Verfassungsgebotes der weltanschaulichen Neutralität des Staates gingen aber weit über § 166 StGB hinaus, argumentierte Philipp Möller. Als Beispiel nannte er den Bekenntnisunterricht an Schulen, die Kirchensteuer, die Staatsleistungen, das kirchliche Sonderarbeitsrecht, Kruzifixe in Behörden und die Legalisierung religiöser Genitalbeschneidung. "Auch im Lichte internationaler Religionspolitik wünschen wir uns von Ihnen", adressierte er Frank Schwabe, "dass Sie die Regierung und das Parlament für die Pflicht des Staates zur Gleichberechtigung aller Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sensibilisieren." Spätestens durch den erstarkenden Politischen Islam sei es dringend nötig, Kirchenprivilegien abzubauen und alle Religionsgemeinschaften zur Einhaltung allgemeingültiger Gesetze zu verpflichten. "Deutschland sollte mit gutem Beispiel vorangehen und zeigen, dass Freiheit und Sicherheit nur durch Säkularität garantiert werden können." Zudem rief er die Politik dazu auf, Migranten aus islamisch regierten Ländern nicht auf ihre religiöse Identität zu reduzieren. "Für acht von zehn Menschen in Deutschland spielt der Glaube keine Rolle – dieser friedliche Wandel sollte zur Geltung kommen."
Schutz für Ex-Muslime auch in Deutschland erforderlich
Mit Blick auf die gefährliche Lage geflüchteter Ex-Muslime, die auch in Deutschland bedroht werden, brachte der Vorsitzende der Säkularen Flüchtlingshilfe e.V., Dustin Altermann, den Vorschlag ein, eigene geschützte Unterkünfte zu eröffnen. "Wir betreuen Menschen, die vor islamistischer Unterdrückung und Gewalt geflohen sind", berichtete er, "aber in deutschen Einrichtungen gelten sie bei anderen Geflüchteten oft als vogelfreie Apostaten und Ungläubige – und werden erneut von radikalen Religiösen bedroht und tätlich angegriffen. Ein besonderes Schutzkonzept für säkulare Flüchtlinge und Ex-Muslime in Deutschland hätte eine internationale Signalwirkung", fasste Altermann zusammen.
Nach dem knapp zweistündigen Gespräch dankte Schwabe den Teilnehmern für die intensive und konstruktive Diskussion und kündigte die Fortsetzung des Austausches an. Bis zum Ende der Legislaturperiode werde eine Publikation erscheinen, die sich mit der weltweiten Lage konfessionsfreier Menschen befasst.
12 Kommentare
Kommentare
Jens am Permanenter Link
Das ist mal eine gute Nachricht. Wird aber auch Zeit, da die Mehrheit der Menschen in diesem Lande konfessionsfrei leben. Da wird es Zeit, dass die Politik darauf reagiert.
Dr. Mathias Hüfner am Permanenter Link
Wenn ihr die Konfessionfreien sichtbar machen wollt, müßt ihr in den Osten der Republik kommen und mit den Menschen reden. Die meisten Menschen leben hier schon lange konfessionsfrei und sie wollen es auch weiterhin.
Evil Ernie am Permanenter Link
"Nur wozu muss man da erst eine Organisation haben?"
Die Antwort steht im Artikel. Es fehlt hier noch ein potentes Gegengewicht zur Kirchenlobby.
Btw: darf sich hier doch jeder definieren wie er will.
Dr. Mathias Hüfner am Permanenter Link
Wäre das Thema vielleicht nicht bei einer linken Partei oder BSW besser angesiedelt und damit sichtbarer?
pi am Permanenter Link
Im Gegenteil, Konfessionsfreiheit hat wenig mit Partei-Einstellungen zu tun. Auch CDU-Wähler gehen nicht mehr in die Kirche und gerade ihre Partei sollte ins Boot geholt werden.
Dr. Mathias Hüfner am Permanenter Link
Die im Osten BSW oder die Linken wählen, haben im wesentlichen eine materialistische Weltanschauung, die sie bei anderen Parteien vermissen, weil das von den Medien vermittelte wissenschaftliche Weltbild ein positivis
Evil Ernie am Permanenter Link
Wäre das Thema vielleicht nicht bei allen Parteien angesiedelt? Immerhin betrifft das inzwischen einen sehr großen Teil ihrer Wähler und der Bevölkerung. Warum das nicht der Fall ist, erfahren Sie bei den Parteien.
Philipp Möller am Permanenter Link
Good News, lieber Dr. Hüfner,
wir sind Ihrem Ruf gefolgt und präsentieren unsere Arbeit auf dem Bürgerfest zum Tag der Deutschen Einheit in Schwerin – Sie sind herzlich eingeladen: https://363466.seu2.cleverreach.com/m/15629240/0-113b276646f2446650152f218a339f698abdc8c8f0777ada5b35783b79dca6153f7bab53adbdd79ff48851df0139252b
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Dann wünschen wir alle mal Herrn Schwabe alles Gute, dass mindestens ein Bruchteil der berechtigten Forderungen und Vorschläge in der Regierung ernstgenommen werden.
Wir brauchen, um zukunftssicher zu werden, eine Gesellschaft, in der jede Weltanschauung Privatsache ist, die Dritte niemals zum Opfer machen darf. Man darf informieren und auch gerne werben für eigene Ansichten. Aber nicht mit Gewalt, Repression oder der Drohung mit dem 166. Säkulare haben den Glauben anderer zu akzeptieren und Gläubige haben Säkulare zu akzeptieren. Nicht unbedingt zu respektieren, denn das ist systemisch ausgeschlossen.
Schließlich geht es nicht um die Lieblingsfarbe oder den Lieblingsverein. Es geht darum, ob ein Gott existiert oder nicht. Objektiv gesehen hat entweder die eine oder die andere Seite Recht. Allerdings gibt es einen weiteren Aspekt jenseits der Überzeugung oder Zurückweisung der Gottesexistenz: Die kulturellen, gesellschaftlichen Auswirkungen.
Gottesglaube wurde erfunden (oder instrumentalisiert, falls es Götter gibt) durch die Machthaber, die die jeweilige Lesart des Gottesglaubens als in- und exkludierendes Element der Gesellschaftsordnung nutz(t)en. Also die Idee des Dualismus, für die Menschen aufgrund der Evolution ansprechbar sind. D. h. Religion (die Rechtsform des Götterglaubens) verhindert eine Überwindung des Dualismus, der in einer globalen Welt zu jenen Verwerfungen führt, die wir aktuell in steigendem Maße beobachten.
Hier sind Religionsgemeinschaften aufgerufen - und demokratische Staatsregierungen müssen darauf drängen -, Konzepte zu entwickeln, wie intern der Dualismus überwunden werden kann. Der Säkulare mag andere Kriterien entwickeln, die zu einem Ingroup- Outgroup-Denken führen. Z. B. rechtsnationale Gesinnungen, wie sie die AfD vertritt. Sehr oft sind aber diese ausgrenzenden Ideologien auch stark mit religiösen Institutionen verflochten, siehe z. B. Putin u.a..
Doch prinzipiell kann der Säkulare schlechter von dualistischen Ideologien eingefangen werden. Er hat schließlich keine Furcht vor einem zürnenden Gott, der ihn u. U. im "Jenseits" auf ewiglich foltert. Diese Angst ist der Kitt, der Gläubige in jeder Religion gemeinschaftlich-traditionell zusammenhält, allen Beteuerungen, es sei in Wahrheit die Liebe Gottes, zum Trotz.
Erst, wenn Gläubige diese Angst vor einem Gott (egal ob existent oder erfunden/eingebildet) überwinden (was bei einem "liebenden Gott" kein Problem wäre), können sie die traditionellen Gesellschaftsformen, die oft genug auf Unterdrückung basieren, überwinden und in eine faire, offene und freiheitliche Gesellschaft transformieren.
Dann ist auch der 166 obsolet, ja geradezu absurd anachronistisch, denn wenn es keinen strafenden Gott mehr gibt, darf man von Gläubigen erwarten, dass sie dann etwas entspannter mit Kritik an ihren überkommenen Wertevorstellungen umgehen.
Das Ziel sollte also eine Gesellschaft sein, in der Gläubige gerne ihren religiösen Riten folgen, aber als reine Privatveranstaltung, wie auch Swifties gerne auf ihre Konzerte gehen. Aber genauso wenig, wie Letztere die Fans der Stones nicht verklagen oder beleidigen dürfen, dürfen Erstere Dritte nicht mit ihrem Glauben behelligen.
Also: Nicht die eigenen Kinder indoktrinieren (vor allem nicht mit dualistischen, menschenfeindlichen und frauenverachtenden Inhalten), nicht körperlich zeichnen oder verstümmeln, kein Geld vom Staat "einfach so" erwarten, keinen Anspruch darauf erheben, z. B. nach Attentaten die Opfer in "ökumenischen Gottesdiensten" zu vereinnahmen oder Religionsunterricht in der öffentlichen Schule zu befördern (dies kann im Rahmen eines neutralen, informativen Weltanschauungsunterrichts geschehen).
Wenn dies gesellschaftlicher Auftrag jeder deutschen Regierung würde, wäre es einfacher, mit Auswüchsen jeder Religion umzugehen. Die Gesetzeslage würde sich deutlich vereinfachen und jedem könnte wirksam vor Augen geführt werden, dass wir hier in einem Land leben (wollen), in dem niemand das Recht hat, andere (auch nicht die eigene Familie) im Namen "Gottes" zu unterdrücken oder ungleich zu behandelt, geschweige denn wahllos Menschen anderer Weltanschauung zu beleidigen, zu verletzen oder gar zu töten...
Tim Mangold am Permanenter Link
Was für eine wunderschöne Antwort! Vielen Dank für sie lieber Herr Kammermeier!
Assia Harwazinski am Permanenter Link
Lobenswerte und längst überfällige Initiative! Frank Schwabe und Philipp Möller sei Dank dafür. Als Konfessionsfreie ist man im Übrigen nicht zwangsläufig "a-religiös" bzw.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Zitat: "Persönlicher Glaube bleibt davon unberührt."
Das ist unbestritten. Allerdings mit der Betonung auf "persönlich". D. h. als Privatglaube, damit es nicht diese - auch ohne religiöse Institutionen existenten - unangenehmen Begleiterscheinungen wie Genitalverstümmelung, Indoktrination der eigenen Kinder, Unterdrückung der Frau oder Hass gegen sexuell anders Orientierte gibt. § 166 muss ebenfalls verschwinden, damit Privatglaubende begreifen, dass ihr Privatglaube kein kritisierbares Gut ist und Kritik auszuhalten lernen.
Das ist Voraussetzung für eine friedliche, offene Gesellschaft, in der jeder - auch Gläubige - ihr Leben so leben können, wie sie es wollen. Das setzt ein Lernen von allen Seiten voraus. Ich bin Optimist und denke, dass wir das schaffen können...